Prognosen

Das Milliardengeschäft mit virtuellen Realitäten

Uhr | Aktualisiert
von Coen Kaat

Verschiedene Marktforscher sagen Virtual-Reality-Produkten ein glorreiches Jahr voraus, mit Umsätzen in Milliardenhöhe. 2016 soll das Jahr für VR werden – sofern nicht Augmented Reality das Rennen macht.

(Quelle: Oculus VR)
(Quelle: Oculus VR)

Virtual Reality (VR) ist nicht neu. Bereits in den Sechzigerjahren wagten sich die ersten daran, virtuelle Welten technisch umzusetzen. Zu den ersten Versuchen zählt der Sensorama aus 1962. Das mechanische Konstrukt war zwar nicht interaktiv. Aber in einer geschlossenen Kabine konnten Zuschauer einen 3-D-Film mit Wind- und anderen Effekten sehen.

In den Neunzigerjahren wollte Gaming-Gigant Nintendo VR ins Wohnzimmer bringen. Seine Bemühungen resultierten in dem wohl grössten Flop der Unternehmensgeschichte: der Virtual Boy. Die Konsole wurde 1995 in Nordamerika und Japan veröffentlicht. Sie bestand aus einem Headset und einem Controller.

Das Headset war jedoch dermassen sperrig, dass es einen Ständer erforderte. Auch die simple rot-schwarze Grafikleistung war enttäuschend – und verursachte gemäss einigen Nutzern Kopfschmerzen. Nur ein Jahr darauf stampfte Nintendo den Virtual Boy wieder ein.

HTC und Oculus kommen

Nun ist es aber soweit. 2016 soll das Jahr für VR werden – diesmal wirklich. HTC und Oculus lancierten ihre Consumer-Modelle bereits. Sony will im Oktober mit seiner Brille folgen. Das stimmt die Marktforscher optimistisch – trotz Lieferengpässen bei Oculus und HTC.

Die Analysten von Strategy Analytics etwa rechnen mit weltweit 12,8 Millionen ausgelieferten Einheiten in 2016. Damit erreiche der VR-Markt einen Umsatz von 895 Millionen US-Dollar. Head Mounted Displays (HMD) generieren mehr als drei Viertel des Umsatzes. Dabei handelt es sich um Geräte wie HTCs Vive oder Oculus Rift. Also Wearables, die mit einem PC oder einer Konsole gekoppelt werden müssen und über einen integrierten Bildschirm verfügen.

Die Kategorie macht jedoch nur 13 Prozent der Stückzahlen aus – rund 1,7 Millionen Einheiten. Produkte wie Googles Cardboard machen den Rest aus. Diese funktionieren im Tandem mit einem Smartphone, das auch als Display dient.

Etwas optimistischer ist IDC. Das Marktforschungsinstitut geht zwar von weniger Auslieferungen aus – nur 9,6 Millionen weltweit in 2016 über beide Kategorien verteilt. Den Umsatz schätzt IDC jedoch auf 2,3 Milliarden Dollar. Ein Grund dafür ist der höhere Anteil an HMDs. Gemäss IDC sollen 2016 über 2 Millionen derartiger Geräte ausgeliefert werden.

Hersteller hoffen ebenfalls

Ganz optimistisch ist Statista. 2016 soll der Umsatz aus VR-Hardware auf fast 3,3 Milliarden Dollar kommen. Da ist es kein Wunder, dass auch die Hersteller hoffen. Ende April äusserte sich Wang Tsung-ching (汪叢青), Head von HTC Vive China, zum Potenzial der Geräte. Gemäss seiner Einschätzung werde der VR-Markt schon in vier Jahren den Smartphone-Markt überholen, wie chinapost.com ihn zitiert.

HTC arbeitete bei der Entwicklung seiner VR-Brille mit dem Game-Entwickler Valve zusammen. In dieser Ecke – darin sind sich die Marktforscher einig – werde der Löwenanteil des Umsatzes generiert: Videospiele.

Gaming kurbelt VR an – VR kurbelt Gaming an

VR solle auch dem Geschäft mit Gaming-PCs neuen Schwung verleihen, erwartet Trendforce. Die weltweiten Erlöse aus Gaming-PCs und Peripherie-Produkten sollen dieses Jahr gemäss ihrer Prognose auf 24,35 Milliarden Dollar steigen.

Aber ausgerechnet Game-Entwickler schätzen das Potenzial von VR leicht anders ein. Ende März fragte BI Intelligence rund 2000 Entwickler, wann sich VR in Nordamerika durchsetzen werde. Gemäss einem Drittel der Befragten werden dies zwischen 2019 und 2020 etwa 10 Prozent nutzen, berichtet businessinsider.de. Fast genauso viele Befragte gehen jedoch auch davon aus, dass Nordamerika niemals eine Sättigung von 40 Prozent erreichen werde.

Die Zurückhaltung spiegelt sich auch im Spiel-Angebot der bisher veröffentlichten VR-Brillen. Das derzeitige Sortiment besteht in erster Linie aus Proof-of-Concepts und Indie-Spielen. Die grossen Franchisen der Branche fehlen. Noch. Denn alle VR-Produkte von 2016 stehen auf den Schultern von Gaming-Riesen: HTC entwickelte Vive zusammen mit Valve, Oculus zählt auf Microsoft und Sony entwickelte seine VR-Brille im eigenen Haus.

VR oder AR?

Ein Thema, das oft im gleichen Kontext mit VR genannt wird, ist Augmented Reality (AR). Im Vergleich zu VR bedeutet die Technologie für den Nutzer nicht eine komplette sensorische Abschottung von seiner Umwelt. Der Anwender sieht seine Umgebung weiterhin und erhält durch das Wearable ergänzende Informationen. Ein Beispiel ist etwa Google Glas.

Die Technologie könnte letztendlich VR überholen. Zwar schätzt IDC die AR-Auslieferungen für das laufende Jahr auf lediglich 0,4 Millionen ein – im Vergleich zu den 9,6 Millionen VR-Produkten. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate soll bei AR in den nächsten Jahren bis 2020 aber höher sein. 190 Prozent gegenüber 184 Prozent.

Was die Möglichkeiten von AR betrifft, sind sich die Experten uneinig. VR sei zwar gut für Spiele und Filme im Wohnzimmer, schreibt Digi-Capital in einer Analyse beider Technologien. AR habe aber ein viel grösseres Potenzial, den Alltag zu durchdringen. Denn wie ein Smartphone erweitere es den Alltag mit zusätzlichen Informationen. VR hingegen sei wie eine Konsole, die man sich vor das Gesicht schnallt.

Digi-Capital vermutet, dass AR im Geschäftsumfeld mehr Verwendungen finden werde als VR. Wie das aussehen könnte, zeigen etwa Ricoh und Bechtle bereits jetzt. Letzterer hat in seinem Logistikzentrum in Neckarsulm bereits ein Pilotprojekt mit Datenbrillen gestartet. Ricoh zeigte Anfang Jahr eine tragbare Konferenzlösung.

Inwiefern all diese Prognosen aufgehen, steht derzeit aber noch offen. Obwohl bereits lanciert, sind Vive und Rift derzeit nicht erhältlich, da beide Hersteller unter schweren Lieferengpässen leiden.

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