Interview mit Daniel Bernasconi, CIO von Twint

So will Twint innert 18 Monaten in die Cloud gehen

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Daniel Bernasconi ist seit August 2024 CIO von Twint, der grössten Payment-App der Schweiz. Im Interview spricht er über seine Motivation für seine neue Rolle und darüber, warum der Weg in die Cloud von Twint noch nicht vollzogen ist.

Daniel Bernasconi, CIO, Twint. (Source: zVg)
Daniel Bernasconi, CIO, Twint. (Source: zVg)

Sie sind seit August 2024 CIO von Twint. Wie unterscheidet sich Ihre Rolle als Twint-CIO von Ihrer früheren Position als CTO bei Finnova?

Daniel Bernasconi: Bei einem Rollenwechsel gibt es immer zwei Dimensionen. Die eine Dimension beinhaltet den Aufgabenbereich; die zweite Dimension ist das Umfeld. In meinem Werdegang habe ich bei einem Rollenwechsel immer auch die Veränderung des Umfeldes gesucht. Und bei Twint erlebe ich ein überaus dynamisches Umfeld. Twint ist ständig in Bewegung, denn die Mission von Twint ist es, an der Schnittstelle zwischen Käufer, Verkäufer und Finanzinstitut einen Mehrwert zu stiften, und das erfordert eine hohe Anpassungsfähigkeit. Aus­serdem gibt es eine anspruchsvolle Konkurrenzsituation in diesem Markt, die eine weitere gros­se Herausforderung darstellt, die mich sowohl in beruflicher als auch persönlicher Sicht motiviert. Ich habe acht spannende Jahre bei Finnova verbracht, wo ich zuletzt als CTO die technologische Plattform verantwortete. Der Fokus in meiner neuen Rolle als CIO von Twint ist noch breiter, da ich hier ausser der Technologie auch die Entwicklung und den Betrieb verantworte.

Wie haben Sie Ihre ersten 100 Tage bei Twint ­verbracht?

In den ersten Wochen habe ich mich darauf konzentriert, die Organisation zu verstehen und einen Überblick darüber zu gewinnen, wie gut sie operativ funktioniert und welchen Wertbeitrag sie leistet. Ich habe ein sehr erfahrenes und kompetentes Führungsteam vorgefunden, das das Tagesgeschäft hervorragend managt. Eine wichtige Priorität war dann der Blick in die ­Zukunft: Wie gut sind unsere Systeme aufgestellt? Welche Lücken müssen wir schliessen? Und wie können wir sicherstellen, dass unsere IT-Plattformen die rasante Geschäftsentwicklung von Twint unterstützen? Darauf aufbauend habe ich mich auf die Entwicklung einer IT-Strategie konzentriert, die eng mit der Geschäftsstrategie abgestimmt ist. Gemeinsam haben wir einen sogenannten IT-Gameplan erstellt. Dieser umfasst ein Zielbild für unsere Plattformarchitektur und ein Target Operating Model – ein Organisationsmodell, das speziell darauf ausgerichtet ist, die Wachstumsziele von Twint optimal zu unterstützen.

Welche mittel- und langfristigen Ziele verfolgen Sie als CIO von Twint?

Mein Ziel ist es, dass die IT von Twint der Motor des Unternehmens und kein Bremsklotz ist. Mein oberstes Anliegen ist ein nahtloses Zusammenspiel von IT und Business. Die IT darf nicht nur als Dienstleister oder Lieferant von Leistungen agieren, der Anforderungen aus dem Business umsetzt, sondern muss Treiber für Innovationen und ein inte­graler Bestandteil des Geschäfts sein. Diese Transformation hat bei Twint bereits 2018 begonnen, und ich möchte diesen Weg konsequent weiterverfolgen.

Welche Veränderungen im Mindset auf der Seite des Business beziehungsweise auf der Seite der IT sind nötig, damit diese Integration gelingen kann?

Wichtig ist, dass die Mitarbeitenden nicht in den Grenzen ihrer Organisationseinheiten denken, sondern im Sinne von Value für die gesamte Organisation. Ein zentrales Ziel ist daher die Etablierung einer Value-Stream-Organisation.

Wie möchten Sie das erreichen?

Durch eine enge Verzahnung von IT- und Geschäftsstrategie. Wir haben ein Target Operating Model erarbeitet, das genau diese Integration fördern soll. Gleichzeitig ist es wichtig, eine Plattformarchitektur zu schaffen, die flexibel genug ist, um zukünftige Geschäftsanforderungen zu unterstützen.

Ihr Fazit nach den ersten 100 Tagen?

Twint ist an Spannung kaum zu überbieten. Die Kombination aus einem starken Team, einer klaren Strategie und einem dynamischen Umfeld macht es für mich zur idealen Arbeitsumgebung. Ich freue mich darauf, die Zukunft von Twint aktiv mitzugestalten und die IT als Motor des Geschäfts weiter auszubauen.

Welche Veränderungen sind nötig, um Business und IT besser zu verzahnen?

Es braucht Veränderungen in der Denkweise in Richtung "Value Stream" – sowohl im Business als auch in der IT. Hier arbeiten Produktmanagement und technische Architektur gemeinsam daran, maximalen Wert für das Unternehmen zu schaffen. Zwar sind sie organisatorisch getrennt, aber ihre Ziele sind identisch. Dieser Ansatz ist ein zentraler Bestandteil unserer Strategie, um eine tiefere Integration zwischen Business und IT zu erreichen. Eine Herausforderung dabei ist es, auch den Entwicklern ein tiefes Verständnis für die Geschäftsziele zu vermitteln. Unsere Strategie zielt darauf ab, Business und IT so eng zu verschmelzen, dass sich beide Bereiche gegenseitig bereichern. Dafür schaffen wir Strukturen – eine Value-Stream-Organisation –, die es ermöglichen, dass Entwickler und Business-Teams eng zusammenarbeiten und gemeinsame Lösungen schaffen. Wir denken auch in der IT an "Business" und nicht an "Technologie". Die Herausforderung ist, die fürs Business passende Lösung zu entwickeln und sich nicht in technischen Problemen zu verlieren.

Twint hat sich über die Jahre zur beliebtesten Bezahl-App der Schweiz entwickelt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Es ist beeindruckend, wie sich Twint als Schweizer Payment-Lösung entwickelt hat. Twint hat bewiesen, dass es die lokalen Marktbedürfnisse hervorragend adressieren kann. Diese spezifische Ausrichtung auf die Schweiz und die Offenheit der Nutzer für eine lokale Lösung haben uns hier stark gemacht. Die Zahlen allein sind beeindruckend: 2017 verarbeitete Twint 4 Millionen Transaktionen, 2023 waren es 590 Millionen – ein Faktor von rund 150. Und das Wachstum wird weitergehen. Unsere Plattform muss dieses Transaktionswachstum bewältigen können. Das ist eine grosse technologische Herausforderung, der wir mit einem klaren Fokus auf Skalierbarkeit und Flexibilität begegnen.

Wie wird ihnen das gelingen?

Wachstum erfordert ständige Innovation. Wir können uns nicht auf dem Status quo ausruhen. Jede neue Funktion erhöht die Komplexität des Systems. Deshalb setzen wir stark darauf, die Architektur immer wieder zu vereinfachen und Geschäftsvorgänge so zu optimieren, dass keine unnötig komplexen technischen Lösungen notwendig sind. 

Welche Rolle spielt KI in der IT-Strategie von Twint?

Unsere IT-Strategie basiert auf drei Säulen: Die erste ist, dass wir das Business im Herzen haben. Die zweite Säule ist, dass wir Systeme bauen, die robust und skalierbar sind. Der dritte und besonders wichtige Teil ist Automatisierung. Wir müssen und werden automatisieren, was automatisierbar ist. Dabei wird KI eine Rolle spielen. Wir haben analysiert, wo wir in der Automatisierung Potenzial haben und wie KI uns dabei unterstützen kann. Wir setzen auf einen Ansatz als Early Adopter: Wir warten ab, bis bewährte Referenzfälle vorliegen, bevor wir KI produktiv einsetzen; Beispiele sind Testautomatisierung oder die Nutzung von Testdaten. Derzeit experimentieren wir vorsichtig. Bis wir generative KI produktiv einsetzen, wird es noch ein bis zwei Jahre dauern.

Wie ist der Stand der Cloud-Migration bei Twint?

In unserer Automatisierungsstrategie ist die Cloud ein unverzichtbarer Bestandteil. Die Cloud erfordert es, bestimmte Standards einzuhalten, und bietet gleichzeitig eine Vielzahl von APIs, die wir für die Provisionierung und Konfiguration der Infrastruktur und der darauf eingesetzten Applika­tionen nutzen können. Ohne den Einsatz der Cloud könnten wir die erwähnten künftigen Automatisierungsschritte nicht umsetzen. Unsere Cloud-Journey ist daher ein wichtiger Meilenstein in unserer IT-Strategie.

Welche Herausforderungen erwarten Sie bei der ­Mi­gration in die Cloud?

Die Nähe zwischen Container-Applikationen und Datenbanken ist entscheidend, um Latenzen minimal zu halten. Insofern ist es künftig sinnvoll, die Datenbank sehr nahe zur oder beides in der Cloud zu betreiben, um die sehr hohen Anforderungen an die Latenz – teils im Millisekundenbereich – zu erfüllen. Zudem müssen wir die regulatorischen Anforderungen im Bankenumfeld einhalten. In diesem Bereich haben viele Banken in der Schweiz bereits Vorarbeiten geleistet, da sie schon mit Hyperscalern zusammenarbeiten, wovon wir profitieren können.

Wie stellen Sie sicher, dass die Migration in die Cloud sicher und reibungslos abläuft?

Wir profitieren davon, dass wir bereits containerfähige Anwendungen haben, was uns die Migration erleichtern wird. Dennoch gehen wir schrittweise vor. Wir werden kritische Teile auf der alten Plattform anpassen und erst dann den Umzug durchführen. Sicherheit und Stabilität haben höchste Priorität. Der Wechsel wird so durchgeführt, dass das Ökosystem nicht gestört wird. Die Schnittstellen bleiben konsistent, sodass der Plattformwechsel für unsere Partnerbanken weitgehend transparent bleibt.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Balance zwischen Stabilität, Skalierbarkeit und Flexibilität?

Das ist wie die Quadratur des Kreises. Jede Änderung birgt das Risiko, die Stabilität zu gefährden. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass wir weiterhin wachsen und neue Funktionen bereitstellen können. Es geht darum, pragmatische, zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen, ohne in kurzfristige Lösungen zu verfallen, die später Chaos verursachen könnten.

Wann wollen Sie die Cloud-Migration bei Twint ­ab­geschlossen haben?

Wir haben uns das Ziel gesetzt, den Schritt in die Cloud innerhalb der nächsten 18 Monate zu machen. Dafür müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, insbesondere müssen unsere Stakeholder-Banken auch ihr Okay dafür geben. Wir verfügen bereits über Test-Set-ups, auf deren Basis wir uns mit den Banken abstimmen, und wir haben klare Architekturpläne sowie Migrationskonzepte erarbeitet. 


Zur Person
Daniel Bernasconi ist seit August 2024 Chief Information Officer (CIO) von Twint und Mitglied der Geschäftsleitung. In dieser Rolle verantwortet er die strategische Weiterentwicklung der IT-Initia­tiven und stärkt die technische Entwicklung des Unternehmens. Mit umfangreicher Erfahrung in der IT-Strategie und Finanztechnologie blickt Bernasconi auf Stationen bei Swisscom, Postfinance, CSC (heute DXC) und IBM zurück. Vor seinem Wechsel zu Twint war er Chief Technology ­Officer bei Finnova, wo er das Technology Competence Center leitete und die Architektur sowie die Technologie-Roadmap des Unternehmens prägte. Als CIO von Twint berichtet er direkt an CEO Markus Kilb. Quelle: Twint

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