Editorial

Der erste Fail des Cloud Computing

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Joël Orizet, Redaktor, Netzmedien (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, Redaktor, Netzmedien (Source: Netzmedien)

Er schwirrt überall herum – in der Werbung, in Positions­papieren und in Vorlesungsverzeichnissen. Einst war der Begriff "Cloud Computing" nichts weiter als ein Buzzword. Eine Worthülse, mit der Marketingleute so lange um sich geworfen haben, bis sie 2013 im Duden landete. Fünf Jahre zuvor hatte Dell vergeblich versucht, sich die Markenrechte an der Bezeichnung zu sichern. Der Ausdruck sei zu generisch, also zu unspezifisch, und tauge deswegen nicht als Marken­name, teilte das US-Patentamt mit. Aber offen blieb die Frage: Wer hat den Begriff in die Welt gesetzt?

Eine Zeit lang hiess es, Eric Schmidt sei der Urheber. Der ehemalige Google-CEO sprach die Worte erstmals am 9. August 2006 vor Publikum aus. Doch der Begriff tauchte schon früher auf, wie eine Recherche des "MIT Technology Review" zeigte. Die Ironie an der Geschichte: Der erste Businessplan mit dem Titel "Cloud Computing" war ein Flop.

Es war Ende 1996, da trafen sich zwei Unternehmer in einem Büro in Houston. George Favaloro, damals Marketingmanager bei Compaq, erstellte ein vierseitiges Dokument mit dem Titel: Internet Solutions Division Strategy for Cloud Computing. Der zweite im Bunde, Sean O'Sullivan, hatte gerade seine erste Internetfirma Netcentric gegründet und heckte den Plan mit aus. Dem Papier zufolge sollte Compaq eine neue Zielgruppe adressieren: Telkos und Internet­provider. Die wiederum sollten Cloud-Dienste – sprich: Software übers Internet – an die Endverbraucher vermieten.

Im Januar 1997 sollte die erste Medienmitteilung raus. Im Entwurf stand: Compaq schliesst eine Partnerschaft mit Netcentric mit dem Ziel, Cloud Computing für Businesskunden anzubieten. Dieser Spruch wäre zehn Jahre seiner Zeit voraus gewesen. Doch Compaqs PR-Abteilung ersetzte das Wort "Cloud" durch "Internet". Offenbar hatte das Unternehmen dermassen an den Plänen gezweifelt, dass es das Wort "Cloud" schliesslich aus seinem Jargon verbannte und die Idee mit der Software übers Internet begrub.

Favaloro kümmerte das angeblich kaum. Aufgrund seiner Idee machte Compaq, bis es 2002 durch Hewlett-Packard aufgekauft wurde, ein gutes Geschäft mit dem Verkauf von Servern an die frühen Internetanbieter. Heute arbeitet Favaloro als Executive Director bei Anthesis, einer auf Nachhaltigkeit spezialisierten IT-Beratungsfirma.

Auch O'Sullivan gab den Begriff auf, nachdem er erfolglos versucht hatte, einen internetbasierten Faxdienst zu vermarkten. Sein Unternehmen ging bankrott, er stieg aus der Tech-Branche aus und machte einen Master in Filmproduktion. Doch auch für ihn nahm die Geschichte schliesslich eine gute Wendung. Heute ist O’Sullivan ein umtriebiger, sozial engagierter Investor, der sein Geld schon in über 100 Start-ups steckte.

Die Anekdote zeigt: Wer seiner Zeit voraus ist, gilt bestenfalls im Nachhinein als innovativ, visionär oder hip. In dem Moment, wo es drauf ankommt, stossen zukunftsweisende Ideen auf Widerstand. Aber es lohnt sich, Ideen aufzuschreiben und sie aufzubewahren. ­Besonders dann, wenn sie verrückt klingen.

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