Aus der aktuellen Ausgabe

Bankenregulierung und IT: Neue Business-Modelle dank Compliance-Projekten

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Daniel Schiller, Finanzexperte bei Trivadis, sieht in den neuen Regulierungen, die auf die Schweizer Banken zukommen, eher eine Chance denn eine Not.

Daniel Schiller, Trivadis: "Compliance-Projekte sind Moving Targets" (Quelle: Array)
Daniel Schiller, Trivadis: "Compliance-Projekte sind Moving Targets" (Quelle: Array)

Herr Schiller, die Banken stehen unter anderem wegen FATCA, dem Teil eines 2010 in Kraft getretenen US-Gesetzes, mit dem das US-Steuer-Reporting von ausländischen Finanzinstitutionen deutlich verschärft wurde, und wegen der Abgeltungssteuerrichtlinien unter starkem Zeitdruck. Wie beurteilen Sie die momentane Lage aus Sicht der IT?

Der gesamte Markt ist im Moment damit beschäftigt, zu interpretieren, wie was umgesetzt werden muss. Es finden sehr viele Diskussionen statt. Ein Problem bei Compliance- Projekten ist, dass es Moving Targets sind. Sie beginnen mit einer Ankündigung, dann wird eine erste Deadline definiert und am Ende sieht vieles doch wieder ganz anders aus, als anfangs gedacht. Das ist ein Problem für die Kommunikation zwischen Business und IT.

Dazu kommt, dass solche Projekte von Legal- und Tax-Abteilungen angestossen werden, die grundsätzlich sehr vorsichtig sind. Das heisst unter anderem, dass sie ihre abschliessende Würdigung eines Themas erst dann machen können, wenn wirklich alles klar ist. Das ist häufig viel zu spät für die IT.

Werden also von der IT dann oft Taten erwartet, die sie entweder in der knappen Zeit nicht realisieren kann oder die sehr teuer werden?

Häufig sieht es wie folgt aus: Der Projektleiter aus dem Business arbeitet mit einem Wirtschaftsprüfer – aber ohne die IT – Best-of-Breed-Prozesse aus. Wenn alles fertig definiert ist, häufig nach zwei Drittel der verfügbaren Zeit, gehen die Anforderungen in die IT-Abteilung.

Die IT bräuchte aber alleine schon für das Bereitstellen der Infrastruktur für die angestrebten Prozesse doppelt so viel Zeit. Der Bank bleibt aber gar nichts anderes übrig, als zu handeln. Die Alternative ist zum Beispiel bei FATCA, dass sie auf Geschäftserträge aus den USA eine 30-Prozent-Strafsteuer bezahlen müssten. Das kann sich kein Institut leisten.

Branchenkenner sprechen von einem Investitionsbedarf im zwei- bis dreistelligen Millionen- Bereich pro Bank. Was sagen Sie zu dieser pauschalen Schätzung?

Bereits sehr früh gingen Analysten von dieser Grössenordnung aus, etwas später bestätigten die Grossbanken den Investitionsbedarf von etwa 150 bis 200 Millionen Franken. Diese Einschätzung ist in den letzten 18 Monaten interessanterweise konstant geblieben.

Was sind denn die grundsätzlichen Anforderungen, die die IT umsetzen muss?

Die eine Seite ist die Berechnung der Steuern für ihre ausländischen Kunden sowie das Reporting. Die andere ist, dass die Banken eine saubere Datenbasis haben, die sie zentral und konsistent auswerten können.

Vorteil für Banken mit Kernbankenlösungen?

Sind Banken mit modernisierter und weitgehend standardisierter IT grundsätzlich im Vorteil oder entsteht auch für diese Banken in etwa gleich viel Aufwand zur Umsetzung der Regulatorien?

Der Aufwand ist bei Banken, die in den letzten Jahren auf ein Kernbankensystem gewechselt haben, kleiner, weil sie mit der Migration auch auf eine zentrale Datenhaltung umgestellt haben. Sie können so die zukünftigen jährlichen Abgeltungssteuern ihrer ausländischen Kunden in ihren Systemen einfacher umsetzen. Zudem können sie diversen Aufwand zum Hersteller externalisieren.

Diesen mittelgrossen Banken, die im Verlauf der letzten Jahre auf ein Kernbankensystem gewechselt haben, stellt sich aber ein anderes Problem: Sie haben bei der Umstellung meist nicht alle ihre historischen Daten migriert. Die Abkommen beinhalten nebst den Steuern für die Zukunft jedoch insbesondere auch eine einmalige Abgeltung für die vergangenen Jahre. Folglich müssen sie die vielfach nicht maschinell lesbaren Daten irgendwie aufbereiten.

Auf wie viele Jahre zurück müssen die Banken denn ihre Daten verfügbar machen?

Im Fall von Deutschland müssen alle Kundendaten mit einer Verjährungsfrist von zehn Jahren verfügbar sein. Stichdatum ist der 31.12.2002. Deutschland und auch Grossbritannien werden aber längst nicht die einzigen bleiben, die eine Abgeltungssteuer einfordern werden. Die Schweizer Behörden, so habe ich an einer Fachtagung erfahren, sollen mit mehr als fünfzehn weiteren Ländern in Verhandlung sein.

Es ist deshalb sinnvoll, jetzt auf Seiten der Banken prinzipiell günstige Voraussetzungen zu schaffen für künftige Abkommen. Über den Daumen gepeilt würde es die Banken im Moment ein Drittel mehr kosten, wenn sie auf eine länderübergreifende Lösung hinarbeiten würden. Bei jedem weiteren Land könnten sie dann aber in Zukunft etwa die Hälfte sparen.

Was tun denn eigentlich die Kernbankenlösungshersteller, um Anforderungen in ihren Produkten umzusetzen?

Es ist klar, dass die Hersteller sehr stark unter Druck sind. Für uns ist allerdings noch keine finale Entwicklungsrichtung der grossen Hersteller ersichtlich. Dies ist umso erstaunlicher, da doch alle Banken bis Ende des Jahres die Abgeltungssteuer umsetzen müssen.

Wie gehen denn die Banken strategisch mit den Herausforderungen um?

Viele Marktteilnehmer gehen sehr reaktiv mit dem Thema um. Nur ganz wenige Banken haben einen proaktiven Ansatz gewählt. Ein Beispiel im Bereich FATCA ist Vontobel Asset Management. Dies ist eine Bank, die nach US-Recht reguliert ist und in den USA eine Zulassung hat.

Somit kann sie US-Kunden von anderen Schweizer Banken übernehmen, die sich aus dem US-Markt verabschieden. Das ist eine Möglichkeit, wie man sich durch eine konsequente und rasche Umsetzung von Richtlinien neue Geschäftsfelder erschliessen kann.

Steuer-Beratung als ein mögliches Business-Modell

Das heisst, dass sich ausländische Kunden eher jenen Banken anvertrauen werden, die in diesem Prozess schon weiter sind?

Der Punkt wird für ausländische Kunden künftig von enormer Bedeutung sein, denn eine Bank muss ihre Kunden vermehrt auch steuerrechtlich beraten können. Das ist einerseits eine Chance, wenn sie die Rechtslage in den verschiedenen Ländern gut kennt und dadurch neue Beratungsdienstleistungen anbieten kann.

Andererseits drohen künftig auch immer saftigere Strafen, wenn sich eine Bank nicht an die Regeln hält. Zum Beispiel gelten Handlungen, die in der Schweiz gang und gäbe sind, in Deutschland als Beihilfe zur Steuerhinterziehung, die mit hohen Strafen sanktioniert werden. Das Luganer Abkommen, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist, gibt einem deutschen Kunden beispielsweise das Recht, eine Schweizer Bank am eigenen Wohnsitz nach deutschem Recht vor Gericht zu ziehen.

Letztlich bedeuten die Vorschriften ja auch, dass die Banken mehr über ihre Kunden wissen müssen. Sehen Sie da auch eine Geschäftsmöglichkeit?

Eigentlich ist es ja positiv, wenn man mehr über seine Kunden erfahren muss. Wenn eine Bank vom Gesetzgeber zu so etwas gezwungen wird, dann hat sie zwei Optionen. Sie kann es tatsächlich als Zwang anschauen und zum Beispiel möglichst kostengünstig auslagern.

Dies womöglich noch in ein Land, in dem die Angestellten der Outsourcing-Firma eine andere Sprache sprechen als in jenem Land, in dem die Kunden der Bank leben. Die andere Möglichkeit ist jene, dass die Bank selbst einmal mit jedem ausländischen Kunden Kontakt aufnimmt, ihn besser kennen lernt und seine Bedürfnisse aufnimmt.

Vielleicht kann sie mit dem Kunden allenfalls sogar noch neue Geschäfte machen. Schon seit einiger Zeit hat man im Bankenumfeld zwar erkannt, dass man nicht mehr einfach darauf warten kann, bis der Kunde das Geld bringt, sondern man vermehrt verkaufen und sich proaktiver verhalten muss. In der Umsetzung ist dies jedoch nicht immer spürbar.

Noch kein Ende der Regulierungswelle absehbar

Was wird denn in den nächsten Jahren noch alles auf die Banken zukommen?

Mindestens für die nächsten zehn Jahre ist bezüglich neuer Regulierungen kein Entspannung absehbar. Die Finma hat angekündigt, dass sie bei den Kundenberatungsvorschriften einiges tun wird. Das wird im Sinne der Finanzmarktrichtlinie MiFID 2 der EU geschehen, die in der Pipeline ist. Schweizer Banken, die im europäischen Umfeld geschäften wollen, werden diese folglich umsetzen müssen.

Der "Dodd-Frank Act", ein weiteres US-Bundesgesetz, das das Finanzmarktrecht der USA stark verändern wird, wird ebenfalls kommen. Zudem gibt es weitergehende Bewegungen in den USA, die zum Ziel haben, Steueroasen trocken zu legen. Die Forderungen gehen dort teils weit über FATCA hinaus. Aber auch innerhalb der Schweiz ist unterdessen ein strategischer Richtungswechsel absehbar.

Kürzlich wurde ja sogar gesagt, dass man darüber nachdenken sollte, doch am besten gleich auf den automatischen Austausch mit der EU zu setzen und nicht für jedes Land einzeln zu verhandeln. Persönlich finde ich diese Aussage etwas gewagt, doch sie zeigt die Richtung an, in die es gehen könnte. Nicht vergessen darf man auch mögliche neue OECD-Richtlinien, die kommen könnten und die die Schweiz ohne Wenn und Aber umsetzen müsste.

Nebst den Banken gibt es auch noch weitere Unternehmen, die Finanzgeschäfte tätigen, zum Beispiel Versicherungen oder unabhängige Vermögensverwalter. Inwiefern sind diese Firmen von den neuen Vorschriften betroffen?

Sie sind betroffen, sind jetzt allerdings erst in jener Phase, wo sie das realisiert haben. So sind vor gut drei Wochen die finalen Richtlinien bezüglich der Umsetzung von FATCA herausgekommen. Auf der einen Seite sehe ich auf die über 2000 unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz Probleme zukommen, weil sie im Gegensatz zu den Banken noch wenig bis keine FATCA-Projekte aufgegleist haben.

Man spricht häufig davon, dass es bei den Banken eine Konsolidierungswelle geben könnte. Ich sehe die viel eher auf die Vermögensverwalter zukommen. Auf der anderen Seite hofften die Versicherungen wohl lange, dass sie FATCA nicht umsetzen müssen. Doch eigentlich ist es völlig klar, dass es auch sie betrifft, denn es fliesst heute sehr viel Geld in sogenannte Versicherungsmäntel. Das ist ein System, bei dem Kunden ihre Portfolios an Versicherungen übergeben, die diese in Versicherungsprodukte verpacken und dann die Erträge über Renten zurückzahlen.

Das ist ein steuerlich optimiertes Modell, das zulässig ist, auch in Deutschland. Man geht dort davon aus, dass das versteuertes Geld ist. In der Schweiz hingegen ist zuletzt sehr viel Geld in solche Produkte geflossen. Somit ist klar, dass auch Versicherungen von FATCA betroffen sein müssen, alles andere wäre unverständlich.