Aus der aktuellen Ausgabe

Sunrise-CTO: "Der Schweizer Markt ist heute sehr empfänglich für IPTV"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher, Simon Zaugg

Am 19. Januar hat Sunrise ein eigenes IPTV-Angebot lanciert. CTO Kamran Ziaee, der im März 2011 zum Schweizer Telko kam, berichtet im Interview, warum es ihn aus Deutschland in die Schweiz zog, worin seine Rolle bei der Lancierung bestand und was die grossen Herausforderungen der Zukunft sein werden.

Herr Ziaee, wie oft haben Sie eigentlich Zeit, um TV zu schauen?

Normalerweise sehe ich an Wochenenden fern. Seit wir unser TV-Angebot lanciert haben, ist es etwas mehr. Das heisst, auch an einigen Tagen während der Woche und ganz sicher am Samstag und am Sonntag. Ich klicke mich durch das Programm und probiere die verschiedenen Funktionen aus. Ich habe auch meine Frau gebeten, Sunrise TV zu testen und mir zu sagen, was sie mag und was nicht. Ich hatte Sunrise TV bereits hier in meinem Büro, bevor unsere sogenannten FUT-Users (Friendly-User-Test) es testen konnten. FUT-Users, das sind einige 100 Angestellte von Sunrise. Diese starteten im Spätsommer 2011 mit dem Testen des Angebots. Von ihnen haben wir viele nützliche Feedbacks bekommen, speziell in Bezug auf Usability. Auch ich brauchte eine gewisse Zeit, bis ich wirklich wusste, was ich an unserem Angebot mag und was nicht. Ich lieferte unserem Team dann immer wieder Inputs. Zuletzt hatte ich immer weniger zu kritisieren, weil es jetzt wirklich gut funktioniert.

Bevor Sie zu Sunrise gekommen sind, haben Sie mehrere Jahre beim deutschen Kabelnetzbetreiber Unitymedia gearbeitet. Was genau hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?

Ich arbeitete Mitte der 1990er-Jahre bereits einmal in den USA für ein Telekommunikationsunternehmen. Davor war ich in der IT in verschiedenen Industrien tätig, meistens in der Beratung. Im Jahr 2000 bekam ich die Chance, in Europa zu arbeiten, durch eine Firma namens NTL. Danach ging ich nach Deutschland, weil das Unternehmen Unitymedia dort zur NTL-Gruppe gehörte. Dort blieb ich für acht Jahre. Dann wurde die Firma 2010 an UPC verkauft. Als das Angebot von Sunrise kam, schaute ich mir das sehr genau an. Ich sah, dass viel Potenzial in der Firma steckt. Sie ist in der Schweiz sehr bekannt und hat eine gute Kundenbasis. Die Projekte waren gut durchdacht. Zudem kannte ich den Besitzer CVC schon zuvor, weshalb ich bereits einige Kenntnis von ihrer Strategie hatte. Ich weiss, dass CVC sehr viel am Wachstum ihrer Firmen liegt und daher eine klare Investitionsstrategie verfolgt. Das Wertesystem stimmte also genau mit dem überein, wonach ich gesucht hatte. Und nicht zuletzt mag ich die Schweiz sehr. Meine Frau und ich waren hier schon sehr oft in den Ferien.

Wie weit entwickelt schätzen Sie den IPTV-Markt Schweiz ein, zum Beispiel im Vergleich zum Markt in Deutschland, wo Sie lange Zeit gearbeitet haben?

Der Entwicklungsstand in der Schweiz ist ganz gut. Deutschland war lange ein bisschen im Rückstand und hat zuletzt aufgeholt. Die Deutsche Telekom bietet natürlich heute IPTV an. Der Rückstand hat damit zu tun, dass die Kabelnetzbetreiber in Deutschland sehr stark sind. Der grösste Betreiber ist Kabel Deutschland, dann kam Unitymedia, wo ich gearbeitet habe. Wenn man sich die Marktanteile ansieht, dann ist Kabel noch weit vorn beim digitalen und analogen TV. In der Schweiz haben die jetzigen Player mit IPTV einen guten Job gemacht. Nicht zuletzt deshalb ist der Schweizer Markt heute sehr empfänglich für IPTV.

Sie kamen im März des letzten Jahres zu Sunrise. Wie weit fortgeschritten war das Vorhaben zu diesem Zeitpunkt? Und was konnten Sie noch beeinflussen?

Das IPTV-Projekt wurde schon vor meiner Zeit bei Sunrise gestartet. Unter anderem war der Selektionsprozess für unseren Partner Netstream bereits weit fortgeschritten. Auch andere wichtige Meilensteine waren schon definiert. Mein Beitrag bestand insbesondere darin, meine Erfahrungen und mein Know-how aus dem Kabel- und TV-Business weiterzugeben. Also zum Beispiel, welche Funktionen das Angebot haben soll. Eine Neuheit ist beispielsweise "ComeBack TV", das wir bislang als Einzige im Markt anbieten. Swiss­com hat diese Funktion erst kurz vor unserem Produkte-Launch angekündigt. Bei Sunrise TV lässt sich das Fernsehprogramm von 40 Sendern noch bis zu 28 Stunden nach der Ausstrahlung anschauen. Unser Team hat wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Weiter ist es uns ein Anliegen, den nächsten Schritt hin zu FTTH umzusetzen. Im Moment sind wir mit dem TV-Angebot noch auf DSL. Ab Mitte dieses Jahres werden wir die identischen Pakete auch auf Glasfaser anbieten können. Die langfristige Strategie von Sunrise ist die Verlagerung der Dienste auf Glasfaser. Wir sind diesbezüglich auch in Verhandlungen mit verschiedenen Anbietern, sprich Elektrizitätswerken.

Wie lange hat es eigentlich gedauert, die ­Infrastruktur für IPTV aufzubauen?

Angefangen hat, wie bereits gesagt, alles vor meiner Zeit. Ende 2010 beschloss Sunrise diesen strategischen Schritt, ab 2011 begann man mit aller Kraft, am IPTV-Angebot zu arbeiten.

Sie haben die Zusammenarbeit mit Netstream erwähnt. Was genau machen Sie ­alles mit Partnerfirmen und was macht Sunrise selbst? Was steckt für eine Strategie dahinter?

Sunrise hatte klare Vorstellungen des zukünftigen Produkts, und wir haben uns stark auf die Entwicklung konzentriert. Das begann mit der Evaluierung unserer Partner. Mit Netstream haben wir dann während der ganzen Entwicklungszeit sehr eng zusammengearbeitet, um Design, Nutzeroberfläche und die Funktionen umzusetzen und so das Kunden­erlebnis zu optimieren. Wie effizient kann sich der Nutzer im Programm bewegen? Wie benutzerfreundlich ist es? Das sind alles Fragen, um die wir uns gekümmert haben. Und selbstverständlich haben auch wir uns selbst um die Senderauswahl gekümmert. Die ganze technische Entwicklung wurde von Netstream umgesetzt. Das Packaging und die Übertragung geht durch ihr Netzwerk zu unseren Kunden. Diese Partnerschaft verkürzte die Zeit bis zur Markteinführung und garantiert eine ressourcen-effiziente Umsetzung. Da wir uns auf unser Kerngeschäft konzentriert haben und die restlichen Dienstleistungen von unserem Partner beziehen, ist das für Sunrise auch aus finanzieller Sicht ­attraktiv.

Sie haben jetzt vor allem über die Optimierung des Nutzererlebnisses gesprochen. Welches waren im Rückblick andere grosse Herausforderungen bei der Produktentwicklung?

Der grosse Unterschied der DSL- respektive IPTV-Welt zu jener der Kabelnetzbetreiber ist die zurzeit noch kleinere Kapazität. Im Kabelnetz benutzt man die sogenannte Simulcast-Technik, um alle Kanäle zu senden. Auf DSL ist es anders: Wir nutzen die Multicast-Technik. Das heisst, wir haben mehr "Intelligenz" bei der Übertragung. Der Vorteil von Multicast besteht darin, dass gleichzeitig Signale an mehrere Teilnehmer oder an eine geschlossene Teilnehmergruppe übertragen werden können, ohne dass sich beim Sender die Bandbreite mit der Zahl der Empfänger multipliziert. Hinter Video-on-Demand oder "ComeBack TV" steckt die ebenfalls weitverbreitete Unicast-Technik. Eine weitere He­rausforderung ist, dass das TV-Signal durch drei verschiedene Netze geht: durch das Netz unseres Partners Netstream in Dübendorf, durch unser eigenes Netz und schliesslich durch das VDSL-Netz zu unseren Endkunden. Das heisst, es gibt eine Vielzahl von Einrichtungen, die das Signal unterwegs passiert. Es ist eine Herausforderung, das alles im Griff zu haben, denn der Kunde bemerkt auf seinem Bildschirm jede Störung und jedes Ruckeln. Wir müssen also das Netzwerk gut verstehen. Dafür haben wir Sensoren eingebaut, die die Signale ständig messen. Primär geht es darum, die Servicequalität, also die Quality of Service im Datennetz, jederzeit zu gewährleisten. Eine weitere Herausforderung war es, sicherzustellen, dass alle Funktionen zum Zeitpunkt der Lancierung auch tatsächlich funktionieren. Da steckte teilweise viel Detailarbeit dahinter.

Arbeiten Sie mit Akamai oder einem anderen Content Distribution Network zusammen?

Nein, wir haben unsere eigene Caching-In­frastruktur. Alles ist sehr nahe beieinander: Wir starten bei Netstream und gehen dann über unser eigenes Netzwerk. Es ist uns deshalb möglich, wo nötig, Caching-Server einzubauen. Wir haben zwei Verbindungen zu Swisscom. Dort sind zwei Caching-Server platziert, um die Auslastung vom Unicast-Traffic zu balancieren. Bei den Codecs setzen wir exklusiv auf h.264. Für die Standardauflösung nutzen wir 5 MB/s Bandbreite, für HD sind es 10 MB/s. Wir komprimieren sämtliche Signale im h.264-Format.

Wo werden die Daten gespeichert, wenn ein Zuschauer die Live-Pause betätigt oder eine Sendung aufzeichnet?

Die Sunrise-Settop-Box ist mit einem Harddisk-Drive ausgestattet. Das ist heute Standard. Wenn man also die Aufnahmefunktion nutzt, werden die Daten lokal auf der Box gespeichert. Wir haben Pläne für die Zukunft und wir werden das Produkt weiter ausbauen. Dazu kann ich aber im Moment noch nichts sagen.

Von wem beziehen Sie das Video-on-Demand?

Filme und Serien beziehen wir von der Neuenburger Firma Homedia. Deren Brand heisst "HollyStar". Die Firma kam ursprünglich aus dem Videoverleih, heute bietet sie Video-on-Demand an. Wir wollen unser Angebot kontinuierlich ausbauen.

Ein Thema sind Sportübertragungen. Die ­haben Sie ja im Moment nicht im Angebot.

Die sind im Moment schlicht nicht verfügbar. Wir sind mit Teleclub laufend in Kontakt. Für den Moment gestalten sich die Verhandlungen eher schwierig. Die Rechte an den Sportveranstaltungen sind über Jahre hinaus vergeben. Das Geschäft mit den Sportübertragungen ist ein "Big Game". Es kostet viel. Wir sehen aber auch, dass es ein grosses Bedürfnis ist. Wir bleiben dran.

Swisscom hat aktuell rund 600 000 IPTV-Kunden. Haben Sie eine Zielvorgabe, bis wann Sie wie viele Kunden auf Ihrem Angebot haben möchten?

Ganz viele. (Lacht) Wir haben jetzt das Produkt lanciert. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt haben erfreulich viele Kunden bestellt, dies ohne dass wir übermässig viel Werbung und Hype um unser Produkt gemacht hätten. Über konkrete Zahlen werden wir zu gegebener Zeit Auskunft geben. Uns zum jetzigen Zeitpunkt mit Swisscom zu vergleichen, die schon sechs Jahre Erfahrungen sammeln konnte, ist nicht ganz aussagekräftig. Es ist wichtig zu sehen, dass wir erst am Anfang stehen.

Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: Wie werden wir in zehn Jahren TV schauen?

Ich denke, dass die Konsumenten immer mehr auswählen werden, was sie schauen wollen. Sie wollen nicht mehr nur gefüttert werden. Ich kann das auch bei mir selbst beobachten: Ich schaue das normale lineare TV nur noch selten. Vielmehr zeichne ich Sendungen auf, die ich mir dann später anschaue, zum Beispiel mit der "ComeBack TV"-Funktion. Und es geht auch nicht mehr um Videos. Es geht um Inhalte. Es geht dann darum, diese auf allen möglichen Endgeräten zu konsumieren. Zum Beispiel werden auch Apps vermehrt im TV Einzug halten.