Offene Wolke

Viele Open-Source-Wege führen in die Cloud

Uhr | Aktualisiert
von Rodolphe Koller, Übersetzung: Marion Ronca

Plattformen wie Openstack und Cloudstack wollen den Aufbau einer Cloud vereinfachen, die Verwaltung von Multi-Cloud-Umgebungen erleichtern und proprietäre Lösungen ersetzen. So entsteht eine Open-Source-Alternative zu Amazons Web Services.

Verschiedene Open-Source-Cloud-Plattformen wetteifern gegenwärtig um die Position des Marktführers und würden sich gerne als Standard durchsetzen. Openstack und Cloudstack besitzen dank der Unterstützung ihrer jeweiligen Communitys und der gewichtigen Anbieter dahinter die besten Chancen, sich den Löwenanteil des florierenden Marktes zu sichern. Weniger aussichtsreich ist die Position für die Projekte "Eucalyptus" und "Opennebula". Die Entwicklung des Marktes ist spannend, denn alle Plattformen haben sich zum Ziel gesetzt, die vielfältigen Hindernisse für Unternehmen auf dem Weg in die Private oder Public Cloud zu überwinden. Laut einer Umfrage von Vanson Bourne von letztem Mai überlegen sich zwei Drittel der IT-Verantwortlichen, innerhalb der nächsten drei Jahre Open-Source-Cloud-Dienste einzusetzen. 58 Prozent erachten jedoch die Komplexität ihrer IT-Infrastruktur als Haupthindernis auf dem Weg in die Cloud.

Die Open-Source-Cloud-Plattformen erlauben es in unterschiedlichem Masse, den Infrastruktur-Stack der Unternehmens-IT zu verwalten und die Interaktion mit den Public Clouds zu vereinfachen. Einerseits wollen die Plattformen Unternehmen eine bessere, einfachere und kosteneffizientere Verwaltung von Umgebungen ermöglichen, die vor lauter virtuellen Systemen unübersichtlich und komplex geworden sind. Andererseits unterstützen sie IT-Abteilungen und IaaS-Anbieter beim Provisioning und Entwickler bei der Bereitstellung von kombinierten Rechenleistungen, Netzwerken und Storage. "Ein Cloud-OS ermöglicht den Betrieb einer Datacenters-Architektur. Es dient der schnellen Ressourcenversorgung und der Verwaltung der Systeme", fasst Taylor Rhodes, Senior Vice President und Managing Director International bei Rackspace die Hauptmerkmale zusammen.

Jeder Betreiber einer IT-Infrastruktur möchte sich nicht zuletzt proprietärer Lösungen entledigen und eine barrierefreie Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Clouds erreichen. "Jenseits des Ökosystems besteht der grosse Vorteil für den Kunden darin, seine Stack-Infrastruktur mit denjenigen Technologien entwickeln zu können, die er selbst vorzieht, und diese Lösung bei verschiedenen Cloud-Anbietern implementieren zu können", erklärt Pierre Perdaems, Architekt bei IBM Schweiz.

Zwischen Vcloud und Amazon

Es erstaunt ein wenig, dass die Verfechter von offenen Clouds, wenn sie ihre Vorstellungen erläutern, sich immer als Erstes auf die proprietären Lösungen von VMware und Amazon beziehen. So wollen sie für Rechenzentren und die Private Cloud eine Orchestrierungslösung bieten, die weniger teuer und offener als Vcloud ist, und den Unternehmen sogar ermöglichen, den einen oder anderen Hypervisor zu ersetzen. Die Mehrheit der Plattformen kann sich ausserdem sowohl mit ESX als auch mit den Konkurrenzprodukten verbinden.

Wenn es dagegen um Public Clouds für Entwickler geht, wird immer Amazon genannt. "Die Grundidee von Eucalyptus und Cloudstack bestand ursprünglich darin, EC2 zu klonen und jedem zu ermöglichen, seine eigene Cloud in Stil von Amazon zu bauen", verdeutlicht Sébastien Goasguen, Open Source Cloud Computing Evangelist bei Citrix und Mitarbeiter des Cloudstack-Projekts, die Idee. Der chronische Mangel an Cloud-Standards etablierte "Amazon EC2 als De-facto-Standard", schätzt Marc-Elian Bégin, Mitbegründer des jungen Genfer Unternehmens Sixsq. Dessen Multi-Cloud-Verwaltungslösung Slipstream verfügt entsprechend über Anbindungen an EC2 wie auch an Cloudstack und Eucalyptus.

Als Pionier und klarer Marktführer mit dem breitesten Angebot und unschlagbaren Preisen ist Amazon Web Services (AWS) der grösste Konkurrent der offenen Plattformen. Zum Vorteil der Open-Source-Anbieter scheint sich Amazon gegenwärtig nicht für Private Clouds zu interessieren, sondern konzentriert sich ausschliesslich auf öffentliche IaaS-Dienstleistungen. Diese Situation könnte sich aber ändern, da das Unternehmen derzeit mit IBM für einen Mega-Vertrag für die Bereitstellung einer Privat-Cloud-Infrastruktur für die CIA wetteifert. Einen anderen Hinweis für einen Strategiewandel von Amazon liefert die Abwerbung eines Cloud-Infrastruktur-Spezialisten von VMware, den Amazon an die Spitze einer neuen Einheit setzen will.

Die Openstack-Offensive

Unter den konkurrierenden Plattformen ist Openstack zweifellos diejenige, die am meisten von sich reden macht und über die aktivste Community verfügt, auch aus akademischen Kreisen der Schweiz (ETHZ, Universität Zürich, Genfer Fachhochschule, ZHAW und Cern). Die Open-Source-Lösung wurde in Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der NASA und Rackspace 2010 entwickelt, wobei beide Parteien einen Teil des Quellcodes lieferten. Das Projekt wird heute von der Openstack Foundation geleitet. An Bord sind auch grosse IT-Anbieter wie Brocade, Cisco, HP, IBM, Rackspace, Red Hat und erstaunlicherweise sogar VMware. Auf der Website präsentiert sich Openstack als ein "Cloud-Betriebssystem, das Rechenleistung, Speicher und Netzwerk innerhalb eines Rechenzentrums über ein zentrales Dashboard verwaltet".

Gegenüber seiner Konkurrenten profitiert Openstack von der Marketingstärke seiner Mitglieder, allen voran von Rackspace. Das Unternehmen wirbt in Europa aktiv für das Projekt. "In der Schweiz stelle ich ein wachsendes Interesse für die Plattform fest, und dies sowohl bei den Entwicklern als bei den IT-Verantwortlichen", freut sich Markus Mattmann, seit letztem Herbst EMEA-Chef des Unternehmens. Rackspace versucht auch die Telekommunikationsanbieter für seine Lösung zu gewinnen, damit diese mit Openstack ihre eigene IaaS bauen oder Dienstleistungen von Rackspace unter ihrer eigenen Marke verkaufen. Das Unternehmen hat auch das Cern überzeugt, Opennebula aufzugeben und sich Openstack anzuschliessen (siehe auch Interview auf Seite 12).

Der zweite wichtige Akteur bei Openstack, HP, hat Mitte Juni das HP Cloud OS angekündigt. Dabei handelt es sich um eine Cloud-Plattform, die auf Openstack aufbaut und mit zahlreichen zusätzliche Lösungen für Private und Public Clouds und für die Verwaltung von Cloud-Dienstleistungen aufwartet. "Wir haben die zweitgrösste Community von Openstack-Entwicklern und haben zwei Mitglieder im Verwaltungsrat", sagt Elke Thomas, Leiterin Presales und Cloud für Skandinavien, Benelux und die Alpenregion bei HP. Sie ergänzt, dass sich Openstack in die Hybrid-Cloud-Strategie von HP einfüge und dass es sich dabei um eine logische Wahl handle, sowohl was die technischen Merkmale betreffe als auch hinsichtlich der Dynamik der Community.

IBM hat dieselbe Wahl wie Konkurrent HP getroffen, indem sich das Unternehmen der Openstack-Community anschloss und Treiber für seine Storage-Lösung und seinen Hypervisor entwickelte. Nach dem Beispiel von HP setzt das Unternehmen auf Openstack für Private und Public Clouds und hat zusätzliche Tools entwickelt, wie ein IaaS-Portal und Verwaltungswerkzeuge. Pierre Perdaems,Architekt bei IBM Schweiz, betont, dass die Wirksamkeit einer bestimmten Open-Cloud-Strategie letztlich nicht nur von der Plattform abhänge, sondern auch "vom zugrundeliegenden Verhalten des Systems der jeweiligen Anbieter".

Dank seiner zahlreichen Entwickler hat Openstack eine ambitionierte Roadmap mit dem klaren Ziel, sowohl die Open-Source-Konkurrenten als auch AWS hinter sich zu lassen. "Die Plattform wird langsam erwachsen, und der Funktionsumfang nimmt rapide zu", verspricht Taylor Rhodes von Rackspace. Doch wie bei anderen Open-Source-Projekten stellt sich auch hier die Frage, welche Funktionalitäten innerhalb der Plattform realisiert werden und welche nur in bestimmten Varianten der Anbieter verfügbar sind. "Wir meinen, dass sich unsere Ausgabe als Standard etablieren wird, so wie sich Red Hat mit Linux etablieren konnte", mutmasst Rhodes.

Die Einfachheit von Cloudstack

Das 2012 gegründete Projekt Cloudstack könnte für Openstack zum ernsthaften Konkurrenten werden. Cloudstack überzeugt Anbieter, die sich auf die Entwicklung von Public-IaaS-Dienstleistungen konzentrieren, und besticht durch seine Einfachheit. "Wir haben zunächst versucht, unser Angebot mit Openstack zu bauen. Es stellte sich heraus, dass der Stack eine grosse Sammlung von wenig dokumentierten Werkzeugen ist, die man nicht ohne Weiteres zur Entwicklung von Dienstleistungen einsetzen konnte. Wir haben uns schliesslich für Cloudstack entschieden, da wir die Lösung innerhalb einer Stunde installieren und testen konnten. Binnen eines Monats sind wir dann zum professionellen Level übergegangen", erklärt Prodosh Banerjee, CEO des Zürcher Unternehmens Anolim, das virtuelle Rechenzentren anbietet. Eine ähnliche Vorgehensweise wählte AntoineCoetsier, der für den Aufbau der Infrastruktur von Exoscale verantwortlich ist, dem IaaS-Angebot von Veltigroup: "Cloudstack hatte bereits einen Kundenstamm und war einfacher zu benutzen. Ausserdem fehlten Openstack gerade im Bereich der Nutzungsberechnung und der fortgeschrittenen Benutzerverwaltung bestimmte Funktionen."

Diese Unterschiede lassen sich laut Goasguen, Mitglied im Cloudstack-Projekt, mit der Entstehungsgeschichte erklären: "Während Openstack und die anderen Plattformen einen akademischen Hintergrund haben, wurde Cloudstack vom Unternehmen Cloud.com, das 2011 von Citrix aufgekauft wurde, ins Leben gerufen. Die Lösung gleicht damit eher einem Produkt mit einer zentralen Verwaltungskonsole, die alle Komponenten vereinigt." Nicht alle Meinungen sind jedoch so dezidiert. Einerseits anerkennen die Verwender von Cloudstack, dass Openstack den Rückstand aufholt und über ein leistungsfähiges Marketing wie auch über eine sehr aktive Community verfügt. Auf der anderen Seite geben die Unternehmen, die Openstack unterstützen, zu, dass ihre Plattform, obschon sie älter ist, noch nicht die volle Reife erreicht hat.

Wird sich ein Standard durchsetzen?

Wird sich eine dieser offenen Plattformen als Standard die nächsten Jahre durchsetzen und die proprietäre API von Amazon verdrängen können? Während Rackspace diesbezüglich sehr selbstbewusst auftritt, geben sich die anderen Akteure vorsichtiger. Doch viele Nutzer von offenen Cloud-Plattformen dürften noch kein abschliessendes Urteil über den künftigen Standard gefällt haben. Antoine Coestier etwa hat zwar für Exoscale auf Cloudstack gesetzt. Er verfolge aber die Entwicklungen von Openstack aufmerksam. Goasguen glaubt ebenfalls nicht, dass eine der Plattformen plötzlich verschwindet – mit Ausnahme der kleineren Projekte, denen das Geld ausgehen könnte. Die IT-Dienstleister sind sich jedoch darin einig, dass die Zukunft der Hybrid-Cloud gehört und dass die Frage nach der Verwaltung von Private und Public Clouds in einer gemeinsamen offenen Lösung an Bedeutung gewinnen wird. Gemäss einer Umfrage von Coleman Parkes Research sollen bis 2016 drei Viertel der Unternehmen mit hybriden Umgebungen arbeiten.

Marc-Elian Bégin, Mitbegründer von Sixsq, ist für seinen Teil der Ansicht, dass die Kommunikationsfähigkeit und Orchestrierung der Clouds künftig auf einer höheren Ebene geschehen wird: "Ich meine, dass die Abstraktion eher auf dem Niveau des PaaS stattfinden kann, um Anwendungen auf eine dynamische Weise bereitzustellen." Mit Slipstream bietet das junge Genfer Unternehmen eine unabhängige Multi-Cloud-Lösung an, die genau in diese Richtung geht und eine freie Wahl des Stacks erlaubt. Benutzt wird dieses Produkt etwa von Atos, Interoute, der Europäischen Rundfunkunion und der Europäischen Weltraumorganisation. Bégin zufolge hat eine Abstraktionsebene, die von den Stacks unabhängig ist, den Vorteil, dass sie die Unternehmen auf ihren Weg in die Cloud begleitet: "Die Unternehmen beginnen damit, ihre Umgebungen zu ‹cloudifizieren›, dann verschieben sie Anwendungen in entfernte Clouds und schliesslich nehmen sie Dienste von öffentlichen Clouds in Anspruch."