Vertragsrecht

Der IT-Vertrag als Bumerang - Teil 2

Uhr | Aktualisiert
von asc und Lilian Snaidero Kriesi

IT-Projekte sind oft eine grosse Herausforderung für Unternehmen. Die Rechtsanwältin Lilian Snaidero Kriesi zeigt Massnahmen auf, die sich im Rahmen eines IT-Projektes klärend, zeit- und kostensparend auswirken können.

Vor ein paar Monaten wurde der Fachartikel der Rechtsanwältin Lilian Snaidero Kriesi "Der IT-Vertrag als Bumerang – Teil 1" bereits auf Netzwoche.ch publiziert. Darin griff sie diverse Klauseln eines IT-Vertrages auf, die bei mangelhafter Regelung zu Streitigkeiten führen und sich damit als Bumerang erweisen können. Im Sinne einer Fortsetzung des Artikels werden nun einige weitere Massnahmen aufgezeigt, die sich im Rahmen eines IT Projektes klärend, zeit- und kostensparend auswirken können.

Regelung der Hierarchie der Vertragsdokumente

Problem: In der Praxis wird im IT Vertrag oft — meistens aus Zeitmangel - auf diverse Dokumente wie Offerte, Spezifikationen, Protokolle und sonstigen Schriftverkehr verwiesen (so insbesondere im Zusammenhang mit dem Leistungsumfang oder den Abnahmekriterien). Da es sich dabei jeweils um Dokumente jüngeren und älteren Datums handelt, die zudem oft unabhängig voneinander erstellt wurden, können widersprüchliche Regelungen und nachfolgende Streitigkeiten nicht ausgeschlossen werden.

Massnahme: Die Zeit fehlt, um sämtliche Dokumente — wie im letzten Fachartikel unter Liefer- oder Dienstleistungsumfang empfohlen — in ein neues zu giessen und vollständig zu überarbeiten. In diesen Fällen empfiehlt es sich, im IT-Vertrag mindestens die Reihenfolge der Geltung der besagten Dokumente bei allfälligen Widersprüchen zu vereinbaren. Konkret bedeutet dies, dass im IT-Vertrag festzulegen ist, welches Dokument im Falle widersprüchlicher Regelungen Vorrang haben soll.

Fazit: Mit einer klaren Regelung der Hierarchie der diversen Vertragsdokumente, auf die im IT-Vertrag verwiesen wird, können wenigstens die Diskussionen über die Rangfolge der Geltung der entsprechenden Dokumente vermieden werden.

Änderung des Lieferobjektes nach Vertragsabschluss

Problem: Der Lieferant stellt dem Besteller eine Rechnung für Zusatzaufwendungen, da er der Ansicht ist, dass die letzten, vom Besteller gewünschte Änderungen am Lieferobjekt nicht im vereinbarten Preis gemäss IT-Vertrag enthalten sind. Der Besteller geht demgegenüber davon aus, dass diese Leistungen im Rahmen des IT-Vertrages erfolgten und ist nicht bereit, diesen Zusatzbetrag zu bezahlen.

Massnahmen:

  • Den Inhalt des Vertrages kennen und dessen Durchführung überwachen (Vertragscontrolling): Der beste Vertrag nützt nichts, wenn die Parteien zu spät merken, dass sie sich vom vereinbarten Vertragsinhalt entfernt haben.
  • Im IT-Vertrag eine Klausel aufnehmen, die den Vertragsparteien aufzeigt, wie sie vorzugehen haben, wenn sie eine vertragliche Änderung (z.B. eine Änderung am Lieferobjekt) wünschen.

Fazit: Die Vereinbarung einer Änderungsklausel (Request for Change Prozess) und die konsequente Überwachung der Vertragsdurchführung tragen der Transparenz und Klarheit bei der Erfüllung des IT-Vertrages bei. Geht der Lieferant davon aus, dass die vom Besteller gewünschten Änderungen am Lieferobjekt einen Zusatzaufwand darstellen, kann er gemäss vereinbarter Änderungsklausel vorgehen. Dabei kann es sich beispielsweise um die Erstellung eines Request for Change Formulares handeln. Sobald dieser von beiden Vertragsparteien unterzeichnet wurde, beginnt der Lieferant mit den entsprechenden Änderungen.

Abhängigkeit zum Lieferanten?

Problem: Der Besteller hat eine Software lizenziert und in Betrieb genommen. Der Wartungsvertrag konnte noch nicht unterzeichnet werden, da sich die Vertragsparteien weder über den Umfang der Wartungsleistungen noch über die Höhe der Wartungsgebühren einig geworden sind. Die Zeit verstreicht. Die Situation wird für den Besteller immer einseitiger, da er auf die Wartung durch den Lieferanten angewiesen ist.

Massnahme: Es empfiehlt sich, den Lizenz- und den Wartungsvertrag gleichzeitig (das heisst als ,Package') auszuhandeln und zu unterzeichnen.

Fazit: Je unabhängiger die Parteien bei den Vertragsverhandlungen sind, desto ausgewogener wird der Vertraginhalt für beide ausfallen.

Der Lieferant ist nicht mehr in der Lage, die Software zu warten?

Problem: Der Lizenz- und der Wartungsvertrag wurden bereits unterzeichnet und die Software erfolgreich in Betrieb genommen. Diese Software hat für den Besteller strategische Bedeutung. Zwei Jahre später erbringt der Lieferant seine Wartungsleistungen plötzlich nicht mehr. Gespräche und Mahnschreiben fruchten nicht. Im IT Vertrag wurde dieser Fall nicht vorgesehen.

Massnahmen: Lizenziert der Besteller eine strategisch wichtige Software, sollte er sich immer gleichzeitig die Frage stellen, welche Alternativen ihm zur Verfügung stehen, falls die Wartung nicht mehr erbracht wird. Eine Möglichkeit ist der Abschluss eines Escrow Agreements (Hinterlegungsvertrag) und die entsprechende Hinterlegung des Source Codes beim Escrow Agent. Da eine derartige Herausgabe normalerweise unter hohem zeitlichen Druck steht, empfiehlt es sich, den Source Code in demjenigen Land zu hinterlegen, wo sich der Sitz des Bestellers befindet. Wichtig ist zudem, dass es sich beim hinterlegten Souce Code um diejenige Software Version handelt, die beim Besteller aktuell in Betrieb ist. Eine entsprechende Vereinbarung im Hinterlegungsvertrag ist von Vorteil.

Fazit: Hat der Lieferant die Wartungsleistungen eingestellt, weil er beispielsweise in Konkurs geraten ist oder liquidiert wird, kann der Besteller beim Escrow Agent die Herausgabe des Source Codes verlangen und die Wartungsleistungen an der Software selber oder durch einen Dritten erbringen lassen.

Schlusswort

Die vorstehenden Massnahmen sollen ebenfalls dazu beitragen, einen klaren und transparenten IT-Vertrag abzuschliessen und vielleicht sogar ein wenig die Motivation der Vertragsparteien steigern, einen solchen zu prüfen und auszuhandeln.

Im nächsten Fachartikel wird Lilian Snaidero Kriesi wiederum drei bis vier Klauseln im Bereich des IT-Vertrags aufgreifen mit dem Ziel, Ihnen weitere praktische Tipps im Zusammenhang mit den IT-Verträgen aufzuzeigen.

Lilian Snaidero Kriesi  Die Autorin Lilian Snaidero Kriesi schloss das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Zürich ab (1992). Anschliessend war sie rund 18 Monate an einem Bezirksgericht tätig. Nachdem sie 1994 das zürcherische Anwaltspatent erworben hatte, vollzog sie einen 6-monatigen Aufenthalt am Obergericht Zürich. Es folgten drei Jahre im Rechtsdienst eines Dienstleistungsunternehmens sowie 11 Jahre als Rechtskonsulentin einer Schweizer Grossbank, wo sie zahlreiche IT-Projekte betreute. Am 15. März 2010 eröffnete Lilian Snaidero Kriesi ihre eigene Anwaltskanzlei.