MOOC-Markt

Bits, Bytes und Bildung

Uhr | Aktualisiert
von Marcel Urech

Hochschulen sind im digitalen Zeitalter angekommen und stellen Vorlesungen gratis ins Internet. Eine Bildungsrevolution? Die Redaktion hat sich auf dem Markt ­umgeschaut.

(Quelle: CPNV)
(Quelle: CPNV)

Prof. Dr. phil. habil. Heinz Schüpbach referiert an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) über Arbeitspsychologie. Sachlich und ruhig erklärt er seinen Studenten, dass Burnouts als chronische Sättigung betrachtet werden können. Ein Burnout sei ein Verlust von Kontrolle und Handlungsfähigkeit. "Wie aber kann es zu einem Kollaps kommen, ohne dass jemand frühzeitig interveniert?", fragt er in die Runde. "Und woran kann ich erkennen, dass ich nicht Burnout-gefährdet bin?" Der Weg in die Erschöpfung drohe immer dann, wenn die Balance zwischen Arbeit und Regeneration aus dem Lot gerate. Mit dieser Aussage schliesst Schüpbach sein Referat und kündigt sogleich die nächste Vorlesung an – sie werde sich um das Thema Arbeitszufriedenheit drehen.

Wer nun glaubt, dass die Lehrveranstaltung in einem Hörsaal an der FHNW in Olten stattfand, irrt. Schüpbach sprach in eine Kamera, produzierte ein Video, ergänzte dieses mit Folien – und veröffentlichte die Vorlesung im Internet. Offline führte er sie schon rund 20 Mal durch, nun ist sie online für die ganze Welt zugänglich. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Immatrikulation nicht nötig. Wer will, kann den Onlinekurs jetzt gleich starten.

Onlinebildung made in Switzerland

Schüpbach nutzt die Lernplattform Iversity. Genauso gut hätte er aber auch eine andere wählen können, denn E-­Learning-Anbieter sind im Internet zahlreich. Coursera etwa hat rund 13 Millionen registrierte Nutzer und bietet über 1000 Lehrveranstaltungen an, darunter auch einige der Universitäten Genf, Lausanne und Zürich sowie der École Polytechnique Fédérale de Lausanne. Die ETH Zürich stellt einige der über 500 Kurse auf Edx bereit.

Futurelearn hat rund 230 Kurse im Angebot und Nutzer aus über 190 Ländern. Das britische Unternehmen kündigte im März 2015 eine Kooperation mit der Universität Basel an. Sie will Onlinekurse im eigenen New Media Center produzieren. Nach einer Pilotphase plant die Uni, jährlich drei zu veröffentlichen. "Die Universität Basel hat sich für Futurelearn entschieden, weil für diese Plattform die hohe Qualität des Angebots eine zentrale Rolle spielt", sagt Maarten Hoenen, Vizerektor Lehre und Entwicklung.

Eine Vorlesung für jeden

Die erwähnten Unternehmen bieten MOOCs (Massive Open Online Courses) an. MOOCs sind Onlinekurse, die meist kostenlos sind und oft Hochschulniveau und hohe Teilnehmerzahlen erreichen. Für den Kurs "Think Again: How to Reason and Argue" der Duke University schrieben sich rund 230 000 Studenten ein. Anbieter von MOOCs hosten auch Lernmaterial und Diskussionsforen. Studenten können sich vernetzen und Lerngruppen bilden. Und die Inhalteanbieter können Statistiken einsehen, um ihre Vorlesungen auszuwerten und zu verbessern.

Sehr aktiv im Internet sind Lehrinstitute, die auf technische Studienrichtungen wie Mathematik oder Informatik spezialisiert sind. So finden sich online hunderte Kurse, die in Programmierung, Webtechnologien oder IT-Sicherheit einführen. Auch spezialisierte Vorlesungen zu "In Memory Data Management" (OpenHPI) oder "Algorithmen und Datenstrukturen" (Iversity) werden angeboten. Für Menschen, die sich im Berufsfeld der ICT bewegen, sind MOOC-Plattformen deshalb besonders interessant.

Europa ist vorne mit dabei

Eine Denkfabrik des Europäischen Parlaments, der European Parliamentary Research Service, befasste sich ebenfalls mit MOOCs. Im Januar 2015 merkte er an, dass viele Fragen noch nicht geklärt seien. Welche Lerninhalte sind für MOOCs geeignet? Wird ihre Qualität geprüft? Und sind auch alle rechtlichen Aspekte geklärt? Trotz dieser Skepsis setzte das EU-Parlament MOOCs auf seine Liste der wichtigsten zehn Technologietrends der Zukunft. Vorlesungen im Internet hätten einen grossen Einfluss auf unsere Gesellschaft. MOOCs würden das Vertriebsmodell von Bildungsinhalten ähnlich stark auf den Kopf stellen wie File­sharing das der Musik- und Filmindustrie.

Auch die Europäische Kommission finanzierte eine Untersuchung zu MOOCs. Die Studie wurde von der European Association of Distance Teaching Universities durchgeführt, die der Fernuniversität in Hagen angehört. Sie befragte 67 Bildungsinstitutionen aus 22 europäischen Ländern. Europäische Hochschulen haben laut dem Bericht eine positivere Sicht auf MOOCs als die Bildungsanbieter in den USA. Fast 72 Prozent der befragten Institutionen führen bereits MOOCs durch oder planen eine Umsetzung. 2013 lag das Engagement im EU-Raum noch bei 58 Prozent.

Doch keine Bildungsrevolution

Trotz allem Enthusiasmus: MOOCs gibt es erst seit sieben Jahren, und die Entwicklung steht noch am Anfang. Bemerkenswert sind die hohen Abbruchraten, die meist bei rund 90 Prozent liegen. Schüpbach beunruhigt das allerdings nicht, wie er im Interview auf Seite 40 erklärt. Etwas anderes aber könnte zum Problem werden: Viele Anbieter finanzieren sich über Risikokapital und sind nicht profitabel. Sie müssen nun tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln, um auf eigenen Beinen stehen zu können. Wie sich das auf die Gratisbildung im Internet auswirkt, ist noch unklar. Die oft gehegte Hoffnung, dass MOOCs den Traum von demokratischer Gratisbildung verwirklichen werden, hat sich bis jetzt auf jeden Fall nicht bewahrheitet.

Einige MOOC-Anbieter im Überblick

www.udacity.com

Udacity kooperiert im Unterschied zu anderen MOOC-Anbietern kaum mit Bildungsinstituten, sondern mit Firmen wie Amazon, Facebook und Twitter. Das von einem Ex-Google-Mitarbeiter gegründete Unternehmen bietet vor allem Kurse in Informationstechnologie, Statistik und künstlicher Intelligenz an. Udacity führt zudem mit AT&T und dem Georgia Institute of Technology einen Master-Studiengang in Informatik durch. Er kostet 7000 US-Dollar. Ohne Zertifikat sind die Kurse gratis.

www.coursera.org

Coursera wurde 2012 von den Informatikprofessoren Andrew Ng und Daphne Koller der Uni Stanford gegründet. Der Anbieter kooperiert mit 119 Partnern. Ausser Yale, Princeton und Columbia bieten auch Schweizer Hochschulen Kurse an. Mit dabei sind die Universitäten Genf, Lausanne und Zürich sowie die Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne. Coursera hat über 13 Millionen Nutzer. Die Kurse sind gratis, die Ausstellung von verifizierten Zertifikaten ist kostenpflichtig.

www.pluralsight.com

Pluralsight ist ein MOOC-Anbieter, der sich selbst als «world’s largest tech & creative training library» beschreibt. Das Unternehmen richtet sich an Berufstätige und ist auf IT-Themen spezialisiert. Microsoft kooperiert mit Pluralsight und stellt Lerninhalte zu Themen wie .Net, Visual Studio und Windows Azure zur Verfügung. Das Angebot ist nicht gratis. Interessierte können Preispläne lösen, die je nach Ausprägung monatlich 29/49 oder jährlich 299/499 US-Dollar kosten.

www.edx.org

Edx wurde im 2012 vom Massachusetts Institute of Technology und der Universität Harvard gegründet und bietet rund 500 Kurse an. Auf der Lernplattform sind Hochschulen wie Caltech, Berkeley und Harvard aktiv – sowie die ETH Zürich und die École Polytechnique Fédérale de Lausanne. Der Quellcode der Website steht unter der Affero General Public License zur Verfügung. Edx ist als Non-Profit-Organisation nicht auf Gewinn aus. Verifizierte Zertifikate kosten trotzdem.

www.iversity.org

Iversity ist die einzige MOOC-Plattform, die gemeinsam mit Hochschulen auch ECTS-Punkte vergibt. Das Angebot ist mit rund 65 Kursen überschaubar, wobei auch die Fachhochschule Nordwestschweiz eine Vorlesung bereitstellt. Iversity plant, seine MOOCs stärker auf die Vermittlung berufsrelevanter Qualifikationen auszurichten. Die Inhalte sollen für Unternehmen, Arbeitnehmer und Selbstständige vermarktet werden. Die Kurse sind gratis, die Ausstellung von Zertifikaten kostet.

www.openhpi.de

OpenHPI ist ein Angebot des Hasso-Plattner-Instituts, das der Uni Potsdam angegliedert ist. Die Plattform bietet neben Einführungskursen in Informatik und Programmierung auch Vorlesungen über In-Memory-Datenmanagement, das semantische Web oder Cloud Computing an. Auf OpenHPI sind rund 87 000 Nutzer aus 150 Ländern registriert. Der Anbieter stellte bis jetzt laut eigenen Angaben kostenlos über 17000 Zertifikate und 20000 Teilnahmebescheinigungen.

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