IT-Landschaft

Die Heterogenität der IT in der öffentlichen Verwaltung

Uhr
von Prof. Dr. Konrad Walser forscht und lehrt am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule

Auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene präsentieren sich die IT-Strukturen in unterschied­licher Form. Die enorme Breite der Aufgaben und unterschiedliche Strukturen der Verwaltung ­haben einen wesentlichen Einfluss auf Architekturen, Integrationen und auf die Heterogenität der IT der öffentlichen Verwaltung. Die Schweiz scheint von einer Harmonisierung und Konvergenz der ­Government-IT weit entfernt. Die Frage stellt sich, ob eine solche nötig ist.

Prof. Dr. Konrad Walser forscht und lehrt am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule
Prof. Dr. Konrad Walser forscht und lehrt am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule

Gemeinden führen typischerweise – wie alle anderen föderalen Ebenen – Arbeitsplatzsysteme mit Office und E-Mail, auf denen Anwendungen laufen, welche die ganze Breite kommunaler Geschäftsprozesse abdecken. Darunter fallen Systeme wie Gemeindeverwaltungslösungen, elektronische Geschäftsverwaltung, Webauftritt und je nach Ausdifferenzierung etwa im Bereich Soziales auch Case-Management-Systeme. Weiter sind ERP-Lösungen zu nennen, die unter anderem den Supportprozessbereich inklusive Finanzen und HR abdecken, aber auch Lösungen für die Kollaboration. Während die ERP-Lösungen die erwähnten Supportprozesse der Gemeindeverwaltung inklusive Finanzen abdecken, decken Gemeindeverwaltungslösungen typischerweise alle Leistungen des Vollzugs von Gesetzen ab. Entsprechende Leistungen werden im eCH-Standard 0070 aufgeführt.

Die Bandbreite der Ausprägungen von Gemeindeorganisa­tionen und deren Ausdifferenzierung sind enorm unterschiedlich. Kleinste Gemeinden können weniger als 100 Einwohner haben, die grösste knapp 400 000 Einwohner. Je ausdifferenzierter Verwaltungseinheiten sind, desto ausdifferenzierter ist auch der Einsatz von IT-Systemen zur Unterstützung des Verwaltungshandelns. Trotzdem fehlt eine idealtypische Landschaft oder Architektur von Fachanwendungen in Gemeinden. Dies auch wegen der Breite der Aufgaben und der enormen Breite, was die Grösse von Verwaltungen angeht. Je nach Softwareanbieter und Dienstleistungsverhältnissen mit IT-Anbietern, aber auch ausgehend von der Maturität der Gemeinde im Umgang mit IT kann die IT von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich heterogen sein. Für Spezialaufgaben können auch alle Arten von Speziallösungen zum Einsatz kommen, etwa für Infrastrukturplanung oder Liegenschaftsverwaltungen etc. Es ist entsprechend fast nicht möglich, ein zweckmässiges Inventar von Anwendungen einer Kommune zu konkretisieren oder gar eine Lösung für alle Anliegen einer Gemeinde zu kreieren, weil wie erwähnt Grösse und Struktur sowie Ausdifferenzierung von Gemeinden einen wesentlichen Einfluss auf die Software- oder Anwendungsstrukturen haben. Auch können in grösseren Gemeinden für die Betreuung der eigenen Infrastruktur auch mobile Lösungen zum Einsatz kommen. Für Parlamente und Regierungen sind überdies Sitzungsmanagementsysteme und kollaborative Plattformen im Einsatz, womit der Regierungs- und Sitzungsbetrieb vereinfacht werden kann.

Heterogene IT-Landschaften integrieren

Eigentlich lassen sich auf einer Gemeinde die folgenden wesentlichen Domänen unterscheiden, die für den IT-Einsatz determinierend sind: Die gesetzgeberische oder politische Domäne der öffentlichen Verwaltung sowie die Leistungs- oder Vollzugsverwaltung. Hinzu kommt der Supportbereich in der öffentlichen Verwaltung für diese selbst, aber auch nachgelagerte Betriebe für die Bereitstellung und die Pflege von Infrastrukturen aller Art von Abwässer über Abfall bis Feuerwehr, Elektrizität und Telekommunikation, Strassen etc.

Die Softwareindustrie hat sich im Gemeindebereich in den vergangenen Jahren laufend entwickelt und entwickelte auch ihre Lösungen immer weiter. Zudem rüsteten Softwareanbieter etwa die Technologiestrukturen auf neue, webtaugliche und über mehrere Endgeräte bedienbare Frontends um etc. In der Tendenz nimmt die Zahl der Anbieter im Bereich der Gemeindeverwaltungslösungen aber eher ab. So konzentriert sich der Wettbewerb auf drei bis vier grössere Anbieter. Was früher im Bereich der Spitäler gelegentlich der Fall war, dass diese Software für ihre Bedürfnisse selbst entwickelten, kommt im Bereich der Kommunen eigentlich nicht vor, zumindest nicht im Bereich der Kernverwaltungssysteme. Bei der Anzahl von Gemeinden in der Schweiz kann etwa im Bereich der Gemeindeverwaltungslösungen durchaus von einem Markt an Standardlösungen für Kommunen gesprochen werden. Was teilweise erst zaghaft geschieht, aber aufgrund von E-Government zunehmend zum Thema wird, ist die Integration der verschiedenen und heterogenen Anwendungslandschaften. Vielfach ist dafür das Know-how bei den Kommunen selbst nicht vorhanden oder aber rar. Schnittstellen zu bauen ist indes auch teuer, sodass diese Aufgaben meist durch die Anbieter von Standardsoftware übernommen werden, oder aber von Rechenzentren, die Services für Gemeinden erbringen, analog zu den oben beschriebenen Funktionalitätsbereichen. Aufgrund der Komplexität der Anwendungen in Zusammenhang mit der E-Government-Entwicklung (oder wegen fehlender personeller Ressourcen in der IT) ist zudem zu beobachten, dass zunehmend selektiv oder vollständig outgesourct wird. Da die teilweise noch mangelhafte Integration der verschiedenen Systeme relativ teuer ist, überlassen dies viele Gemeinden Spezialisten oder sie «lagern auch das Integrationsproblem» mit der Auslagerung von Fachanwendungen aus.

Gemeinden kooperieren bei der IT

Die Bündelungen der vielen Funktionalitäten in Gemeindeverwaltungslösungen und der Einsatz von ERP-Lösungen tragen dazu bei, dass viele Dinge schon in eine entsprechende Lösung integriert werden. Es zeigt sich indes, dass eine eigentliche breite und tiefe Integration zwischen den verschiedenen Systemen, etwa über Bus- und EAI-Lösungen, erst in grösseren Gemeinden oder Städten zunehmend zu einem Thema werden. Auch hier ist viel Spezial-Know-how erforderlich, das in kleinen und mittleren Gemeinden in der Regel fehlt oder nicht finanziert werden kann. Hier müssten sich, was teilweise geschieht, Gemeinden zu Gemeinschaften zusammenschliessen, um etwa die IT zusammenzulegen und dadurch zu einer kritischen Masse zu kommen, um entsprechende Finanzierungen erreichen zu können. Hilfreich können für die Entwicklung von Schnittstellen eCH-Standards sein, auf die diverse Softwareanbieter für die öffentliche Verwaltung in der Regel referenzieren.

In Deutschland präsentiert sich der Markt für kommunale Software erstaunlicherweise ganz anders als in der Schweiz. Deutschland kennt sogenannte Fachverfahren (etwa im Steuer- oder Einwohnerwesen), für die sich in der Vergangenheit je separate Softwarelösungen konkurrierender Anbieter entwickelten. Deren Integration ist in der Regel die noch grössere Herausforderung als bei «den bereits integrierten Lösungen», wie sie in Schweizer Kommunen eingesetzt werden. Aus datenschutztechnischen Gründen ist die Integration der Lösungen sehr differenziert zu betrachten, da etwa nur sehr bestimmte Rollen auf sozialverwaltungsrelevante Daten zugreifen dürfen, die, etwa für die Einwohnerverwaltung, nicht einsehbar sein sollten. Ein anderes Beispiel hierzu ist, dass Daten zum Stimm- und Wahlverhalten nicht mit Einwohnerdaten gekoppelt werden dürfen.

E-Government fordert die Vernetzung der Verwaltungsanwendungen. Aber nach welchen Kriterien soll dies geschehen? Es ist hier zweifellos davon abzuraten, mehr zentralisierte Systeme einzuführen. Dies würde der Föderalismus verhindern und müsste, wenn eine entsprechende Realisierung erwünscht wäre, wohl durch Gesetze verordnet werden. Durchaus kann aufgrund der unterschiedlichen Gesetzgebung von unterschiedlichen Architekturen etwa bezüglich Einwohnerdaten gesprochen werden. Dies gilt auch für andere Bereiche. Eine Lösung, die in einem anderen teilöffentlichen Bereich, den Spitälern und im Gesundheitswesen zum Einsatz kommt, kann als Möglichkeit der Integration der heterogenen IT-Landschaften ins Auge gefasst werden. Und zwar sollte, wo möglich, von dezentral gehaltenen Daten ausgegangen werden, die über Verlinkungen nach Bedarf und ausgehend von den Zulassungen der Datenherren und den Kunden der öffentlichen Verwaltung (Bürger und Unternehmen) gekoppelt werden können. Webservices-Infrastrukturen können dazu beitragen, dezentrale Systeme nach Bedarf lose zu koppeln und damit zu integrieren. Die Datenhaltung und -pflege verbleibt dezentral.

Föderalismus behindert IT-Kollaboration

Auf kantonaler Ebene, und das trifft teilweise auch für die Bundesebene zu, sieht die Situation im IT-Bereich im Vergleich zu den Gemeinden wesentlich anders aus. Hier kommt in vielen Fällen weniger Vollzugsverwaltung dazu, der Anteil der politischen Verwaltung ist höher. Bei den Supportaufgaben kommen im Wesentlichen die gleichen Aufgaben hinzu wie auf der kommunalen ­Ebene, infrastrukturelle Aufgaben können teilweise anders sein. Die Verwaltungs- und IT-Strukturen sind auf Kantonsebene teilweise noch wesentlich heterogener als bei Gemeinden. Auf kantonaler und Bundesebene lohnt es sich für Fachanwendungen nicht, Standardsoftware zu entwickeln (26 Kantone versus ca. 2350 Gemeinden). Viel eher kann teilweise ein Vorgehen beobachtet werden, bei dem Individualsoftware, die für einen Kanton entwickelt wurde, auch bei anderen Kantonsverwaltungen ausgerollt wird.

Auch auf kantonaler und Bundesebene spielen Grösse und Kultur sowie Ausdifferenzierung der Aufgaben und der IT sowie etwa die Maturität bezüglich Abgleich von Geschäft und IT, aber auch andere Faktoren eine zentrale Rolle bei der Frage, wie IT integriert, harmonisiert oder konsolidiert werden kann. Diese Faktoren beeinflussen auch wesentlich die Heterogenität der IT auf kantonaler Ebene und Bundesebene. Andere gesetzliche Ausprägungen, explizite Zuständigkeiten und Autonomie sind unter anderem Gründe für die eher magere Bilanz bei der Inte­gration von Informationssystemen über einzelne Verwaltungseinheiten hinweg bei Kantonen und in der Bundesverwaltung.

Sowohl bei Bund wie bei den Kantonen sind in der Regel Arbeitsplatzsysteme, Geschäftsverwaltungssysteme, Kollaborationslösungen, ERP-Lösungen und darüber hinaus eine Vielzahl von fachlichen Individuallösungen im Einsatz, um die spezifischen kantonalen und Bundesaufgaben zu unterstützen. Auf kantonaler Ebene sind zunehmend Tendenzen vorhanden, auch aufgrund des Drucks durch das E-Government, Integrationen anzugehen und Bus- und ETL- sowie EAI-Lösungen einzusetzen, mittels derer auch über einzelne Verwaltungseinheiten hinweg vernetzte E-Government-Services bereitgestellt werden können.

Der aktuell in Entwicklung befindliche Identitätsverbund der Schweiz soll dafür sorgen, dass die für das E-Government und die Integration lange vernachlässigte elektronische Identifizierung auch einfach und aus Nutzersicht brauchbar funktioniert. Wird eine entsprechende elektronische Identität bereitgestellt und entsprechende Verfahren zur Verfügung gestellt und von den Nutzern auch angenommen, dürfte noch viel mehr Dynamik in die Bereitstellung und Nutzung von E-Government-Services und deren Entwicklung kommen. Der Druck muss indes noch grösser werden, die teilweise noch immer markanten und dominanten Grenzen zwischen den institutionellen Verwaltungseinheiten (Direktionen, Departemente, Ministerien) zu reduzieren oder zu eliminieren. Jedoch muss aus heutiger Sicht auch ein stärkerer Wille zur Kollaboration über behördliche Grenzen hinweg vorhanden sein. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die föderalen Strukturen für die organisationale und IT-Kollaboration über institutionelle Grenzen hinweg problematisch sind.

Kleine besser als grosse Kantone

Für Aussenstehende ist immer wieder erstaunlich, was für einen grossen Einfluss die institutionellen Eigenheiten von Gemeinde-, Kantons- und auch Bundesverwaltungseinheiten haben, und wie diese institutionellen Eigenheiten die Struktur und Ausdifferenzierung sowie auch Integration der IT auf allen diesen föderalen Ebenen stark mitprägen. Es gibt (mittelgrosse oder auch kleine) Kantone, die mit den Gemeinden zusammen gemeinsam Portale oder Integra­tionsplattformen betreiben um E-Government über kommunale und kantonale Grenzen hinweg zu betreiben. Bei anderen Kantonen (insbesondere bei grossen) funk­tioniert das derzeit überhaupt nicht, und es ist auch keine Lösung dafür in Sicht, wie dies künftig funktionieren sollte. In der Forschung sollten wir daher künftig diese institutionellen Eigenheiten in Relation zur IT-Integration und IT-Gestaltung verstärkt untersuchen, um Mustervorgehen für unterschiedliche Strukturen von Verwaltungseinheiten zu entwickeln.

Webcode
ITFG1626