Fussballplattform Soccerverse

So viele Daten stecken im Fussball

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von Nicolas Kessler, ETH Zürich

Wie gut ist der FC Basel im Vergleich zum FC Bayern München? ETH-Forscher haben ein Online-Ranking für Spitzenfussballvereine entwickelt. Dieses liefert Erkenntnisse zur Verbesserung von Rankingverfahren und umfasst verschiedene Anwendungen, mit denen man den internationalen Klubfussball analysieren kann.

Wie überraschend war der Sieg von Atlético Madrid im Final der Europa League am vergangenen Mittwoch tatsächlich? Eigentlich gar nicht, wenn man bedenkt, dass die Madrilenen der sechstbeste Fussballklub der Welt sind, wohingegen Olympique Marseille erst an 53. Stelle rangiert und damit noch hinter dem Schweizer Serienmeister FC Basel (Rang 50) liegt.

Und wie verhält es sich mit dem Final der Champions League 2018, der am 26. Mai in Kiew stattfindet? Wer ist stärker einzuschätzen, Real Madrid oder der FC Liverpool? Sind die Spanier wirklich deutlicher Favorit? Oder hat Liverpool doch ganz gute Chancen auf den Sieg?

Wenn im internationalen Klubfussball die letzten Runden der Champions League ausgetragen werden oder sich die Landesmeisterschaften der heissen Endphase zuneigen, steigt das Fussballfieber und die Debatten über die wahren Erfolgschancen der Teams nehmen zu. Doch wie stark ist beispielsweise der FC Basel im Vergleich zu Manchester City, gegen die sie im Achtelfinal der Champions League ausgeschieden sind?

Eine mögliche Antwort auf solche Fragen gibt ein von ETH-Professor Ulrik Brandes und Postdoktorand David Schoch vom Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften entwickeltes Ranking, das erstmals alle Mannschaften der höchsten Spielklassen weltweit zueinander in Beziehung setzt: Soccerverse, ein Universum des Fussballs.

Eine Jahrzehnte umfassende Grundlage

Damit lassen sich nicht nur Klubs miteinander vergleichen, die noch gar nie gegeneinander gespielt haben, die Plattform bietet auch Spielvorhersagen, Erfolgsbilanzen von Trainern und laufend neue Fakten zur Methodik der Systemanalyse im Sport. Die Nutzungsmöglichkeiten der Seite sind vielfältig und voller Entdeckungen: Aktuelle Weltnummer eins ist demnach der FC Bayern München. Bei den beiden Champions League-Finalisten platziert sich Real Madrid auf Rang drei vor dem siebtklassierten FC Liverpool.

Das Netzwerk aller analysierten Vereinsmannschaften (Source: Soccerverse)

Möglich macht diese Vergleiche eine umfassende Datengrundlage: Aus 206 Ländern finden bisher über eine Million Spiele mit knapp drei Millionen erzielten Toren Eingang in die Analyse. Und wöchentlich kommen um die tausend Spiele hinzu. Eine Datenmenge also, die es zu bewältigen gilt. War dies anfangs eine Herkulesarbeit - die Verwertung reicht immerhin zurück bis ins Jahr 1888 - kann man den Prozess mittlerweile beinahe als Selbstläufer bezeichnen: "Die Aggregation der Daten läuft heute vollautomatisch, diese werden Soccerverse direkt von verschiedenen Internetseiten zugeführt", sagt Schoch. Dieser reibungslose Ablauf ist nicht zuletzt der Mitarbeit des ehemaligen Konstanzer Studenten Imant Daunhawer zu verdanken, der für die technische Umsetzung und Darstellung der Seite verantwortlich ist.

Somit können sich die beiden Forscher hauptsächlich auf die Weiterentwicklung und Ergebnisanalyse konzentrieren. Diese lässt nämlich durchaus Raum für Überraschungen: Dass die Berner Young Boys (aktuelle Weltnummer 80) die Schweizer Meisterschaft vor dem FC Basel (aktuelle Weltnummer 50) gewinnen würden, hatten zu Saisonbeginn wohl nur Wenige erwartet.

Verbesserungen anstreben

Ursprünglich entstand die Idee in einer Lehrveranstaltung an der Universität Konstanz. Man sah Verbesserungspotential bei bestehenden Fussball-Rankings und wollte angewandte Verfahren genauer untersuchen. Vor allem das Ranking der FIFA war für die Forscher von Interesse: "Aufgrund des grossen Einflusses des FIFA-Rankings auf Turniere wie Welt- oder Europameisterschaften gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob das Rankingverfahren angemessen sei", sagt Brandes.

Die Punkteentwicklung von Real Madrid und FC Liverpool (Source: Soccerverse)

Um dieser Frage nachzugehen, haben Schoch und Brandes die Perspektive gewechselt und das Verfahren der FIFA-Länderweltrangliste mit angepassten Parametern auf den Klubfussball übertragen. "Soccerverse gibt uns die Möglichkeit, datengetrieben zu untersuchen, welche Konsequenzen Veränderungen für das Rankingverfahren der FIFA hätten und wie das bestehende System zu bewerten ist."

Mehr als plausibel machen lassen sich Rankings allerdings nicht. Sie sind niemals gänzlich objektiv, sondern beruhen immer auf primären Annahmen: "Die Berechnungsvorschrift eines Rankings ist immer menschengemacht. Deshalb drückt jedes Verfahren subjektive Entscheidungen aus", erklärt der ETH-Professor. Trotz dieses unumgänglichen Handicaps sei es wichtig, der ausgewogensten Lösung möglichst nahe zu kommen. Denn Rankings sind wirkungsstark: "Die Überzeugungskraft der Ergebnispräsentation ist sehr gross, völlig unabhängig davon, wie das Ergebnis zustande gekommen ist."

Stoff für zukünftige Projekte

Ausser Verbesserungsvorschlägen für bestehende Rankingverfahren arbeiten die Entwickler auch auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse hin. "Wir haben Soccerverse grösstenteils in Freizeitarbeit realisiert und wollen es noch stärker auf die Forschung ausrichten. Schön wäre es auch, Studenten eine aktive Beteiligungsmöglichkeit zu bieten", sagt Schoch. Angestrebt werde zudem der Einbezug der Erkenntnisse in künftige Lehrveranstaltungen, welche sich mit der Systemanalyse und Rankingverfahren beschäftigen, fügt Brandes an.

Bezüglich des Ziels, vielleicht gar die FIFA zu Verbesserungen anzuregen, sind die beiden Forscher jedenfalls bereits optimistisch: "Damit unsere Vorschläge glaubwürdig sind, müssen sie bei der Umsetzung mit realen Daten funktionieren. Dieser Punkt gelangt allmählich in Sichtweite. Soccerverse ist aber kein abgeschlossenes Projekt, sondern steht erst am Anfang seiner Entwicklung." Von der Plattform ist also noch einiges zu erwarten, sowohl im Aspekt der Forschung als auch ihrer Einflüsse in der Praxis. Wie in jeder Wissenschaft ist der Prozess ein stetiger: eine ständige Annäherung an die Wirklichkeit.

Anmerkung: Stand der Daten ist der 16. Mai 2018. Dieser Text erschien zuerst am 17.5.2018 auf ETH-News.

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