Open Banking

Wenn Regulation zum Innovationstreiber wird

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von Ralph Hutter, Leiter Product Management Digitalisation, Finnova

Open Banking bietet eine immense Chance, Innovation nicht ausschliesslich über die klassischen Formate wie Produkte und Prozesse zu ermöglichen, sondern das eigene Geschäftsmodell mittels neuer Partner und Ökosysteme substanziell zu erweitern. Dafür müsste man aber sowohl die ­ursprüngliche Absicht als auch die Tragweite der in England geborenen Initiative eines Open ­Bankings kennen und verstehen.

Zunächst ein Blick zurück. Der erste Impuls für die Open-Banking-Ini­tiative ist weit weniger romantisch und ideologisch, als die heutigen Initiativen es vermuten lassen. Initiiert wurde die Idee vom englischen Regulator und nicht etwa von der Finanz­industrie.

Die britische Competition & Markets Authority (CMA) hat 2014 aufgrund von zwei Studien eine Untersuchung im Bereich Privatkonten und Bankdienstleistungen für KMUs eingeleitet. Der Verdacht: Wesentliche Teile des britischen Privatkundensektors würden über keinen wirksamen Wettbewerb verfügen und seien nicht kundenfreundlich ausgestaltet. Zudem seien Angebote nicht transparent vergleichbar, ein einfaches Wechseln zwischen Bankbeziehungen sei nicht möglich und es würden komplizierte, unterschiedliche Authentisierungsmechanismen existieren.

Im August 2016 wurden die Ergebnisse veröffentlicht und damit der Verdacht erhärtet. Vor diesem Hintergrund gründete die CMA die Gesellschaft Open Banking Ltd., um die Open-Banking-Initiative zu implementieren. Deren Ziel ist es, Branchenrichtlinien und Softwarestandards zu entwickeln, den Wettbewerb und die Innovation im britischen Privatkundengeschäft voranzutreiben, damit auch Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen von regulierten Anbietern einfach und sicher innovative Angebote lancieren können. Im Zentrum standen vorab, die Transparenz über Preise und Konditionen von Bankprodukten, das Multibanking, einen Überblick über alle Kontostände auch in Anwendungen von Drittapplikationen zu erhalten sowie schnelle, ein­fache und direkte Zahlungen zu ermöglichen.

Bemerkenswert sind vor allem die weitergehenden Spezifikationen der Open-Banking-API. Diese umfassen detaillierte Daten von Produktinformationen wie Konditionen und Gebühren von Konten, Karten und Krediten, Standortinformationen von ­Geldautomaten und Filialen sowie Informationen und Kennzahlen zur Servicequalität. Damit war die Open-Banking-Bewegung geboren.

Europa zieht nach

Im Januar 2018 trat die PSD2-Verordnung in Kraft. Ebenfalls vom Regulator getrieben, soll mit der PSD2-Direktive in der EU ein einheitlicher Rechtsrahmen für elektronische und mobile Zahlungsauslösedienstleister und Kontoinformationsdienstleister geschaffen werden. Im Vergleich zur britischen Open-Banking-Initiative ist die PSD2 also deutlich fokussierter bezüglich Funktions- und Datenumfang.

Die PSD2 sieht vor, den sicheren Zahlungsverkehr für bankfremde Anbieter und Zahlungsdienstleiser (TPP beziehungsweise Third-Party Providers) aufzubrechen. Darunter sind Kontoinformationsveredler (AISP beziehungsweise Account Information Service Providers) wie auch Zahlungsauslösedienstleister (PISP – Payment Initiation Service Providers) zu verstehen.

Von der Regulierung zur Innovation

Der Begriff Open Banking ist positiv konnotiert. Auch wenn sie von Regulatoren getrieben wurde, ist die Idee zwischenzeitlich positiv wahrgenommen. Sie wird verbunden mit Chancendenken, Marktzugang von Fintech-Unternehmen, Geschäftsmodell­innovation für Banken, Transparenz und mit neuer User-Experience für die Nutzerinnen und Nutzer.

Open Banking ist in der Schweiz angekommen

Im Unterschied zum Ausland werden die Bestrebungen aber nicht vom Regulator definiert, sondern von Industrieverbänden wie Swiss Fintech Innovations (SFTI), einem Verband, der sich vor allem aus Vertretern von Schweizer Banken und Versicherungen zusammensetzt, und den Swiss Finance Startups (SFS), dem grössten Fintech-Verband der Schweiz.

Derzeit sind am Schweizer Markt zahlreiche verschiedene Akteure wie Infrastrukturdienstleister, Softwarehersteller, Telekomunternehmen und Betreiber – und nur vereinzelt Banken – mit cloudbasierten Plattformen am Start, die hauptsächlich eine PSD2-nahe API (Zugang zu Kontoinformationen sowie Zahlungsverkehr für Privat- und Geschäftskunden) zur Verfügung stellen wollen. Das ist eine sehr begrenzte Interpretation, die der eigentlichen Idee von Open Banking nicht gerecht wird.

Viele Banken warten ab

Aber offenbar teilen viele Banken die passive Haltung der Bankiervereinigung. Sie warten ab und schauen, wie sich die laufenden Plattforminitiativen entwickeln. Der Standpunkt der Schweizerischen Bankiervereinigung lautet: "Die Schweiz muss die PSD2-Regulierung der EU nicht umsetzen, dennoch wird auch hier diskutiert, ob eine PSD2-äquivalente Regulierung eingeführt werden soll. In der Schweiz gewähren die Banken bereits heute Drittanbietern Zugriff auf Konten und öffnen die Kundenschnittstelle, wenn dies im beidseitigen Interesse von Bank und Kundschaft ist. Ein gesetzlicher Zwang für die Banken besteht jedoch nicht. Die Schweiz setzt somit auf marktwirtschaftliche Lösungen."

Dabei ist nicht nur die Bankenindustrie betroffen. Bei genauer Betrachtung dominieren die Plattform-Geschäftsmodelle der Tech-Giganten Google, Amazon, Facebook, Apple, Micro­soft seit über 10 Jahren den Markt. Vor ihnen fürchten sich viele Finanzdienstleister seit Jahren. Aber insgeheim rollen Start-ups mit denselben plattformbasierten Geschäfts­modellen den Markt von hinten auf. So etwa Revolut, eine Art Smartphone-Bank, die in der Schweiz laut einem Finews-Bericht bereits 50 000 Kunden haben soll. Weitere Start-ups sind in den Startlöchern.

Open Banking ist breiter zu denken

Bislang konzentrierten sich die meisten API-Aktivitäten der verschiedenen Akteure auf Funktionen nahe am PSD2-Umfang: Kontoinformationen und Zahlungsinitialisierung. Die Anwendungsfälle für echtes Open Banking haben grosses Innova­tionspotenzial (Grafik).

An Open Banking führt kein Weg vorbei

Das Plattform-Geschäftsmodell ist eine Erfolgsgeschichte. ­Offen bleibt die Frage, wie sich der Finanzplatz Schweiz, die Finanzindustrie und die Banken konkret positionieren werden. Utopisch scheint derzeit, dass sich der ganze Finanzplatz Schweiz (ob reguliert oder selbstreguliert) zeitnah auf einen europäischen Open-Banking-Standard einigen kann oder gar eine breitere Definition von Open Banking hervorbringt. Daher bleibt es auf unbestimmte Zeit in der Verantwortung der einzelnen Finanzmarktteilnehmer, sich aktiv um eine Strategie in puncto Öffnung zu kümmern.

Open Banking ist also eher ein grosses Programm mit einer flexiblen Orchestrierung als ein Set von glasklaren Standards und vordefinierten Roadmaps. Die Wege zur eigenen Auslegung des Programms führen über konkret formulierte Ziele und eine ebenso klare Strategie. Die Risiken liegen nicht im Erproben und Sammeln von Erfahrungen. Ganz im Gegenteil. Das wirkliche Risiko liegt darin, keine klare Strategie zu verfolgen.

In Zeiten der Digitalisierung, neuer Technologien, erhöhter Geschwindigkeit in der Softwareentwicklung und veränderter Kundenwünsche schlägt das Nichtstun sehr viel stärker durch. Versäumnisse werden vom Markt und von Kunden bedeutend schneller als Defizit erkannt, interpretiert und quittiert werden als zuvor.

Ein Open-Banking-Programm ist also kein Technologieprojekt und keine regulatorische Zwangsanpassung. Es ist eine riesige Chance, Innovationen nicht wie immer nur über Produkt- und Prozessinnovation, sondern über die substanzielle Erweiterung des eigenen Geschäftsmodells, mit neuen Partnern und Ökosystemen zu definieren.

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