Focus: Customer Journey

Product Data is King

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von Gilbert Lordong, Manager Consulting E-Commerce/Digitalisierung, Nexum

Die Nutzer von Onlineshops sind flatterhaft und springen oft vor der Bestätigung des Kaufs wieder ab. Typischerweise zu einem Konkurrenzangebot, ein, zwei Klicks entfernt. Frictionless Commerce und offene Retail-APIs bieten eine Vorwärtsstrategie, mit der der Commerce ganzheitlich und kanalübergreifend verstanden wird. Saubere Produktdaten sind der Schlüssel.

Gilbert Lordong, Manager Consulting E-Commerce/Digitalisierung, Nexum (Source: zVg)
Gilbert Lordong, Manager Consulting E-Commerce/Digitalisierung, Nexum (Source: zVg)

Die Treue des Kunden zu "seinem" Onlinehändler variiert nach Aussage einer Studie von Ernst & Young von nur 32 Prozent (Elektronik) bis immerhin 65 Prozent (Drogerie/Medikamente). Andere Quellen berichten hingegen, dass stolze 76 Prozent aller Internetnutzer das Web verwenden, um Preisvergleiche durchzuführen (Quelle: Uni Zürich, Okt. 2019). Ein stark zunehmender Trend.

Die abnehmende Kundentreue setzt die Onlinebranche unter Druck. Gemäss einer Umfrage des Deutschen Händlerbunds vom Februar dieses Jahres bezeichnen 60 Prozent aller Betreiber von Onlineshops den wachsenden Konkurrenzdruck als ihre grösste Herausforderung. Das sind 10 Prozentpunkte mehr als noch ein Jahr zuvor! Was also ist zu tun, wenn Kunden noch vor oder während des Checkout aus Ihrem Onlineshop wieder «abspringen», ohne zu kaufen?

Springen Sie mit!

Immer mehr Retailer (online wie offline) platzieren Echtzeit-Informationen über ihre Angebote dort, wo immer ihr Zielpublikum sie aktuell benötigt. Sie holen die Kunden ab, wo sie sind, und in dem Moment, wo der Bedarf danach am grössten ist. Das ist, wie man sich denken kann, in den seltensten Fällen ausgerechnet dann der Fall, wenn man einen Computer (oder ein mobiles Gerät) vor sich hat, auf dem man soeben im passenden Onlineshop surft.

Frictionless Commerce (auch bekannt als Contextual oder Connected Commerce) bezeichnet dabei den Versuch, dem Zielpublikum jederzeit ein unterbrechungsfreies Einkaufserlebnis zu bieten, sei es im Netz, im Laden, auf der Strasse oder sonst wo – egal, wo und wann sich das Bedürfnis danach einstellt.

Für manche Leser mag das ein bisschen wie Retargeting klingen, eine Werbemethode, um Beinahe-Kunden mit gezielter Werbung auf Partnerplattformen an den abgebrochenen Kauf zu erinnern. Retargeting hat grosse Erfolge erzielt und seinen festen Platz im Online-Marketing erobert. Der Begriff "Frictionless" umfasst jedoch mehr als das.

Unterschiede zu Retargeting

Frictionless Commerce hat nur wenig mit Werbung zu tun: Konsumenten wünschen keine Werbung, die ihre Aufmerksamkeit beansprucht, während dem sie eigentlich ein ganz anderes Ziel verfolgen. Mit Frictionless Commerce rückt das Produkt stattdessen ins Zentrum der Aufmerksamkeit des Konsumenten.

Frictionless Commerce beginnt früher im Conversion Funnel als Retargeting. Egal ob jemand gerade die Zutatenliste eines Kochrezepts in der Zeitung studiert, der Blick auf die schicken Schuhe der besten Freundin fällt oder der Linked­in-Kontakt von einem neuen Küchengerät schwärmt. Mit Frictionless Commerce sind entsprechende Realtime-Informationen in jeder Situation nur einen Klick (oder ein Swipe oder eine Geste) entfernt – inklusive personalisiertem Angebot und Checkout-Funktion.

Klingt das wie Zukunftsmusik?

Es gibt bereits zahlreiche, real existierende Beispiele aus der Offlinewelt:

  • Das Taxi-Unternehmen Uber optimierte den Zahlprozess bis zur Unmerklichkeit. Einmal registriert, genügt es, am Ziel einfach aus dem Auto auszusteigen.

  • Amazons "Dash Button" wurde letztes Jahr zwar aus rechtlichen Gründen eingestellt, zeigt aber mustergültig, wohin die Reise geht. Klopapier ausgegangen? Ein Druck auf den – strategisch günstig platzierten – Knopf und schon ist der Nachschub bestellt.

  • Und, natürlich: Amazon Go, der Supermarkt ohne (sichtbares) Personal oder Kasse.

Und online?

  • Amazon machte online schon 1999 erste Schritte in Richtung Frictionless Commerce, mit seinem (2017 abgelaufenen) "One-Click Buying"-Patent.

  • 2015 führte Pinterest den "Buy it"-Button ein, Instagram zog 2019 mit "Checkout on Instagram" nach. Bei den Jüngeren (18 bis 29 Jahre) hat sich der Buy-Button in sozialen Netzwerken übrigens schon etabliert, bereits jede(r) Zweite hat schon einmal über diese Funktion geshoppt (Quelle: idealo.de).

  • Letztes Jahr ging Paypal auch in Teilen Europas mit "Paypal Commerce" ins Rennen. Ihr Slogan: "Sell where you're seen."

Nötig sind vollständige und aktuelle Produktdaten

Das gemeinsame Element aller unterbrechungsfreien Lösungen sind die Produktdaten, die überall stets aktuell verfügbar sein müssen, und zwar in hoher Qualität. In Anlehnung an das bekannte Motto aller Suchmaschinen-Optimierer und Content-Marketeers "Content is King", heisst es nun also: Product Data is King!

Für eine optimale Konsistenz der Produktdaten über alle Benutzerapplikationen hinweg sorgt eine entsprechende Schnittstelle: eine Produkt- oder Retail-API. Diese bildet die technische Grundlage nicht nur für Headless-E-Commerce-Lösungen, wie sie aktuell vielerorts umgesetzt werden.

APIs lassen sich auch schnell (Time-to-Market) und kostensparend in weitere Client-Applikationen integrieren, von Content-Marketing über POS-Systeme bis zu Internet of Things. Weitere Vorteile von APIs:

  • Der Datenaustausch mit Partnerunternehmen ist keine Herausforderung mehr.

  • Nebenbei ermöglichen Produkt-APIs erstmals eine konsistente, plattformübergreifende Datenerhebung und -analyse.

  • Und, sollten Sie als Betreiber einer API einmal Anpassungen an der darunter liegenden IT-Infrastruktur vornehmen wollen, brauchen Sie sich über die darüber liegenden Systeme keine Sorgen zu machen.

Im Trend: Open API

Ihre Produktdaten können natürlich auch von Drittparteien genutzt werden. So kreieren Sie unterbrechungsfreie Kauf­anreize in Social Media, Konsumentenratgebern und Portalen aller Art. Vorausgesetzt natürlich, Sie vergeben Ihren Geschäftspartnern entsprechende Zugriffsrechte ("Open API"). Entlassen Sie Ihre Produktinformationen aus dem Datenkäfig ins (beinahe) freie Internet, wo sie sich – bestenfalls ohne Ihr Zutun – gewinnbringend "fortpflanzen"! Gleichzeitig behalten Sie dank der Produkt-API die volle Kontrolle über all Ihre Daten. Das riesige Potenzial von APIs hat Jeff Bezos, CEO von Amazon, übrigens schon 2002 erkannt und mit einem internen Memo dafür gesorgt, dass alle Amazon-Komponenten nur via APIs miteinander kommunizieren. Das Memo schloss mit den Worten: "That is to say, the team must plan and design to be able to expose the interface to developers in the outside world. No exceptions." (Und: "Anyone who doesn’t do this will be fired. Thank you; have a nice day!").

Der Wandel hat bereits begonnen

APIs revolutionieren zurzeit nicht nur den Detailhandel. Auch das europäische Bankwesen erlebt eine tiefgreifende Umwälzung, spätestens seit im September 2019 in der EU die überarbeitete Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 (Payment Service Directive 2) in Kraft trat. PSD2 will dem Open Banking den Weg mit gesetzlich verordneten Standards ebnen und schreibt den Banken unter anderem vor, Zahlungsdienstleistern elektronische Schnittstellen zu ihren Kundendaten anzubieten. Gleichzeitig soll die neue Richtlinie den Online-Geldtransfer sicherer machen und den Verbraucherschutz stärken. Das bietet Vorteile sowohl für die Kunden wie für die Banken. Trotz der technischen Hürden sahen im November auch die Sprecher des Swiss Payment Forums in Open Banking eher eine Gelegenheit als ein Unglück.

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die API-Revolution auch über den Detailhandel hereinbricht. Statt zu warten, sind Retailer und Hersteller von Markenprodukten daher gut beraten, sich noch heute auf den Weg zu machen und Retail-APIs aufzubauen. So bereiten sie ihre Shops für das unterbrechungsfreie, omnipräsente Shopping-Erlebnis vor, das Konsumenten heute erwarten. Die Zeit ist reif.

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