Stefan Beyeler Leiter des Departements Digitalisierung und Informatik im Gespräch

"Im Vergleich zur Industrie hinkt das Gesundheitswesen stark hinterher"

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Stefan Beyeler ist für die Digitalisierungsstrategie und den lückenlosen Betrieb aller IT-Systeme des Stadtspitals Waid und Triemli zuständig. Im Interview spricht er darüber, wie sein Departement der Coronakrise begegnet und was es auf dem Weg zum digitalisierten Spital noch alles braucht.

(Source: partners in GmbH)
(Source: partners in GmbH)

Anfang des Jahres haben Sie die Leitung des neu geschaffenen Departements "Digitalisierung und Informatik" des Stadtspitals Waid und Triemli übernommen. Kurz darauf brach die Coronapandemie aus. Wie haben Sie diese Ausnahmesituation erlebt?

Stefan Beyeler: Im ersten Moment war die Situation tatsächlich äusserst aussergewöhnlich. Ich war selbst Mitglied des Krisenstabs und habe miterlebt, wie dynamisch sich die Newslage änderte und wie rasch wir als Spital auf die neue Situation reagieren mussten. Dabei versuchte ich stets, in meinem Departement eine Balance zwischen Sicherstellung des Betriebs, Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des IT-Personals und einer raschen Umsetzung der oft kurzfristigen Anforderungen des Krisenstabs zu finden. Trotz allem wollte ich sicherstellen, dass das Arbeitsleben und die laufenden Projekte weitergehen. Alles in allem haben ich und mein Team diese Ausnahmesituation gut und gesund überstanden.

Welche Herausforderungen kamen mit der Coronakrise auf Sie zu?

Die grösste Herausforderung war zu Beginn der Pandemie der Umgang mit den Unsicherheiten und der Kurzfristigkeit. Eine Balance zu finden zwischen Personalverfügbarkeit vor Ort und der Vorgabe, so viel Personal wie möglich ins Homeoffice zu schicken, war anfänglich nicht einfach. Aufgrund von Entscheidungen des Krisenstabs mussten mehrmals kurzfristig ganze Stationen um- oder aufgebaut werden. Dazu mussten ausser der Bereitstellung der Infrastruktur auch umfangreiche Anpassungen in den administrativen und klinischen Applikationen durchgeführt werden. Mit der Zeit stellte sich eine gewisse Routine ein und das Ganze pendelte sich ein. Eine Herausforderung der besonderen Art war die Befähigung der ganzen Organisation im Umgang mit Videokonferenzen. Innerhalb kurzer Zeit mussten alle wichtigen Sitzungen wie die des Corona-Krisenboards und der Spitalleitung dezentral durchgeführt werden. Die dafür benötigte Infrastruktur und eine Videoconferencing-Lösung mussten gefunden und aufgebaut werden, sodass auch weniger versierte Anwenderinnen und Anwender per Video und Audio an Sitzungen teilnehmen konnten. Das Positive daran ist, dass sich die Einstellung zu virtuellen Meetings auch für die Nach-Corona-Zeit wesentlich verbessert hat.

Wie haben sich die Prioritäten Ihres Departements verändert?

Zu Beginn der Coronakrise steckten wir voll und ganz in der Umsetzung der IT-Reorganisation. Hier mussten wir zugunsten der Krisenorganisation vorübergehend Abstriche machen und Verzögerungen hinnehmen, die aber bereits wieder wettgemacht werden konnten. Auch andere Projekte wurden zwischenzeitlich etwas gedrosselt. Der IT-Betrieb konnte jederzeit vollständig aufrechterhalten werden.

Was war der Anstoss für die Gründung des Departements? Was war das ursprüngliche Ziel?

Das Stadtspital Waid und Triemli investiert aktuell viel in den Ausbau der administrativen und klinischen Kernapplikationen und Prozesse. Der IT kommt hier eine wichtige Rolle zu, die sie nun - dank der Positionierung als eigenes Departement - optimal ausfüllen kann. Mit der Gründung des Departements Digitalisierung und Informatik wurde diesen Umständen Rechnung getragen und auch ein Zeichen in Richtung Digitalisierung gesetzt.

Welche Projekte haben für Sie die grösste Bedeutung?

Aktuell arbeiten wir an drei Schlüsselprojekten mit hohem IT-Anteil. Auf der administrativen Seite führen wir SAP als zentrales System für Patientenadministration, Finanzen und Logistik ein. Dann wird das neue Klinikinformationssystem KISIM der Zürcher Firma Cistec unsere klinischen Prozesse optimal unterstützen. Und für die Leistungserfassung und das Leistungs­management führen wir ebenfalls eine neue Lösung ein. Alle drei Systeme werden sowohl am Standort Waid wie auch im Triemli zum Einsatz kommen und unsere standortübergreifende (digitale) Zusammenarbeit erheblich verbessern.

Wie ist das Departement Digitalisierung und Informatik des Stadtspitals Waid und Triemli aufgestellt?

Das Departement ist primär in zwei Fachbereiche und einen Stab unterteilt. Der Fachbereich IT-Betrieb ist für den stabilen und lückenlosen Betrieb aller IT-Systeme verantwortlich. Daneben kümmert sich der Fachbereich IT-Projekte um neue Vorhaben. Der Fachbereich IT-Governance ist zuständig für Finanzen, Verträge und alle weiteren IT-Governance-Themen. Insgesamt beschäftigt unser Departement etwas mehr als 50 Mitarbeitende.

Am Swiss E-Health-Forum 2019 haben Sie das elek­tronische Patientendossier (EPD) mit einem Elefanten verglichen: ein riesiges Projekt, das nur langsam vorwärtskommt, sich aber seinem Ziel nähert. Warum hat sich die Schweiz so schwer getan mit diesem Projekt?

Bei einem derart grossen Vorhaben gibt es unzählige Partikular­interessen der Stakeholder, die teilweise diametral auseinanderlaufen. Dass sich die Umsetzung verzögert, ist nicht überraschend. Für die Spitäler bedeutet die Einführung des EPD ein grosser Aufwand, zeitlich wie finanziell.

Wie hat sich das Stadtspital Waid und Triemli auf die Einführung des EPD vorbereitet?

Wir sind die Vorbereitungen im Rahmen eines Projekts angegangen und werden demnächst bereit sein. In einer ersten Phase werden wir nur den Portalzugang nutzen. Sobald die Nachfrage der Patientinnen und Patienten gross genug ist, werden wir weitere Automatisierungsschritte angehen. Die Konzepte dazu haben wir grösstenteils bereits erarbeitet.

Das EPD wird sich nur dann als sinnvoll erweisen, wenn es von der Bevölkerung genutzt wird. Was denken Sie: Geht die Rechnung auf?

Die Akzeptanz der Bevölkerung vorauszusagen, ist schwierig. Ich verstehe, dass eine gewisse Skepsis herrscht.

In den vergangenen Monaten häuften sich die Meldungen über Cyberangriffe auf Schweizer ­Spitäler. Gab es auch Vorfälle im Stadtspital Waid und Triemli?

Cyberangriffe gibt es andauernd. Diese werden durch das Security Operations Center (SOC) der Stadt Zürich abgewehrt und glücklicherweise entstand schon sehr lange kein Schaden mehr. Als Teil der städtischen Infrastruktur profitieren wir hier stark von der professionellen Arbeit der OIZ - der Organisation und Informatik Zürich.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Coronakrise und der Zunahme an Cyberattacken auf Spitäler? Und wenn ja: inwiefern?

Während der Coronakrise wurden weltweit in sehr kurzer Zeit viele Anpassungen an sicherheitsrelevanten Infrastrukturen durchgeführt, um den Anforderungen für Homeoffice, Videokonferenzen etc. gerecht zu werden. Jeder Change und insbesondere übereilt durchgeführte Changes bringen neue Risiken mit sich. Dadurch wurden IT-Systeme tendenziell verletzlicher. Hacker dürften die Situation für ihre Zwecke ausgenutzt haben.

Besonders heikel ist der Schutz von medizinischen Geräten wie etwa Herz-Lungen-Maschinen oder Magnetresonanztomografen. Für die Software-Updates solcher Geräte ist man auf die Hersteller angewiesen. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

Für medizinische Geräte bestehen Wartungs- und Supportverträge. Updates können nur durch die Hersteller und Lieferanten durchgeführt werden. Für besonders heikle Systeme bestehen eigene geschützte Netzwerkzonen.

Wie beurteilen Sie den Stand der Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen

Im Vergleich zur Industrie hinkt das Gesundheitswesen stark hinterher. Durch das hochspezialisierte Marktumfeld stehen für Spezialistensysteme nur sehr wenige - oft auch nur ein einziger - Anbieter zur Auswahl. Das gibt uns nur beschränkte Einflussmöglichkeiten, um neue technologische Möglichkeiten oder Standards einzufordern, obschon es diese Standards unterdessen sehr wohl gibt.

Was braucht es noch auf dem Weg zum digitalisierten Spital?

Trotz der eben erwähnten Restriktionen bei den Lieferanten liegt die Verantwortung für den Ausbau der Digitalisierung bei den Spitälern selbst. Es braucht Mitarbeitende aus den verschiedensten Fachbereichen mit Ideen für durchgängige, IT-unterstützte Prozesse, die über die Grenzen der eigenen Organisa­tionseinheit hinaus und mit einer optimalen Kombination von bestehenden und neuen IT-Systemen den Digitalisierungsgrad Schritt für Schritt verbessern. Den ganz grossen und allumfassenden Lösungen stehe ich persönlich eher skeptisch gegenüber. Die extrem hohen Investitionen für solche Projekte müssen innerhalb weniger Jahre abgeschrieben werden und belasten die Spitalrechnung stark. Spitäler und insbesondere ihre IT-Systeme sind komplex. Bei jedem Ausbau oder jeder Erneuerung eines IT-Systems besteht die Chance, das Gesamtsystem zu verbessern. Diese Chance sollten wir gezielt nutzen.

Was raten Sie anderen Spitälern, die sich mit Digitalisierungsprojekten beschäftigen?

Viele Digitalisierungsprojekte werden meiner Erfahrung nach aufgrund von kurzfristigen Bedürfnissen initialisiert. Das birgt die Gefahr, dass Lösungen realisiert werden, die konzeptionell ungenügend ins grosse Ganze hineinpassen und später umgebaut oder schlimmstenfalls wieder ausser Betrieb genommen werden müssen. Um dies zu vermeiden, bin ich selbst auf eine gute Übersicht der bestehenden Services - Stichwort Servicekatalog - angewiesen und muss den Funktionsumfang, das Zusammenspiel und den Informations- und Datenfluss zwischen den einzelnen Komponenten verstehen. Darauf aufbauend versuche ich jeweils, neue Lösungen möglichst gut in das Gesamtsystem zu integrieren.

Was wird Sie in den kommenden Monaten am meisten beschäftigen?

In den kommenden Monaten werden wir uns prioritär um die drei Schlüsselprojekte KIS, Leistungserfassung/Leistungsmanagement und SAP-Einführung am Standort Waid kümmern. Daneben gibt es eine ganze Reihe von mittleren und kleineren Vorhaben, die für den Ausbau der Digitalisierung ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. Die schweizweite Verzögerung der EPD-Einführung gibt uns etwas mehr Spielraum. Ich persönlich werde zum einen meiner Lieblingsbeschäftigung, der Koordination und konzeptionellen Abstimmung der einzelnen Themen aufeinander, nachgehen. Zum anderen braucht die eingangs erwähnte IT-Reorganisation immer noch viel Aufmerksamkeit.?

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