Interview mit Jörg Gasser, CEO der SBVg

"Rechtlich bewegen wir uns unverändert in einem Spannungsfeld"

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Die Pandemie hat die Digitalisierung des Finanzplatzes Schweiz vorangetrieben. Welche Heraus­forderungen auf die Branche zukommen und welche Rolle Themen wie Nachhaltigkeit, Datenschutz, Open Finance und das Aufkommen von Ökosystemen spielen, weiss Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung SBVg.

Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung SBVg. (Source: LAUSCHSICHT)
Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung SBVg. (Source: LAUSCHSICHT)

Vor zwei Jahren hat die Coronapandemie die Schweizer Wirtschaft und auch die Bankenwelt mit voller Wucht getroffen. Seit dem 1. April ist nun die "Besondere Lage" zu Ende, womit auch die letzten coronabedingten Einschränkungen der Vergangenheit angehören. Was ist Ihr Fazit aus Sicht des Schweizer Finanzplatzes beziehungsweise der ­Banken nach dem Ende der Pandemie?

Jörg Gasser: Die Schweiz hat die Pandemie insgesamt im Vergleich zu anderen Ländern gut gemeistert. Mit dem unbürokratischen Schweizer KMU-Kreditprogramm haben die Banken dazu einen Beitrag leisten können.

Die nächste Krise hat mit dem Ukraine-Krieg die Hoffnung auf "Normalität" wie eine Seifenblase platzen lassen. Wie beeinflusst dieser Krieg die Schweizer Finanzwelt?

Die Schweizerische Bankiervereinigung verurteilt den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und unterstützt klar die vom Bundesrat beschlossenen Sanktionen. Die Banken setzen diese konsequent um. Integrität und Reputation sind wichtige Schlüsselfaktoren für den Finanzplatz. Der Krieg hat auf den Finanzplatz zwar unmittelbar nur beschränkten Einfluss, denn Russland ist für die Schweizer Banken insgesamt kein Kernmarkt. Gleichzeitig sind mit dem Krieg aber bedeutende Un­sicherheiten und Risiken verbunden. Einzelne Märkte sind im Ungleichgewicht, die Lieferketten unterbrochen und die Cyberrisiken deutlich gestiegen. Der Finanzplatz muss vor diesen indirekten Effekten auf der Hut sein. Zuversichtlich macht mich aber die hohe Resilienz und Stabilität unserer Banken.

Die digitale Businesstransformation der Schweizer Banken und des Schweizer Finanzplatzes ist in ­vollem Gang. Wo steht die Schweiz heute im Vergleich zu März 2020?

Die Kundinnen und Kunden sind heute, nach zwei Jahren Pandemie, deutlich digitaler unterwegs, auch bei den Finanzdienstleistungen. Da geschah etwas, das bewirkte, dass in Sachen Digitalisierung bei den Banken weitere Fortschritte gemacht wurden. Auch bei den Rahmenbedingungen sind wir wichtige Schritte vorangekommen: Beispiele sind die DLT-Gesetzgebung, der vermehrte risikobasierte Ansatz bei der Nutzung der Cloud-Technologie durch Banken oder die zunehmende Öffnung und Standardisierung im Kontext von Open Wealth. Hier gilt es jetzt, das Geschäftspotenzial zu nutzen. Auf der Agenda stehen aber auch Themen wie die digitalen Währungen oder Green Fintech, also wie wir mit digitalen Technologien die Ziele der UN für eine nachhaltige Entwicklung erreichen können.

Welche Bereiche sind bei Finanzinstituten aktuell besonders von der Digitalisierung betroffen, welche weniger?

Einzelne Bereiche lassen sich hier nicht herausgreifen. Die digi­tale Transformation betrifft immer das gesamte Geschäft. Sie ist eher als dauerhafter Zustand des Wandels zu verstehen denn als "Projekt" mit klarem Anfang und klarem Ende. Es geht nicht nur um technologische Aspekte, sondern vor allem auch um die Menschen und deren Fähigkeiten in den Banken. Natürlich hängt die Antwort auf Ihre Frage aber auch davon ab, was unter dem Begriff "Digitalisierung" verstanden wird: Im engeren Sinn, also bei der Umwandlung von analogen in digitale Formate von beispielsweise Rechnungen oder Verträgen und darauf aufbauend der Optimierung und Automatisierung der internen Prozesse, wird in der Branche bereits viel investiert und getan. Es gibt aber sicherlich weiteres Optimierungspotenzial, etwa bei der breiteren Anwendung von digitalen Signaturen. Breiter gedacht geht es bei Ihrer Frage aber um die Transformation der gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten, um die Optimierung, Digitalisierung und Automatisierung der gesamten Wertschöpfungsketten, und zwar organisations- und branchenübergreifend. Hier stehen wir erst am Anfang der Reise.

Welche Entwicklungen beschäftigen die SBVg auf technologischer und regulatorischer Ebene aktuell vor allem?

Viele, aber lassen Sie mich zwei konkrete Beispiele nennen: Die Cloud-Nutzung durch Banken nimmt laufend zu. Mit unserem Cloud-Leitfaden für die Mitglieder konnten wir grundsätzliche Fragen lösen. Rechtlich bewegen wir uns aber unverändert in einem Spannungsfeld zwischen Datennutzung und dem effektiven Persönlichkeits- und Datenschutz. Technologisch könnten uns in diesen Fragen sogenannte Privacy Enhancing Technologies helfen, um das Spannungsfeld aufzulösen. Auch bei der Regulierung von digitalen Vermögenswerten, sogenannten Digital Assets, gibt es offene Fragen zu wichtigen technologischen und regulatorischen Aspekten, angefangen bei prudenziellen Fragestellungen wie ihrer Eigenmittelunterlegung über die Geldwäschereivorschriften bis hin zur Kompatibilität mit unseren Nachhaltigkeitsbestrebungen.

Vor einigen Jahren hat sich die Bankiervereinigung gegen eine staatliche Regelung von Open Banking analog zur europäischen PSD2 ausgesprochen. In der Zwischenzeit ist einiges passiert, aber so richtig vorwärtsgekommen ist Open Banking in der Schweiz bis dato nicht. Welche Position vertritt die Bankiervereinigung heute in diesem Zusammenhang?

Ich teile Ihre Einschätzung so nicht ganz. Wir sehen im Bereich Open Finance weiterhin grosses Potenzial. Der marktwirtschaftliche Ansatz ist dabei der richtige. Ein Erfolgsbeispiel ist Open Wealth. Die Vermögensverwaltung ist und bleibt eine tragende Säule unseres Finanzplatzes. Es gibt eine wachsende Community aus Banken, Wealthtechs, unabhängigen Vermögensverwaltern, Family Offices usw., die von einem offenen Standard und einer effizienteren Zusammenarbeit profitieren wird. Mit Open Wealth haben wir einen konkreten Anwendungsfall, der klaren Mehrwert schafft. Wir hoffen, dass sich die zugrunde liegenden Standards auch international etablieren und sich die Schweiz hier als Vorreiterin positionieren kann. Analog sehen wir Potenzial in weiteren Bereichen, die wir gemeinsam mit unseren Partnerverbänden wie Swiss Fintech Innovations laufend prüfen, etwa im Hypothekar- oder auch dem Kartengeschäft.

Wie sehen Sie die Entwicklung von Plattform­ökonomie, Ökosystemen und den verschiedenen Rollen, die Finanzinstitute in denselben einnehmen können und müssen?

Ökosysteme und Plattformen ermöglichen digitale Innovation und die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, auch für Banken. Verschiedene Banken in der Schweiz haben dieses Potenzial erkannt. Konkret sehen wir dies bereits im "Ökosystem Wohnen" in Form von Hypotheken-Marktplätzen und Vergleichsplattformen. Damit Plattformen und Ökosysteme erfolgreich sind, darf nicht die Technologie im Fokus stehen, sondern die Kundinnen und Kunden und deren Bedürfnisse. Die verschiedenen Teilnehmenden des Ökosystems müssen anschliessend konsequent eingebunden sein, also die Kundschaft, die Lieferanten und sogar die eigene Konkurrenz. Vorrangiges Ziel muss es sein, gemeinsam unternehmens- und branchenübergreifend Innovation und Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Es ist offensichtlich, dass in einem solchen Setting für die Bank ihr strategischer Fokus entscheidend ist. Aus Wettbewerbern können dann sogar Partner werden.

Inwiefern sind solche Ökosysteme eine Gefahr, inwiefern eine Chance für Schweizer Finanzinstitute und warum?

Die Chancen, die sich aus Ökosystemen für die Kundinnen und Kunden, aber auch für einzelne Institute ergeben, liegen in den Innovationen und den neuen Geschäftsmodellen, also im Mehrwert, den das Ökosystem liefert. Kleinere Institute etwa müssen nicht mehr alles allein machen, sondern können sich auf ihre Kernfähigkeit fokussieren. Sie können Kunden binden, die sich sonst vielleicht neu umschauen würden. Sie können Fähigkeiten "einkaufen", anstatt sich am Markt im "War for Talents" behaupten zu müssen. Die Risiken liegen aus unserer Sicht auf einer übergeordneten Ebene: Der zunehmende Einsatz neuer Technologien wie Cloud, API und DLT bringt die traditionellen Geschäftsmodelle, Rollen und Funktionen ins Wanken und damit auch die Systeme, mit denen die Risiken kontrolliert werden. Die Fortschritte hinsichtlich Anlegerschutz und Marktintegrität, die mittels Bankenregulierung über die letzten Jahre erreicht wurden, dürfen aber nicht gefährdet werden. Entscheidend ist hier die Frage, ob neue Player neuartige Risiken mit sich bringen oder sich einfach als Mitbewerber in einem existierenden Markt positionieren. Wettbewerb muss mit gleich langen Spiessen geschehen. Institutsbezogene Vorschriften führen für Banken zu Wettbewerbsnachteilen und fördern regulatorische Arbitrage. Das darf nicht sein, sondern hier muss das Prinzip gelten: "same activity, same risk, same rules." Wenn es um neuartige Risiken geht, dann sind die Behörden gut beraten, die Veränderung von Rollen und Funktionen der Anbieter zu analysieren. Allenfalls erfordern neuartige Risiken eine konzeptionell unterschiedliche Regulierung und es gilt dann, rasch zu handeln. Bei den Behörden und so auch bei uns stehen diese Fragen richtigerweise weit oben auf der Agenda, denn die Stabilität und die Marktintegrität sind für den Finanzplatz Schweiz zentral.

Das revidierte Datenschutzgesetz steht vor der ­Einführung (neu am 1.9.23). Inwiefern beeinflusst dieses die Umsetzung von datengetriebenen ­Geschäftsmodellen der Finanzinstitute?

Mit dem neuen Datenschutzgesetz ist es dem Parlament gelungen, den bewährten prinzipien- und risikobasierten Ansatz der Schweizer Gesetzgebung auch im Bereich Datenschutz zu wahren. Das begrüssen wir. Gleichzeitig erfolgt mit gezielten Regeln zwecks Modernisierung und punktuellen Ergänzungen eine Annäherung an die Regelungen der EU. Dies schafft materielle EU-Äquivalenz, was wir ebenfalls begrüssen. Unter dem Strich verspricht das neue Datenschutzgesetz Rechtssicherheit beim Umgang mit Daten und der Umsetzung datengetriebener Geschäftsmodelle. Wichtig ist und bleibt dabei für uns, dass ein "Swiss finish" vermieden wird. Die Schweizer Regeln sollen nicht über die EU-DSGVO hinausgehen.

Der Bundesrat sieht laut seinem Bericht "Digital ­Finance" von Anfang Februar 2022 in der Digitalisierung des Finanzmarktes grosses Potenzial für den Standort Schweiz. 12 Handlungsfelder benennt der Bundesrat in seinem Bericht: Rechts- und Aufsichtsrahmen, Open Finance, Regtech & Suptech, Cloud, Cybersecurity, Datennutzung (inklusive der gemeinschaftlichen Datennutzung), grenzüberschreitender Datenfluss, KI, DLT, Green Fintech, Innovationspotenzial stärken ... Effizienter, transparenter, kostengünstiger und kundenzentrierter sollen die Finanzmärkte dadurch werden. Wie stehen die SBVg und ihre Mitglieder diesen multiplen Herausforderungen gegenüber?

Wir begrüssen den Strategiebericht des Bundesrates. Massnahmen zu den einzelnen Handlungsfeldern werden laufend eruiert und wir stehen dazu im engen Dialog mit unseren Mitgliedern und den Behörden. Die Themenliste im Strategiebericht ist lang. Lassen Sie mich hier nur noch zwei aufgreifen. Erstens das Thema Cybersecurity: Eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen Cyberangriffe ist erfolgsentscheidend für einen zukunftsfähigen und vertrauenswürdigen Finanzplatz. Der Aufbau gemeinsamer Strukturen von Banken und weiterer relevanter Akteure des Finanzmarktes hat für uns entsprechend hohe Priorität. Zweitens zum Thema der gemeinschaftlichen Datennutzung: Wir sehen hier viel Potenzial, gerade in nicht-differenzierenden Bereichen wie Know-your-customer oder Geldwäscherei- und Betrugsbekämpfung. Insbesondere nehmen wir jedoch positiv zur Kenntnis, dass der Bundesrat im Strategiebericht festgehalten hat, dass er an den bewährten Prinzipien der Finanzmarktregulierung festhalten möchte: risiko- und prinzipienbasiert, wettbewerbs- und technologieneutral, proportional und differenzierend. Diese Gleichbehandlung, also ein Level Playing Field, ist zentral, damit die Digitalisierung ihre positive Wirkung für den Finanzplatz und für die Schweizer Wirtschaft frei entfalten kann.

Zur Person
Jörg Gasser hat langjährige Erfahrung in Diplomatie und Finanzmarktpolitik. Nach dem Studium der Volkswirtschaft und der Internationalen Beziehungen begann er seine berufliche Laufbahn beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Anschliessend bekleidete er verschiedene leitende Funktionen beim Bund, zuletzt als Staatssekretär des Staats­sekretariats für ­internationale Finanzfragen. Gasser ist seit Mai 2019 CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung.

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