Low- und No-Code-Plattformen

Was Low-Code für öffentliche Verwaltungen zu bieten hat

Uhr

"Eine App in zwei Stunden" und mit wenig Aufwand zu schnellem Erfolg in der Softwareentwicklung: Das verspricht die Website des LowCodeLab der Ostschweizer Fachhochschule. Das könnte auch in der öffentlichen Verwaltung funktionieren, findet Christoph Baumgarten, Dozent für Wirtschaftsinformatik und Mitglied des Projektteams. Doch in Fachkreisen gibt es Vorbehalte.

Sie setzen sich für die Verbreitung von Low-Code-Plattformen ein. Was motiviert Sie zu diesem­Engagement?

Christoph Baumgarten: Low-Code-Plattformen werden als Enabler für eine beschleunigte Softwareentwicklung propagiert, was sie vor dem Hintergrund einer sich dahinziehenden digitalen Transformation und des andauernden IT-Fachkräftemangels interessant macht. Die steigende Nachfrage hat inzwischen zu Hunderten von Anbietern und vielen Produktvarianten geführt. Seitens der Fachhochschule Ostschweiz (OST) spüren wir einen Bedarf nach Transparenz, unabhängiger Beratung und Austausch zum Thema Low-Code. Wir haben deshalb das "LowCodeLab@OST" gegründet, das als Kompetenzzentrum fungiert, auch für die OST selbst: Intern wird Low-Code immer stärker eingesetzt, auch in Lehre und Forschung.

Die Idee hinter Low-Code ist, dass Personen mit wenig Erfahrung an der Entwicklung von Applikationen mitarbeiten können. Was soll daran gut sein?

Digitalisierungsarbeiten können mittels Low-Code auch von sogenannten Citizen Developers ausgeführt werden, also von Fachexpertinnen und -experten ohne spezifisches Informatik-Know-how. Damit entstehen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen IT und Fachseite, welche die Ressourcenengpässe auf IT-Seite entschärfen und zu Qualitätsverbesserungen führen. Während beispielsweise ein Citizen Developer die einfacheren Bestandteile einer Anwendung realisiert, konzentriert sich die professionelle Softwareentwicklerin auf anspruchsvollere Komponenten. Oder ein professioneller Entwickler setzt sich mit einer Fachexpertin an einen Tisch – man bespricht die Anforderungen, entwickelt auf Basis von Low-Code eine Anwendung und testet sie sogleich. Ein drittes Beispiel: Um eine Marktidee zu überprüfen, realisiert der Fachbereich zeitnah ein entsprechendes Minimum Viable Product (MVP) auf Low-Code-Basis und die IT unterstützt punktuell.

Man kann auch behaupten: Wenn Laien zu Softwareentwicklern werden, sind Probleme programmiert. Was entgegnen Sie?

Ein Low-Code-gestütztes Citizen Development sollte in jedem Fall begleitet werden, typischerweise durch ein Center of Excellence (CoE), das man gut bei der IT ansiedeln kann. Die IT könnte sich so zu einem Enabler für ein strategisch gewolltes Citizen Development entwickeln und damit das Potenzial einer Schatten-IT auf Fachseite für die Organisation besser nutzbar machen. Abgesehen von der Bereitstellung von Support, Training und Schnittstellen übernimmt das CoE auch wichtige steuernde und überwachende Aufgaben. Es klärt zudem Fragen wie: Wo entstehen welche Low-Code-Anwendungen? Können Daten ungewollt abfliessen? Welche Last erzeugt eine Low-Code-Anwendung auf angebundenen Back-End-Systemen? Gute Low-Code-Produkte unterstützen hier mit entsprechender Funktionalität wie zum Beispiel der automatisierten Durchsetzung von Richtlinien.

Welche Schwierigkeiten sollte man einkalkulieren, wenn man eine Low-Code-Plattform in einer komplexen Organisation einführen will?

Low-Code-Plattformen stossen mitunter auf eine gewisse Skepsis bei IT-Fachleuten. Die Vorbehalte lauten etwa, Low-Code schränke die Möglichkeiten zu sehr ein oder der Begleitaufwand für ein Citizen Development sei zu hoch. Zudem sind längst nicht alle Fachexpertinnen und -experten aufgeschlossen gegenüber der Idee eines Citizen Development. Deswegen ist es wichtig, die Einführung von Low-Code durch ein übergreifendes Change Management zu begleiten und die Plattform sorgfältig und den Bedürfnissen entsprechend auszuwählen. Herausfordernd ist ferner die Balance zwischen Vorgaben und Freiräumen, die dem CoE für eine hohe Akzeptanz auf Fachseite gelingen muss.

Wie schätzen Sie das Potenzial von Low-Code für die öffentliche Verwaltung ein?

Generell sehen Analysten für die kommenden Jahre einen signifikanten Zuwachs in der Nutzung von Low-Code-Technologien. Der Marktforscher Gartner erwartet, dass 2025 zwei Drittel aller neuen Anwendungen mit Low-Code-Technologien realisiert werden. Low-Code-Plattformen sind immer auch Integrationsplattformen und können in gewachsenen, divergierenden IT-Landschaften, welche die öffentlichen Verwaltungen – wie auch Unternehmen – so herausfordern, hilfreiche Brückenfunktionen einnehmen. Mittels Low-Code lassen sich auch behelfsmässig Front-End-seitige Digitalisierungsprojekte realisieren, die dann die notwendige Zeit für grundlegende Umbauten einer gewachsenen Architektur verschaffen.

Die öffentlichen Verwaltungen der Schweiz haben eine sehr komplexe und heterogene IT-Landschaft. Ist es in solch einem Setting überhaupt möglich, mithilfe von Software-Baukästen per Drag-and-drop Prozesse zu digitalisieren?

Verbreitete Low-Code-Plattformen bieten relativ einfach zu handhabende Konnektoren zu verschiedensten betrieblichen Standardsoftware-Systemen. Gerade in öffentlichen Verwaltungen finden sich jedoch auch proprietäre Individualentwicklungen oder Legacy-Systeme, die eine prozessbezogene Integration erschweren. Hier könnte ein spezifischer Typus von Low-Code-Plattform, nämlich Robotic Process Automation (RPA), zum Einsatz kommen. RPA automatisiert repetitive Desktop-Arbeitsabläufe, integriert also Systeme über ihre Benutzeroberflächen. Damit lassen sich fehlende APIs ersetzen, programmiertechnische Eingriffe in bestehende Systeme sind nicht notwendig. Allerdings: Falsch eingesetzt, kann RPA ineffiziente Prozesse auch zementieren. In diesem Fall würden nur Symptome bekämpft, der ineffiziente Prozess aber nicht wirklich optimiert.

Im vergangenen Frühling deckte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) gravierende Sicherheitslücken in der IT-Infrastruktur des Parlaments auf. Müsste man solche Sicherheitsprobleme nicht zuerst lösen, bevor man an die Einführung von Low- oder No-Code denkt? Oder kann so etwas wie Low-Code Teil der Lösung von Sicherheitsproblemen sein?

Auch wenn der Hersteller einer Low-Code-Plattform im Aufbau seines Produkts mit Blick auf IT-Sicherheit alles richtig macht, und seine Arbeitsweise respektive sein Produkt sogar zertifizieren lässt, können trotzdem unsichere Anwendungen gebaut werden. Unabdingbar sind deshalb eine funktionierende IT-Governance und daraus abgeleitete Prozesse und Vorgaben auf Anwenderseite zur Gewährleistung von Datenschutz und IT-Sicherheit. Insbesondere sollte ein Citizen Development durch ein CoE entsprechend begleitet werden. Beispielsweise könnte ein Citizen Developer persönliche Zugriffsrechte in seine low-codierte App gewissermassen einbauen, die App dann ausrollen und damit Rechte unkontrolliert weiterreichen – so etwas gilt es zu verhindern. Gleichwohl: Ein begleitetes Citizen Development auf Low-Code ist in jedem Falle sicherer als die unbegleitete Schatten-IT auf Fachbereichsseite, wie sie bis heute beobachtet werden kann.

Webcode
DPF8_269673