Focus: KI im öffentlichen Dienst

Wie generative KI den Verwaltungsalltag verändert

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Routineaufgaben, Textarbeit und Wissensmanagement gelten als besonders geeignete Einsatz­felder für KI in Verwaltungen. Clemens Ammann, Dozent an der Berner Fachhochschule, erläutert, wie Behörden GenAI einführen, Mitarbeitende entlasten und Mehrwert schaffen können.

Clemens Ammann, Dozent, Berner Fachhochschule. (Source: zVg)
Clemens Ammann, Dozent, Berner Fachhochschule. (Source: zVg)

Ihr Fokus liegt auf der praxisorientierten Adoption von GenAI in Organisationen. Welche Aspekte dieser Erfahrungen sind besonders relevant für Verwaltungen?

Clemens Ammann: Für Verwaltungen gilt: Struktur statt Hype. Der Startpunkt sind nicht die Tools, sondern priorisierte Use Cases mit klaren Zielen und Nutzenhypothesen wie etwa verständlichere Schreiben oder weniger Routineaufwand. Parallel messen wir die AI-Literacy und die Nutzung. Die Führung lebt den Einsatz vor, schafft einfache Leitlinien und ermöglicht Zeit zum Lernen. Deshalb: Experimentieren ja, aber idealerweise organisiert – also in Form von kleinen Piloten mit Erfolgskriterien. Wir setzen dabei auf Augmentation statt auf Vollautomatisierung: GenAI soll die Mitarbeitenden stärken und gleichzeitig die Qualität erhöhen.

Aus Ihrer Forschung und den Erfahrungen anderer Organisationen:  Welche Prozesse in Verwaltungen eignen sich besonders gut für den Einsatz von GenAI?

Als Einstieg eignen sich vor allem text- und datenlastige Prozessschritte, also Etappen mit viel Kopier-, Such- und Formulierarbeit. Im Bürgerservice heisst das zum Beispiel, Anfragen vorzusortieren, Antwortentwürfe zu erstellen und FAQs zu pflegen – immer mit einer Freigabe durch einen Menschen. Im Backoffice und in der Aktenarbeit geht es eher um Übersetzungen, Zusammenfassungen oder das Auslesen und Prüfen von Formularen. In der Wissensarbeit unterstützt GenAI bei der Vorrecherche, der Strukturierung und der Variantenbildung von Berichten. Gute Kandidaten für solche Einsätze sind Prozesse mit hohem Volumen, klaren Qualitätskriterien und einem überschaubaren Risiko.

Und wo sehen Sie die grösste Chance für einen ­echten Mehrwert?

Der grösste Mehrwert entsteht meiner Meinung nach durch Augmentation. GenAI wird zum täglichen Sparringspartner für Entwürfe, Übersetzungen, Zusammenfassungen und den schnellen Zugriff auf Wissen – etwa auf Reglemente. Das führt im Bürgerservice zu schnelleren und konsistenten Antworten in allen Landessprachen und zu Schreiben, die verständlicher sind. Intern entlastet es die Fachpersonen, weil sie weniger Zeit mit Copy and Paste verbringen und sich stärker auf Beurteilung und Entscheide konzentrieren können – und genau dadurch steigt auch die Qualität. Bildlich gesprochen ist das der Schritt vom «Fahrrad» zum «Auto», nur dass die Hände weiterhin am Steuer bleiben. Und in der Co-Creation werden Aufgaben möglich, die vorher mühsam oder kaum machbar waren – wie etwa komplexe Excel-Formeln zu erstellen.

Wie kann verhindert werden, dass Verwaltungen Gen­AI einsetzen, nur weil es möglich ist, nicht weil sie einen echten Mehrwert schafft?

Der beste Schutz vor «KI um der KI willen» ist ein klarer Nutzenkompass. Jede Initiative startet mit dem Problem, einer passenden Messgrösse und einem klaren Ziel. Dann folgt ein kurzer Pilot, immer mit Menschen im Loop, sauber dokumentiert und mit einer klaren Stop-Regel. Zudem sollten wir zuerst Prozesse vereinfachen und erst dann digitalisieren. Sonst automatisiert (Gen)AI am Ende nur Bürokratie. Wichtig ist auch die Rolle der Führung: Sie muss die Haltung vorleben, prüfen, lernen und Orientierung geben. Klare Leitlinien – etwa zu Datenschutz und Quellenprüfung – und kurze Trainings schaffen zusätzlich Sicherheit. Und bei der Beschaffung zählt Wirkung statt Glanz: Entscheidend ist, was zu den Daten, unserem Recht und zum Budget passt.

Welche Kompetenzen und welchen Kulturwandel braucht es, damit Verwaltungsmitarbeitende diese Technologie als nützliches Werkzeug annehmen?

Es braucht vor allem zwei Dinge: Können und Haltung. Beim Können geht es darum, ein solides Grundverständnis dafür zu haben, wie GenAI arbeitet und wo ihre Grenzen liegen, und das auch praktisch im Alltag anzuwenden: gute Prompts formulieren, Ergebnisse gezielt nachschärfen, Quellen prüfen, Datenschutz wahren und Vorurteile erkennen. Ebenso wichtig ist die Refle­xion: Mitarbeitende behalten die Verantwortung, dokumentieren den Einsatz von Gen­AI und prüfen, ob der Entwurf fachlich überzeugt. Die Haltung entsteht aus Kultur. Kurze Trainings, offene Sprechstunden, geteilte Prompt-Bibliotheken und Austauschformate helfen, das Wissen zu verbreiten. Führung lebt die Nutzung vor, setzt einfache, verständliche Leitlinien und schafft eine sichere Umgebung, sodass niemand in die Schatten-IT ausweichen muss. KI-Botschafterinnen und -Botschafter unterstützen die Teams, Erfolge werden sichtbar gemacht, und Fortschritte pragmatisch gemessen.

Abgesehen von den Mitarbeitenden: Welche Hürden sehen Sie als die grössten an für die Einführung von Gen­AI in Verwaltungen?

Die grössten Hürden liegen selten in GenAI selbst, sondern im Umfeld. Oft sind es mangelhafte Datenqualität, komplexe Abläufe, unklare Zuständigkeiten oder fehlende einfache Arbeits­wege – dadurch entsteht schnell Schatten-IT. Hinzu kommt die sogenannte KI-First-Illusion: GenAI ist Mittel zum Zweck und gehört sauber in die Fach- und Digitalstrategie eingebettet. Nachhaltig wirkt sie nur, wenn ihr Betrieb dauerhaft budgetiert ist.

Und wie können Verwaltungen diese Hindernisse überwinden?

Strategie vor Technologie. Zuerst müssen die Ziele und Pain Points geklärt und die Prozesse verschlankt werden. Erst danach können die passenden Tools gewählt und die Verantwortlichkeiten geklärt werden. Wir schaffen also einfache Arbeitswege mit klaren Leit­linien. Gleichzeitig befähigen wir die Menschen und messen die Wirkung unserer Initiativen.

Welches KI-Projekt hiesiger Behörden begeistert Sie aktuell besonders?

Mich begeistert «Apertus» – das von EPFL, der ETH Zürich und dem Swiss National Supercomputing Centre lancierte offene und mehrsprachige Sprachmodell. Ich finde es besonders spannend, weil es transparent ist, Datensouveränität respektiert und auf Schweizer Infrastruktur betrieben werden kann.

Beim letzten E-Government-Forum haben Sie während Ihrer Präsentation Beispiele von KI-Anwendungen aus Helsinki, Island und den USA genannt. Welche Lehren lassen sich daraus – oder aus anderen internationalen Projekten – für Verwaltungen in der Schweiz ziehen?

Die wichtigste Lehre für uns lautet: Nutzerzentriert denken, evidenzbasiert handeln. Gute Projekte starten bei konkreten Pain Points – zum Beispiel langen Antwortzeiten oder unklaren Schreiben – und werden gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern getestet und offen auf Wirkung gemessen. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind von Anfang an entscheidend: Kennzeichnung, Dokumentation und Menschen im Loop gehören dazu, ebenso wie Mehrsprachigkeit und Barrierefreiheit als Standard. Wir setzen auf kleine, wiederverwendbare Bausteine, die über Ämter und Kantone hinweg geteilt werden können – «build once, reuse often» –, und flankieren dies mit schlanker Governance.

In Island wird KI gemeinsam mit OpenAI so trainiert, dass sie auch auf Isländisch funktioniert. Welche Chancen würde eine solche Zusammen­arbeit für Verwaltungen in der Schweiz bieten? Braucht es eine solche Kooperation, um Bürgerinnen und Bürger in allen Landessprachen besser zu erreichen?

Island zeigt, dass gezielt trainierte GenAI kleinere Sprachen lebendig hält und digitalen Service in der eigenen Sprache ermöglichen kann. Für die Schweiz bedeutet das: bessere Qualität in allen vier Landessprachen und konsistente Behördentexte – gern auch unter Berücksichtigung von Varietäten wie dem Matten­englisch. Kooperationen wie in Island sind hilfreich, aber starke Partner finden wir auch hierzulande.

Kritische Stimmen warnen vor einer KI-Blase, die dereinst platzen wird. In welchen Bereichen sollten Verwaltungen Ihrer Meinung nach mit der KI-Einführung vorsichtig sein?

Verwaltungen riskieren eine «KI-Blase», wenn viel Budget in Eigenmodelle oder grosse Plattformprojekte ohne klaren Nutzen fliesst. Gefährlich wird es auch, wenn Blackbox-Systeme in rechtsverbindlichen Entscheidungen eingesetzt werden – etwa bei Sozialleistungen oder der Polizeiarbeit – oder wenn ineffiziente Prozesse einfach nur schneller automatisiert werden. Hinzu kommt das Risiko des Deskilling: Werden KI-Entwürfe ungeprüft übernommen, gehen Fähigkeiten wie Begründung, Rechtsanwendung und die klare Amtssprache verloren.

Wie, glauben Sie, wird generative KI konkret in zehn Jahren den Kontakt zwischen Bürgerinnen und Bürgern und ihrer Verwaltung verändert ­haben?

Ich stelle mir das so vor: In zehn Jahren läuft der Kontakt dialogbasiert statt formulargetrieben – per Chat oder Stimme, in allen Landessprachen. Die Assistenz versteht den Kontext und füllt Daten automatisch vor. Und Barrierefreiheit ist Standard. Bei Ermessensfällen wird nahtlos an Menschen übergeben. Für die Mitarbeitenden bedeutet das weniger Prüfarbeit und mehr Zeit für Beratung und Qualitätssicherung.

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