Forschung

Künstliche Intelligenz berechnet Phasendiagramme

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von Oliver Morsch, Universität Basel/tme

Forschende der Universität Basel haben eine neue Methode entwickelt, um Phasendiagramme von physikalischen Systemen zu berechnen, die ähnlich wie ChatGPT funktioniert. Mithilfe dieser künstlichen Intelligenz könnten in Zukunft sogar wissenschaftliche Experimente automatisiert werden.

(Source: Kjpargeter / Freepik.com)
(Source: Kjpargeter / Freepik.com)

Vor eineinhalb Jahren wurde ChatGPT veröffentlicht, und seitdem gibt es kaum etwas, das nicht mit dieser neuen Form von künstlicher Intelligenz erzeugt werden kann: Texte, Bilder, Videos und sogar Musikstücke. ChatGPT beruht auf so genannten generativen Modellen, die mithilfe eines komplexen Algorithmus aus Bekanntem völlig Neues erschaffen können.

Forschende um Prof. Dr. Christoph Bruder von der Universität Basel haben nun gemeinsam mit Kollegen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston eine ähnliche Methode verwendet, um Phasendiagramme von physikalischen Systemen zu berechnen. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlicht.

Phasendiagramme sind schwierig zu berechnen

Phasendiagramme sind in der Physik sehr wichtig und beschreiben, in welchen Zustandsformen ein Material existieren kann – Wasser zum Beispiel als Eis, flüssiges Wasser oder Wasserdampf. Zwischen diesen Phasen kommt es in Abhängigkeit von bestimmten Grössen, etwa der Temperatur oder dem Druck, zu Phasenübergängen. Diese Übergänge können verschiedenster Art sein – beispielsweise von einem normalen elektrischen Leiter zu einem Supraleiter oder von einem nichtmagnetischen zu einem ferromagnetischen Zustand.

"Phasendiagramme zu berechnen ist allerdings schwierig und erfordert viel Vorwissen und Intuition seitens der Forschenden", sagt Julian Arnold, Doktorand in Bruders Arbeitsgruppe. Das Problem liegt darin, dass ein Festkörper oder eine Flüssigkeit aus sehr vielen Teilchen – Atomen oder Molekülen – besteht. Diese Teilchen stehen in Wechselwirkung zueinander, sie ziehen sich also an oder stossen sich ab; sie bilden ein so genanntes Vielteilchensystem. Entsprechend viele Möglichkeiten gibt es, wie der Gesamtzustand des Materials aussehen kann, also die Positionen der Teilchen, aber auch zusätzliche Eigenschaften wie etwa die Ausrichtung von Spins, welche die Magnetisierungsrichtung angeben.

"In der Vergangenheit wurden diese Zustände oft mithilfe von neuronalen Netzwerken klassifiziert und so ein Phasendiagram errechnet", erklärt Bruder. Das funktioniert in etwa so wie in der Bilderkennung, bei der ein Algorithmus versucht, zwischen Hunde- und Katzenbildern zu unterscheiden. Der Algorithmus berechnet dabei, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Bild einen Hund oder eine Katze zeigt und trifft dann seine Entscheidung.

Schneller dank generativer Modelle

Als Alternative zu diesem diskriminativen Ansatz haben die Forscher aus Basel und Boston nun eine generative Methode entwickelt. Der Unterschied: Bei der generativen Methode, die ChatGPT ähnelt, erzeugt der Computer eine sehr grosse Zahl von möglichen Zuständen des Systems (im obigen Beispiel: viele verschiedene Hunde und Katzen) und entscheidet dann jeweils, zu welcher Phase ein bestimmter Zustand gehört.

"Wir haben gezeigt, dass die generative Methode in der Lage ist, ein Phasendiagramm völlig autonom und in viel kürzerer Zeit als die diskriminative Methode zu berechnen", sagt Arnold. Derzeit testet er die Methode auch an einem Modell für Schwarze Löcher im Universum, um deren Phasenübergänge zu detektieren. In Zukunft könnte die neue Technik vielleicht sogar Physiklabore automatisieren: Der Algorithmus würde dann automatisch die Kontrollparameter einer Versuchsapparatur einstellen und aus den gemessenen Daten direkt ein Phasendiagramm erstellen.

Interessanterweise kann die von ChatGPT inspirierte Methode zum Ausrechnen von Phasendiagrammen auch auf Modelle wie ChatGPT selbst angewendet werden. "Auch ChatGPT hat so etwas wie eine Temperatur", erklärt Arnold. Ist diese Temperatur sehr niedrig, so ist der Algorithmus wenig kreativ und spuckt nur Erwartbares aus. Ist sie dagegen zu hoch, so wird der generierte Text wahllos und chaotisch. Mit der Technik der Basler Forschenden kann man den Übergang zwischen diesen beiden Phasen bestimmen und Sprachmodelle entsprechend ideal einstellen.

Originalpublikation

Julian Arnold, Frank Schäfer, Alan Edelman, Christoph Bruder. Mapping Out Phase Diagrams with Generative Classifiers. Physical Review Letters (2024), doi: 10.1103/PhysRevLett.132.207301. 

 

Dieser Artikel ist zuerst bei "unibas.ch" erschienen. 

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