Fachbeitrag

Digisanté – der etwas andere Blick

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von Jürg Lindenmann, selbstständiger Berater

Die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist nicht nur eine Frage des Geldes. Das Programm Digisanté, mit dem der Bund den Rückstand der Schweiz in der Digitalisierung des Gesundheitswesens aufholen will, erfordert eine straffe ­Organisation – was aufgrund des geforderten Einbezugs aller Akteure jedoch eine Herausforderung darstellt.

Jürg Lindenmann, Präsident, Schweizer Verband Digitale Gesundheit. (Source: zVg)
Jürg Lindenmann, Präsident, Schweizer Verband Digitale Gesundheit. (Source: zVg)

"Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten", sagte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1995. Die digitale Transformation im Gesundheitswesen kommt schon seit Jahrzehnten und auch heute noch nur schleppend voran. Ins öffentliche Bewusstsein trat dieser Zustand erst mit dem berühmten "Fax-Gate" im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie.

Damit wurde auch die Politik darauf aufmerksam, und die Startschwierigkeiten des EPD taten ein Übriges dazu, dass viele parlamentarische Vorstösse eingereicht wurden, die verlangten, dass nun endlich etwas zur Beschleunigung der digitalen Transformation im Gesundheits­wesen getan werden müsse. 

Normalerweise mahlen die Mühlen der Politik langsam, aber schon im Januar 2022 hat der Bundesrat dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) den Auftrag erteilt, zusammen mit der Gesundheitsdirektorenkonferenz eine Fachgruppe für ein gesamtheitliches Datenmanagement im Gesundheitswesen zu konzipieren, die ein gemeinsames übergreifendes Architekturverständnis schaffen, sich auf gemeinsame Standards einigen und für deren Erarbeitung sorgen soll.

In einem "Befreiungsschlag" adressierte der Bundesrat dann im November 2023 mit seiner Botschaft zum Programm Digisanté 2023 mehrere parlamentarische Vorstösse in Bezug auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens, und das Bundesparlament hat am 29.5.2024 mit dem "Bundesbeschluss zum Verpflichtungskredit für ein Programm zur Förderung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen für die Jahre 2025–2034" die finanziellen Grundlagen für die Umsetzung des Programms Digisanté geschaffen.

Was steckt drin?

Die Inhalte des Programms wurden durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schon an vielen Informationsveranstaltungen vorgestellt, aber dennoch gibt es noch immer sehr unterschiedliche Erwartungshaltungen.

Einige Stakeholder meinten, dass der Verpflichtungskredit von 392 Millionen Franken, wie im deutschen "Krankenhauszukunftsgesetz für die Digitalisierung von Krankenhäusern" vorgesehen, Mittel bereitstellt, die von den Leistungserbringern und der IT-Industrie für konkrete Digitalisierungsprojekte abgerufen werden können. Tatsächlich sind die Gesamtkosten des Programms Digisanté mit 624 Millionen Franken veranschlagt, wobei die Differenz zum Kredit aus den ordentlichen Budgets des BAG zu bestreiten ist. Damit ist klar, dass diese Mittel nur für Projekte, die im Programm Digisanté geplant sind, eingesetzt werden können. Dabei handelt es sich um 50 Projekte, darunter Digitalisierungsprojekte des BAG und solche für die Bereitstellung von zentralen Basisdiensten, die Spezifikation von Standards, die Koordination und Orchestrierung von Massnahmen zur Verbesserung des Datenmanagements im Gesundheitsbereich, die Anpassung und Schaffung rechtlicher Grundlagen sowie die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung. Das elektronische Patientendossier (EPD) und seine Weiterentwicklung wiederum sind nicht Bestandteil von Digisanté.

Komplexe Umsetzung

Dieser holistische und programmatische Ansatz erfordert eine pragmatische und straffe Organisation, was aber unter dem Aspekt des Einbezugs aller Akteure, wie im Bundesbeschluss verlangt, eine Herausforderung darstellt. 

Die Programmumsetzung liegt in der Verantwortung des Bundesamtes für Gesundheit und des Bundesamtes für Statistik. Die schon vor Digisanté ins Leben gerufene Fachgruppe Datenmanagement im Gesundheitswesen (FDMG) soll sich dabei mit Standards und der Interoperabilität der Gesundheitsdaten beschäftigen und ein neu geschaffenes Branchengremium ab 2025 mit der Priorisierung, den Zielvorgaben und dem Set-up der geplanten Projekte befassen. Dabei sollen der erwartbare Nutzen für die Akteure sowie die Patientinnen und Patienten massgeblich sein. Die Projekte sollen zudem von Fachexperten seitens der Akteure begleitet werden. Der Verpflichtungskredit ist kein Blankocheck, und der Mittelbedarf beziehungsweise der Kredit muss pro Vorhaben durch den Bundesrat respektive das EDI einzeln freigegeben werden. Jährlich findet eine Fortschrittsüberprüfung durch das Parlament statt.

Was kann von Digisanté erwartet werden?

Die Covid-Pandemie, die den Spot grell auf den noch sehr entwicklungsbedürftigen Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen gerichtet hat, ist (glücklicherweise) vorbei und der politische Fokus ist mittlerweile schon längst auf andere, dringlichere Themen gerichtet. In Kombination mit der langen Zeitdauer des Programms bis 2034 besteht die Gefahr der Verzettelung und der Erlahmung der Unterstützung durch die Akteure und die Politik. 

Es sind keine magischen Zaubereffekte zu erwarten. Die Umsetzung von Digisanté erfordert Durchhaltewillen und den Willen aller Akteure, an einem Strang zu ziehen. Packen wir’s an.

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