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Wearables wirbeln die ­Gesundheitsbranche auf

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von Christoph Grau

Mobile Applikationen und Wearables sind nicht nur etwas für den Heimanwender. Im Gesundheitswesen halten die vernetzten, tragbaren Geräte langsam, aber sicher Einzug. In der Schweiz steht die Entwicklung noch am Anfang. Es ist aber viel in Bewegung – und dies nicht nur in Spitälern.

In den vergangenen Jahren haben sich Activity-Tracker verkauft wie warme Weggli. Allein im Jahr 2015 wurden mehr als 80 Millionen dieser Geräte abgesetzt, und die Marktforscher von IDC erwarten eine Steigerung auf 215 Millionen Einheiten im Jahr 2019. Als coole Gadgets waren sie eine Zeitlang an vielen Handgelenken zu sehen. Inzwischen hat sich der Hype um die Selbstvermessung, das sogenannte Quantified Self, wieder etwas gelegt. Denn häufig blieben Fragen unbeantwortet, wie: Was bieten mir diese Wearables eigentlich genau? Oder: Welche Aussagekraft hat die Anzahl Schritte, die ich gegangen bin? Im Consumer-Bereich ist daher eine gewisse Ernüchterung eingetreten.

Die Technologie im Wearable-Umfeld entwickelt sich dennoch schnell weiter. Die Sensoren werden immer kleiner, genauer und auch günstiger. Auf Messen wie der Consumer Electronics Show in Las Vegas wimmelt es daher nur so von innovativen Wearables im Health-Bereich, wie Stefano Santinelli, CEO Swiss­com Health, sagt. "Das Thema Wearables geht jetzt erst so richtig los", bestätigt Martin Matter, Direktor ICT am Universitätsspital Zürich, die Entwicklung.

Unterstützung der Patienten

Laut Matter können Wearables in Verbindung mit anderen mobilen Technologien einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssteigerung im Spital leisten. "Es sind nicht nur coole Gadgets", betont er. Die Technologien böten grosse Potenziale für eine bessere Versorgung der Patienten, was immer an erster Stelle stehe. Gewisse schwerwiegende, gesundheitliche Vorfälle – vom Patienten unbemerkt – zeichnen sich oft schon Stunden im Voraus ab. Wenn diese Parameter durch die Wearables erfasst würden, dann könnten Patienten frühzeitig gewarnt werden. So könnten etwa Diabetiker durch Sensoren an ihrem Körper über eine drohende Unterversorgung mit Insulin gewarnt werden.

Abgesehen von der Verbesserung der Behandlung und der Früherkennung könnten Wearables auch einen Beitrag zur Kostenkontrolle leisten. Laut Matter könnten mit Wearables ausgestattete Patienten teilweise früher nach Hause entlassen werden. Er glaubt, dass die Fernüberwachung durch Wearables noch stark ausgebaut werden könne. Dies würde einen Beitrag zu Kostensenkungen und zu einer höheren Effizienz der Spitäler leisten.

Schon heute unterstützen Wearables Patienten bei der Einnahme von Medikamenten. Dadurch werde diese Technologie auch für die Pharmaindustrie interessant, sagt Ulrich Muehlner, Global Head Outcomes Technologies Incubator bei Novartis (Novae). So könne etwa mithilfe von Wearables sichergestellt werden, dass die Medikamente die gewünschte Wirkung erzielen. Patienten könnten über den richtigen Zeitpunkt zur Einnahme informiert werden. Idealerweise liesse sich die Wirkung der Medikamente sogar noch durch integrierte "Beyond-the-Drug"-Lösungen optimieren, sagt Muehlner.

Warum auch Versicherungen an Wearables ­interessiert sind

Beim Thema Kostenkontrolle lohnt es sich auch, einen Blick auf die Krankenversicherungen zu werfen. Denn die Versicherungsbranche sieht in Wearables vor allem eine Unterstützung bei der Prävention.

Die CSS-Versicherung etwa schloss vor kurzem einen Pilotversuch mit Wearables ab. Im Rahmen des Projekts "my Steps" konnten Patienten ausgewählte Daten ihrer Fitnesstracker an die Versicherung weiterleiten. Ziel des Versuchs war es, dass die Versicherten jeden Tag 10 000 Schritte gehen. In den Versuch wurden zunächst die bereits vorhandenen Fitnessgeräte der Kunden mit einbezogen. "Mittel- und langfristig sollen die Kunden durch solche Angebote ein anderes Verständnis ihres Lebensstils bekommen", sagt Volker Schmidt, Leiter Versicherungstechnik und Informatik bei der CSS. Denn mithilfe der Tracker erhielten die Kunden direktes Feedback zu ihren Aktivitäten.

In einem weiteren Schritt liessen sich die Wearables auch in Angebote der Versicherungen einbinden. Beispielsweise lies­se sich eine "Bewegungsleistung" als Präventionsbeitrag anerkennen, was sich dann wiederum positiv auf die Prämienhöhe auswirken könnte. Unter dem Motto: "Sie erlaufen sich die Prämie" ist dies laut Schmidt auch schon heute bei Zusatzversicherungen möglich.

Schmidt ist es jedoch wichtig, zu betonen, dass es nicht darum gehe, den gläsernen Versicherten zu erzeugen. Der Versicherer muss mit den Daten treuhänderisch umgehen und darf diese nicht an Dritte weitergeben. Alle Ansätze würden sich nur auf Zusatzversicherungen beziehen und nicht die Grund­versicherung.

Präzision nicht immer entscheidend

Obwohl die momentan verfügbaren Wearables immer genauer werden, so sind diese zumeist doch nur Konsumgüter und erreichen nicht das hohe Niveau von medizinischen Geräten, wie Muehlner betont. Teilweise gebe es noch erhebliche Schwankungen bei den gemessenen Werten. In der Medizintechnik würden nur sehr geringe Abweichungen toleriert. Es gebe aber schon erste Wearables, die auch die Zulassung von den Aufsichtbehörden, etwa der FDA in den USA, erhalten hätten. Das Angebot an speziellen medizinischen Wearables werde rasant wachsen, ist Muehlner überzeugt.

Diese Entwicklung beschreibt auch Santinelli. Anfangs ­hätten viele Produkte noch mit der Ungenauigkeit zu kämpfen. Aber in nur wenigen Jahren der Weiterentwicklung habe sich die Genauigkeit deutlich verbessert. Als Beispiel nennt er Blut­druck- und Pulsmesser. Diese entsprächen inzwischen den ­medizinschen Kritieren. Santinelli zeigt sich optimistisch, dass auch die anderen Produkte diese Entwicklung vollziehen werden. Für die Zwecke der CSS seien die ungenaueren Geräte durchaus ausreichend. "Alle Geräte sind hier gleich ungenau", sagt Schmidt. Wichtig sei ihm nicht die genaue Schrittzahl, sondern dass die Kunden zu mehr Bewegung und einem Wandel in den Lebensgewohnheiten animiert würden. Hierfür brauche es nicht Genauigkeit bis ins letzte Detail.

Laut Santinelli bieten heute Geräte für deutlich unter 100 Franken schon medizinische Qualität. Beispielsweise ­hätten Erfahrungen gezeigt, dass sich die Vitalwerte von Patien­ten durch solche Geräte deutlich verbessern liessen. Oft sei dazu nicht viel mehr nötig als eine Waage, ein Blutdruckmessgerät und ein Bewegungstracker sowie eine App, die diese Daten auswertet. Daher seien Wearables für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen und auch für die Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen zunehmend interessant, ­betont Santinelli.

Wer in der Schweiz vorangeht

Die Vorreiter im Bereich Wearables in der Schweiz sind laut Santinelli die Apotheken. Viele Apotheken böten die Geräte nicht einfach nur zum Verkauf, sondern sie hätten ganze Lösungen rund um Wearables entwickelt. "Sie sind sehr innovativ", hebt Santinelli lobend hervor. So würden einige Apotheken personalisierte Beratung mithilfe von Wearables anbieten, mit dem Ziel, den Lebensstil des Kunden positiv zu verändern.

Aber auch unter Spezialärzten sei die Verbreitung und Akzeptanz schon sehr hoch, betont er. Diese sei um einiges höher als bei Hausärzten. Als Gründe nennt Santinelli das engere Feld der Spezialärzte. Die Zahl der potenziell Nutzen versprechenden Geräte sei für sie deutlich überschaubarer. Bis jedoch auch Allgemein- und Hausärzte Wearables entdecken würden, sei es noch ein weiter Weg.

Vorteile müssen für alle Seiten ersichtlich sein

Matter wagt noch keine Aussage, wie die Patienten die Wearable-­Technologie aufnehmen werden. Seiner Meinung nach braucht es noch ein paar Jahre, bis hier ein gewisses Mass an Akzeptanz aufgebaut ist. "Die ersten paar Prozent werden sicherlich schnell gehen", glaubt er. Bis 20 oder 30 Prozent erreicht seien, werde es aber sicherlich noch ein paar Jahre länger dauern. "Es wird immer einen Teil geben, der die Technologie nicht haben will", sagt er weiter. Insbesondere ältere Semester würden das Ganze eher problematisch sehen. Bei den Digital Natives zeigt sich Matter deutlich optimistischer. Sie würden die Vorteile bestimmt schneller erkennen.

"Bei der Akzeptanz der Wearables wird entscheidend sein, wie sinnvoll diese sind", ist Schmidt der Meinung. "Der Kunde will nicht überwacht werden." Vielmehr wolle er einen Service, der auf ihn und seine Gesundheit einen positiven Einfluss habe. Dies könne nur durch "sinnvolle Produkte" erreicht werden. Mit den Wearables Kosten zu sparen und die Behandlung zu optimieren, sei für die Spitäler und auch die Ärzte entscheidend. Für die Versicherungen sei hingegen ein Kunde wichtig, der möglichst lange gesund sei, indem er auf einen guten Lebenswandel achte. Der Patient oder Kunde sollte dabei jedoch im Mittelpunkt stehen. Keinesfalls sollte nur eine Seite einen Vorteil durch den Einsatz von Wearables haben.

Nur eine "Win-win-Situation" verspricht Erfolg, meint auch Schmidt. Das Zünglein an der Waage werde schliesslich die Akzeptanz des mündigen Patienten oder Kunden sein. Es werde davon abhängen, ihm den Mehrwert zu vermitteln. Diesen könnte er sowohl in finanziellen Vorteilen, einer verbesserten Behandlung oder auch in einem gesünderen und längeren Leben sehen.

Für die Akzeptanz sei nicht zuletzt auch das Vertrauen in die Sicherheit der Daten wichtig, sagt Santinelli. Nur wenn der Nutzer der Wearables selbst über die Verwendung seiner Daten entscheiden könne, sei ein langfristiger Erfolg möglich.

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