Hintergrundwissen

Digital Twins - der virtuelle Spiegel zur physischen Welt

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Im Internet der Dinge werden digitale Zwillinge immer wichtiger. Dahinter steckt das technologische Prinzip, möglichst alles in der physischen Welt auch digital abzubilden. Doch welchen Mehrwert bringt dies dem Markt? Spezialisten von ABB, Bosch IoT Labs und IBM klären auf.

Konzeptbild eines smarten Rotterdamer Hafens. (Source: IBM)
Konzeptbild eines smarten Rotterdamer Hafens. (Source: IBM)

Eine gewöhnliche Zahnbürste ist nicht "smart". Smart ist sie erst, wenn die Zahnbürste dank Software und Sensorik einen Mehrwert bietet, wie Timo Gessmann, Director Bosch IoT Lab, sagt. Etwa, wenn sie Feedback gibt und sagt, an welchen Stellen der Nutzer noch nicht geputzt hat. Wenn das Gerät während der Nutzung Daten aufzeichnet, kann man es auf dieser Basis natürlich noch weiter optimieren. Man spricht in diesem Kontext auch vom digitalen Zwilling.

Der digitale Zwilling ist eine digitale Repräsentation von physischen Assets, wie René Stäbler, Intrapreneur and Innovation Consultant for Industry 4.0 Digital Transformation bei IBM, erklärt. "Ein digitaler Zwilling bietet die Möglichkeit einer virtuellen Darstellung des smarten IoT-Geräts während seines gesamten Lebenszyklus. Denn das macht es zu einem Gerät der Zukunft." Laut Stäbler bilden die besten digitalen Zwillinge eine physische Sache möglichst detailliert ab. Sie können damit zu Simulationszwecken genutzt werden.

René Stäbler, Intrapreneur and Innovation Consultant for Industry 4.0 Digital Transformation, IBM. (Source: zVg)

So könnten etwa Ingenieure lernen, wie Assets idealerweise gebaut werden und Empfehlungen für Wartungspläne geben. "Mit einem Digital Twin lassen sich auch Prozesse simulieren, die in der Realität nicht umsetzbar sind – beispielsweise, weil sie zu viele Ressourcen in der Produktion verbrauchen würden", sagt Christopher Ganz, Group Service R&D Manager von ABB. Optimierungsalgorithmen könnten solche Simulations­modelle verwenden, um eine Vielzahl möglicher Betriebsvarianten durchzurechnen.

 

Smart wird smarter dank Zwillingen

Oft werde der Digital Twin sogar noch vor dem physischen Gerät erstellt. "Wenn wir etwa bei ABB Produkte entwickeln, beginnen wir meist mit einer Simulation. In solchen Fällen wird der Digital Twin von einem Gerätespezialisten entworfen und programmiert", sagt Ganz. Es geht hierbei um den Lernprozess, denn im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Maschine können digitale Zwillinge im Betrieb dazulernen.

Christopher Ganz, Group Service R&D Manager, ABB (Source: Guenter Bolzern, www.bolzern.tv)

Die vom physischen Objekt gesammelten Daten lassen sich mithilfe des digitalen Zwillings auswerten. Bei einer Maschine in einer Produktionsanlage etwa würden kleinste Abweichungen erkennbar – das System könne lernen, wie es darauf reagieren soll und seine Abläufe entsprechend optimieren. "So kann die Software schliesslich selbst entscheiden, was in einem Prozess gut oder schlecht ist und entsprechend eingreifen", erklärt Gessmann.

 

Erst simulieren, dann optimieren

"Digitale Zwillinge und IoT gehen Hand in Hand", sagt Stäbler. Firmen und Hersteller spürten einen immerwährenden Druck, kostengünstig und effizient zu arbeiten. Digitale Zwillinge könnten hier helfen. Sie führen zum Aufbrechen von Silos und speisen so die Forschung und Entwicklung, Fabrikation und Services gegenseitig mit wertvollen Informationen, wie Stäbler sagt. "Aftermarket-­Services erhalten dadurch die besten Insights – eine holistische Sicht auf den Betrieb und den Zustand der Geräte."

Wenn eine Installation zuerst in einer Simulation geprüft und darauf basierend optimiert werde, spare das Zeit, Energie und Material. "Im Kern hilft ein Digital Twin immer, Daten zu einer Installation auszutauschen und auszuwerten", sagt Ganz. Da dies konsistent und elektronisch erfolge, sei die Datenqualität auch höher. Das wiederum vermeide Produktionsfehler.

In der physischen Welt einen Ablauf zu automatisieren, ist eine aufwändige Angelegenheit. Beispielsweise muss Automatisierungstechnik beschafft, installiert und manuell in Betrieb genommen werden. In der digitalen Welt zu automatisieren, ist kostengünstiger und skalierbar, wie Gessmann sagt. Wenige Zeilen Programmcode sind hier häufig ausreichend. Die Daten von digitalen Zwillingen seien zudem auch global verfügbar und geben Einblicke in Geräte oder Maschinen der gleichen Art. "Wenn Sie etwa ein Werk in der Schweiz und eines in China haben, können Sie diese simultan online analysieren und vergleichen, welches von beiden gerade effizienter arbeitet", veranschaulicht Gessmann.

Timo Gessmann, Director, Bosch IoT Lab (Source: Martin Stollberg)

Selbst wenn der Kunde das Produkt gekauft und schon bei sich im Einsatz hat, kann es weiter optimiert werden. Auf der Basis gesammelter Nutzungsdaten können Software­funktionen im Feld weiter aktualisiert werden, erklärt Gessmann. "Wenn das Produkt nicht optimal auf den Kunden abgestimmt ist, lässt es sich so anpassen, dass es für den Kunden besser funktioniert – es kann über das Internet aus der Ferne optimiert werden." Anhand von Nutzungsdaten könnten Digital Twins auch Hinweise liefern, wie sich die nächste Generation der Produkte weiter verbessern lässt.

 

Wo Augmented Reality ins Spiel kommt

Digitale Zwillinge könnten von einem anderen Trend zusätzlich profitieren, so Ganz: Augmented Reality. Wenn die Welt durch digitale Zwillinge möglichst genau repräsentiert werde, könne sie digital erkundet werden. Ein Service-Techniker schaue ein Gerät in der Anlage an und alle dazugehörigen Daten würden direkt im Sichtfeld seiner Datenbrille eingeblendet, etwa aktuelle Messwerte, allfällige Fehlermeldungen und präzise Reparaturanleitungen.

Wenn digitale Zwillinge und Augmented Reality dem Nutzer unter die Arme greifen, kann dieser auch Aufgaben besser bewältigen, für die er noch wenig Routine hat. "Ein Junior Engineer kann auf diese Weise auf das bestehende Wissen seiner erfahrenen Kollegen zugreifen und dadurch unterstützt werden", sagt Stäbler. Gerade in der heutigen Zeit, wo die Babyboomer-Generation bald in den Ruhestand gehe und wichtiges Know-how verloren gehen könnte, sei eine blitzschnelle Weitergabe von Fachwissen immens nützlich.

Laut Stäbler stehen wir dabei noch am Anfang – das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Und Potenzial gebe es unter anderem im Anwendungsfall für Remote Assistance.

 

Auch der Mensch wird digitalisiert

Der Einsatz von Digital Twins beschränkt sich nicht nur auf Maschinen. Auch der Mensch selbst lässt sich in digitaler Form darstellen. Dies bringt etwa im E-Health-Bereich einige Vorteile, wie Gessmann erklärt. Die Daten könnten von Geräten wie Fitnesstrackern kommen. Deren Sensoren erfassen etwa die Bewegungsdaten oder die Herzfrequenz einer Person. So könnten die Informationen etwa für eine Diagnose oder auch für Fitnesspläne genutzt werden. Selbstverständlich müsse dabei die Privatsphäre angemessen berücksichtigt werden, ergänzt Gessmann.

Das Bosch IoT Lab forscht an einem weiteren Projekt für den Einsatz von digitalen Zwillingen zur Vermeidung von Verkehrsunfällen. In der Schweiz setzte das Bosch IoT Lab zusammen mit der Schweizer Strassenbehörde Astra und dem TCS ein Forschungsprojekt um. Gemeinsam erstellten sie eine virtuelle Landkarte der Schweiz. So konnten sie herausfinden, wo sich Unfallschwerpunkte befinden. Mithilfe einer Smartphone-App können die Verkehrsteilnehmer so während des Fahrens in Echtzeit vor Gefahrenzonen gewarnt werden.

Stäblers Lieblingsbeispiel ist der Hafen in Rotterdam. Bis 2025 sollen dort autonome Transportschiffe verkehren können. "Das Hafengelände soll zum smartesten vernetzten Hafen der Welt avancieren", sagt er. "Digital Twins werden alles widerspiegeln – von der Wassertiefe über den Schiffsverkehr bis zum Wetter." Diese Informationen würden den ganzen Betrieb optimieren, was unter gleichzeitiger Einhaltung strikter Sicherheitstandards zu Kostenersparnissen führe.

 

Die Herausforderung: der Datenschutz

IoT ist ein Muss für Digital Twins. Und mit IoT braucht es Fortschritte in Bezug auf Sicherheit und Datenschutztechnologien. Auch Normen und Gesetze bezüglich Daten­eigentum und geistigen Eigentumsrechten sind gefragt. Ein Thema, das im Zeitalter der EU-Datenschutz-Grundverordnung omnipräsent ist. Digital Twins bringen existierende Herausforderungen nur an die Oberfläche, wie Stäbler sagt. "Sie führen zu einer Optimierung von Produkten und Dienstleistungen für den Kunden, doch dazu müssen die Hersteller während des Betriebs Daten sammeln können."

Kann das Thema Datenschutz zu komplexeren Prozessen und Kundenbeziehungen führen – beispielsweise bei der Vertragsformulierung? "Absolut!", sagt Stäbler. "Gewisse Kunden, vor allem Geschäftskunden, wollen ihre Informationen und Arbeitsabläufe nicht unbesehen mit dem Hersteller ihrer Arbeitsgeräte teilen. Diese Komplexitäten gilt es im Vorfeld vertraglich abzufangen."

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