Stethoskop

Disruption im Gesundheitswesen durch digitale Transformation?

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von Jürg Lindenmann, Health-it GmbH

Nachdem sich der bundesamtlich verordnete Hype um das EPDG etwas gelegt hat, wird es Zeit, sich mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens und den damit verbundenen Chancen und ­Risiken grundsätzlich auseinanderzusetzen. Klar ist, dass die Digitalisierung auch vor der Gesundheitsbranche nicht haltmachen wird. Im Gegenteil: Sie findet schon längst statt!

Jürg Lindenmann, Health-it GmbH. (Source: Jürg Lindenmann)
Jürg Lindenmann, Health-it GmbH. (Source: Jürg Lindenmann)

Spätestens seit «Wannacry» ist wohl auch dem letzten Zweifler klar geworden, dass Spitäler ohne ICT nicht mehr betrieben werden können. Die ICT leistet sogar einen unverzichtbaren Beitrag zur medizinischen und pflegerischen Wertschöpfung, was man vom Finanzmanagement nicht gerade behaupten kann. Das Schrauben an Tarifen und die kreative Kostenumverteilung vermochten es bisher nicht, die Kostenspirale im Gesundheitswesen auszubremsen. Im Gegenteil, führten doch falsche Finanz-Anreize und kreative Tarifausschöpfung noch zu einem zusätzlichen Kostenschub.

In der Industrie ist es üblich, dass man Kosten durch die Steigerung der Produktivität senkt. Das grosses Potenzial liegt hier in einer «echten» Digitalisierung des Gesundheitswesens, indem Ärzte und Pflegefachkräfte in ihrer medizinischen Arbeit aktiv unterstützt werden und wieder hauptsächlich das tun dürfen, wofür sie ausgebildet wurden.

Der disruptive Wandel beginnt im Kopf

Die heute verfügbaren modernen digitalen Werkzeuge jedoch vermögen für sich allein gesehen diesen Anspruch nicht zu befriedigen. Dazu wird eine komplett neue Einstellung bei den ambulanten und stationären Leistungserbringern benötigt. Bei den Ärzten bedeutet das etwa die Bereitschaft, liebgewonnene und erlernte Fleissarbeiten einem Algorithmus anzuvertrauen. Den Pflegenden wiederum steht etwa die Anwendung von digitaler Sensorik zur Erhebung von Vitalwerten von Patienten zur Verfügung.

Die Führungsverantwortlichen in den Institutionen, ob medizinisch oder administrativ betrachtet, sind gefordert, dass hierarchische und funktionale Schranken überwunden werden können. Denn eine analoge Kultur und Organisation kann man nicht digitalisieren. Dieser Anspruch geht weit über die Konzepte eines Lean Management hinaus.

KIS 4.0?

Die Krankenhausinformationssysteme der aktuellen Genera­tion haben sich in den letzten Jahren über die rein medizinische Berichtsschreibung hinaus weiterentwickelt und unterstützen mittlerweile viele medizinischen Fachbereiche mit Planungs-, Dokumentations- und Auftragsmanagement-Werkzeugen. Diese Lösungen können, richtig eingesetzt, die Effektivität und die Effizienz vieler organisatorischer Abläufe in der Klinik ohne Zweifel verbessern und das Personal an der Front entlasten.

Das eigentliche medizinische und pflegerische «Doing» im Sinne etwa der Entscheidungsfindung für die am besten geeignete Therapie oder der Interpretation von diagnostischen Befunden wird in den aktuellen Lösungen bisher nur marginal unterstützt – sieht man einmal von den hochspezialisierten Anwendungen im Bereich der Intensivmedizin ab. Hier liegt ein grosses Potenzial, das knappe medizinische und pflegerische Personal bei der Arbeit zu entlasten.

Es braucht den nächsten Maturitätsschritt

Das Gesundheitswesen hinkte in Sachen Digitalisierung bis vor wenigen Jahren noch weit hinter anderen Branchen hinterher. Mittlerweile wurde vieles aufgeholt, aber der nächste Maturitätsschritt muss noch getan werden. Zweifellos geben die unter dem medizinisch/pflegerischen Personal zunehmend vertretenen nicht mehr analog denkenden «Digital Natives» der Digitalisierung einen neuen Schub.

Natürlich geht mit der Digitalisierung auch ein zunehmendes Risiko für Missbrauch und Systemausfälle einher. Doch dies ist ein Aspekt, den bis jetzt alle technologischen Neuerungen mit sich brachten. Der Nutzen scheint aber meist zu überwiegen, sonst hätten wir Dinge wie etwa Smartphones schon lange nicht mehr im Gebrauch.

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