Editorial

Lieber mal freundlich ausrasten

Uhr
(Source: Netzmedien)
(Source: Netzmedien)

Montage sind fies genug. Doch dieser Montag, der 19. Oktober, ist fieser als sonst. Der Schädel brummt, der Magen knurrt und die Ablenkung führt zu nichts. "Es geht in die falsche Richtung", twittert der Epidemiologe Marcel Salathé. Die Zeit zwischen dem Auftreten von Covid-19-Symptomen und dem Erhalt eines Covidcodes für die SwissCovid-App erhöhe sich. Der aktuelle Schnitt: etwa drei Tage. Da drängt sich mir die Frage auf: Wo zum Teufel bleibt mein Testresultat?

Am Freitag kam das Halsweh, am Samstag konnte ich mich testen lassen. Ich fragte die Ärztin: "Von wem genau würde ich im Falle eines positiven Resultats einen Code für die SwissCovid-App bekommen?" "Das machen die Kantone", sagte sie. Davon hatte ich schon gehört. Was mich wundernahm, war ihre Haltung dazu. "Wie ist das so für Sie", fragte ich weiter: "Sind Sie froh, dass Sie sich nicht darum kümmern müssen, oder finden Sie es frustrierend, dass es deswegen länger dauert?" Sie stutzte. Und ich fühlte mich ertappt - als ob sie mich dabei erwischt hätte, wie ich einen auf verdeckten Journalisten machte. "Beides", sagte sie höflich-reserviert, packte das Testmaterial aus und ging mir mit einem Wattestäbchen an die Gurgel.

24 Stunden sollte es dauern - maximal 48, wenn das Labor überlastet ist. Die Frist ist längst verstrichen. Und mich schaudert es beim Gedanken daran, dass ich in der Redaktion so etwas wie Patient Null sein könnte. Der Seuchenheini, der mutmasslich Leute infiziert oder zumindest alle in Gefahr gebracht hat - und das erst noch wenige Tage vor Best of Swiss Web.

Am Dienstag tut sich etwas. Schnell wird klar, wer in dieser kleinen Geschichte in die Heldenrolle schlüpft. Es ist meine Freundin, die ebenso wie ich auf Nadeln sitzt und endlich wissen will, was läuft.

Kurz nach acht Uhr morgens ruft sie die Arztpraxis an. Zum dritten Mal in zwei Tagen. Sie besteht darauf und kriegt sie auch: die Nummer des Labors. Ich höre, wie sie mit dem Labor telefoniert und staune nicht schlecht. Denn normalerweise ist meine Freundin die Freundlichkeit in Person - aber nicht heute. "Wie bitte? Sie haben die Proben erst gestern Nachmittag bekommen? Die haben das mit der Post verschickt? Es dauert 48 Stunden, nachdem die Proben im Labor angekommen sind? Können Sie das irgendwie beschleunigen?", fragt sie, immer etwas lauter und hörbar enerviert. Und nach einer kurzen Pause kommt das Beste: "Also für mich klingt das, als ob Sie Ihren Job nicht richtig machen."

Kaum ist der Satz gesagt, entschuldigt sie sich. "Es tut mir leid, Sie können ja nichts dafür", sagt meine Freundin. Uns wurde nun mal etwas anderes versprochen. Und die Nerven liegen blank, weil wir spätestens jetzt unser Umfeld informieren sollten.

Der kleine Eklat und die darauffolgende ehrlich gemeinte Entschuldigung hat am anderen Ende der Leitung offensichtlich etwas ausgelöst. Denn um 8.30 Uhr, exakt 12 Minuten nachdem meine Freundin aufgelegt hat, kommt endlich die SMS. Selten habe ich mich so sehr über ein negatives Ergebnis gefreut. Und darüber, dass meine Freundin freundlich ausrasten kann.

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