Interview

"Das Insourcing lag auf der Hand"

Uhr | Aktualisiert
von Rodolphe Koller

Aimé Achard, Informatikleiter und Mitglied der Geschäftsleitung der Waadtländer Kantonalbank (BCV), spricht im Interview über das Insourcing der Entwicklung und Wartung seiner Kernbankenlösung. Und wie das in die strategische Ausrichtung der Bank passt.

Aimé Achard verantwortet bei der Waadtländer Kantonalbank das Insourcing der Kernbankenlösung Osiris.
Aimé Achard verantwortet bei der Waadtländer Kantonalbank das Insourcing der Kernbankenlösung Osiris.

Herr Achard, die Waadtländer Kantonalbank, BCV, hat im Dezember vergangenen Jahres angekündigt, Entwicklung und Wartung ihrer Kernbankenlösung wieder intern abwickeln zu lassen. Was hat Sie zu dieser Entscheidung veranlasst?

Da muss ich ein wenig ausholen. In den 1990er-Jahren gründete die BCV gemeinsam mit den Kantonalbanken in Genf, in Neuenburg und im Wallis den IT-Dienstleister Unicible, um eine gemeinsame Bankenplattform, nämlich Osiris, zu schaffen. Mitte der 2000er-Jahre haben sich die anderen beteiligten Kantonalbanken und weitere Banken für andere Lösungen, zum Beispiel Finnova oder Avaloq, entschieden. Die BCV, die damit zum einzigen Osiris-Anwender wurde, musste daraufhin ihre Informatikstrategie überdenken. 2007 beschloss die Geschäftsleitung, auf eine gemeinsame Lösung mit der Zürcher Kantonalbank zu setzen. Dies bedeutete, sowohl unsere Plattform als auch Unicible aufzugeben. Wir mussten rund 300 Mitarbeitern eine neue Zukunft bieten und den Betrieb bis zum Ende der Übergangsphase 2011 sicherstellen. Die BCV entschied sich dafür, Unicible an IBM zu verkaufen – die einzige Firma, die uns ein Komplettangebot mit Zukunftsaussichten unterbreitet hatte. Die Idee war, dass IBM das Personal von Unicible übernimmt und sich nur noch bis zum Ende der Migration um Osiris kümmert.

Das Projekt mit der ZKB wurde dann aber abgebrochen.

In der Tat. 2008 stellten wir bei einer detaillierten Evaluation des Projekts fest, dass es bei den Plattformen Schwierigkeiten geben würde. Zudem hätte das Projekt extrem hohe Migrationskosten und viel höhere laufende Folgekosten nach sich gezogen, und dies alles bei einer unsicheren Einführungsplanung. Im gegenseitigen Einvernehmen mit der ZKB brachen wir das Projekt dann ab. Wir einigten uns mit IBM auf die Verlängerung des Vertrages für das Hosting und die Entwicklung bis 2016 mit einer möglichen Erweiterung bis 2018. Dies führte dazu, dass wir in Richtung eines längerfristigen Outsourcings umstrukturieren mussten, etwa bei der Analyse und der Partnerbetreuung. Ausserdem mussten wir an die Zeit nach 2016 respektive 2018 denken.

Warum haben Sie letzten Endes beschlossen, die IBM anvertrauten Leistungen zurückzuholen? Und warum erst Ende 2012?

Zunächst einmal waren wir in den Jahren 2009 und 2010 intensiv damit beschäftigt, unseren Betriebsmodus an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Danach stellte sich jedoch rasch die Frage, was nach 2016 passieren soll, sowohl für uns als auch für IBM. Wir führten dann im Laufe des Jahres 2012 Gespräche mit IBM. In strategischer Hinsicht war es nicht mehr zweckmässig, Entwicklung und Wartung einer Plattform, deren einziger Kunde wir sind, weiterhin auszulagern. Dasselbe galt für IBM, für die es nicht attraktiv war, eine Plattform zu warten, die sie nicht an weitere Kunden verkaufen werden. Ausserdem haben wir in der Zwischenzeit beachtliche Verbesserungen an Osiris vornehmen können. Aus wirtschaftlichen und strategischen Überlegungen lag das Insourcing also klar auf der Hand. Ganz zu schweigen davon, dass die Wiedereingliederung der BCV bessere Zukunftsaussichten für die an Osiris arbeitenden Angestellten von Unicible-IBM bot.

Für IBM läuft ein einträglicher Vertrag aus und Sie haben geringere Kosten.

Für IBM war die Weiterführung dieses Auftrags und dieser Zuständigkeiten für einen einzigen Kunden sicherlich nicht strategisch. Der Vertrag führte zwar zu einem gewissen Cashflow, aber man zeigte sich bei den Verhandlungen verständnisvoll. Ich möchte aber schon betonen, dass die Rückführung eher aus strategischen denn aus wirtschaftlichen Gründen beschlossen wurde.

Weshalb wollen Sie auf der Osiris-Plattform bleiben?

Wir haben verschiedene Optionen analysiert. Nach der Untersuchung der Plattform gemeinsam mit den Businessabteilungen haben wir festgestellt, dass Osiris zwar nicht modern, aber bezüglich der Funktionen zufriedenstellend war. Die Plattform stammt aus dem Jahr 1994, was absolut vergleichbar mit den anderen Lösungen ist. Zudem läuft sie solide und stabil. Wir haben Verfügbarkeitsraten von 100 Prozent für die zentralen Systeme. Auch in technischer Hinsicht hat die Plattform ihre Entwicklungsfähigkeit bewiesen. Wir richteten beispielsweise ein CRM ein oder schlossen eine sehr gut funktionierende Internetplattform an. Inzwischen wurden jene Mängel von Osiris behoben, die man durch die Zusammenarbeit mit der ZKB hatte verbessern wollen. Die Lösung ist also insgesamt bezüglich des Funktionsumfangs zufriedenstellend, nachhaltig und zuverlässig. Deshalb beschlossen wir, sie noch mindestens sechs weitere Jahre lang zu behalten.

Heute setzen viele Banken auf standardisierte Kernbankenlösungen, um ihre Kosten zu senken.

Das stimmt so nicht immer und hängt von der Grösse der Banken ab. Die UBS, Credit Suisse oder die ZKB greifen nicht auf Standardlösungen zurück. Für den Übergang zu einer solchen Plattform ist eine Kosten-Nutzen-Analyse erforderlich. Für eine Bank wie die BCV mit 500 000 Kunden und mehr als zehn Businessabteilungen sind die Migrationskosten beträchtlich. Für sich allein betrachtet, rechtfertigt sich diese Option daher kaum. Zudem sind die marktüblichen Plattformen wie Avaloq und Finnova auch nicht neuer als Osiris und schaffen keinen nennenswerten Vorteil beim Funktionsumfang. Heute stellt sich diese Frage also nicht. Was aber nicht heissen soll, dass wir die Möglichkeit einer Migration in einigen Jahren nicht in Erwägung ziehen werden, vor allem, falls die Plattform grundlegend überarbeitet werden müsste.

Wenn Sie auf eine Standardplattform setzen würden, könnten Sie ausserdem von ständigen kleinen Weiterentwicklungen zu niedrigeren Preisen profitieren. Wäre das kein Argument für Sie?

In aller Bescheidenheit, wenn wir die letzten Entwicklungen im Zusammenhang mit Fatca und Rubik betrachten, dann waren unsere Implementierungskosten nicht wesentlich höher als bei anderen Banken. Solange es keinen unvermeidlichen Quantensprung gibt, haben wir keine grossen Probleme, auch wenn ich zugeben muss, dass wir ein bisschen teurer sind. Übrigens, die Standardplattformen passen eher zu Finanzinstituten mit einem einfacheren Businessmix, wie beispielsweise Privatbanken oder Banken mit Fokus auf Hypotheken und Sparkonten. Hingegen sind Banken mit stärker diversifizierten Tätigkeiten dazu gezwungen, ihre Informatik mehr oder weniger komplex zu halten. Wir haben zum Beispiel miteinander verknüpfte Lösungen für das Asset-Management und Akkreditive. Die Komplexität relativiert also die genannten Vorteile einer Kernbankenlösung.

Welche organisatorischen Änderungen zieht die Rückführung der Wartungs- und Entwicklungstätigkeiten nach sich? Wie weit ist das Projekt?

Das Projekt startete Ende November 2012 und die übernommenen Mitarbeiter werden ab dem 1. Juli bei der BCV arbeiten. Wir hatten seit langem kein solches internes Team von Informatikern mehr. Es geht jedoch nicht um ein Umwandlungs-, sondern um ein Übergangsprojekt. Wir übernehmen eine laufende Geschäftstätigkeit mit von IBM definierten Prozessen und werden das Rad nicht neu erfinden. Zudem arbeiten wir seit 2009 an einer Umstrukturierung der Informatik bei der BCV. Sie hat diesen Übergang erleichtert. Im Rahmen der neuen Struktur haben wir neue organisatorische Einheiten definiert. Die erste beschäftigt sich mit der Transformation und bringt Mitarbeiter zusammen, die vorher in verschiedenen Abteilungen verteilt waren. Ab Juli gehören auch die Entwickler dazu. Die zweite Einheit betrifft den Betrieb mit der doppelten Aufgabe, den Lieferanten und die Anwendungen zu betreuen und sie für die Nutzer bereitzustellen. Die dritte Einheit ist für die Architektur zuständig. Dies wegen der Entscheidung, unsere IT von der Architektur steuern zu lassen und das unkoordinierte Hinzufügen von Anwendungen zu vermeiden. Wir sind daher bereit, was die Struktur angeht. Bei der Leitung der Teams sind wir noch in einer Übergangsphase. Was die Prozesse angeht war die Schnittstelle zu IBM vorher bei der Entwicklung. Nun liegt sie beim Betrieb der Systeme. Dies hat auch Auswirkungen auf das Netzwerk, die Governance und die Sicherheit.

Welche Vorteile versprechen Sie sich von der Kontrolle Ihrer IT-Architektur?

Da es keine gemeinsame Nutzung gibt, müssen wir die Entwicklung der IT-Kosten umso mehr im Auge behalten. Wir müssen ständig an die Rationalisierung denken, und ich bin sehr froh, wenn es uns gelingt, eine Anwendung abzuschaffen. Unser Ansatz ist folgender: mehr wiederverwenden statt einzukaufen, mehr einkaufen statt zu entwickeln. Wir müssen die bestehenden Tools so intensiv wie möglich nutzen. Wenn ich eine Lösung habe, die 80 Prozent der Anforderungen erfüllt, dann werde ich nicht das Risiko eingehen, sie zu ersetzen, um 100 Prozent zu erzielen. Dies ist auch eine Botschaft, die unsere Analysten den Businessabteilungen vermitteln.

Werden alle Informatikkosten auf das Business abgewälzt?

Ja, alle Informatikkosten werden verteilt. Wir berechnen auch die Preise für jede Anwendung und legen sie auf die Businessabteilungen um. Die Informatik einer Bank ist ziemlich teuer. Dies ist also der einzige Weg, um die Nutzer zu sensibilisieren. Ich stelle dennoch eine positive Entwicklung bei meinen Kollegen fest. Sie arbeiten kostenbewusster. Die Beziehung zwischen der IT und den Businessabteilungen hat sich dadurch einerseits verändert. Andererseits führt diese Entwicklung dazu, dass es immer schwieriger wird, Infrastruktur- oder Architekturprojekte durchzusetzen, die keine unmittelbaren Businessvorteile mit sich bringen. Wir sind zum Beispiel dabei, eine Unternehmens-Cloud einzuführen, mussten aber vor dem Start einen Return on Investment nachweisen. Für die IT bedeutet das einen technologischen Vorteil, für die Businessabteilungen hingegen bringt es einen wirtschaftlichen Vorteil: Die IT wird sie weniger kosten. Die Antwortzeiten werden ebenfalls viel kürzer sein, das ist völlig klar. Wir spüren ausserdem, dass es Projekte für mehr Sicherheit angesichts bekannt gewordener Vorfälle unterdessen leichter haben. Ich glaube jedoch, es ist nicht gut, dass es solche Vorfälle braucht, bis etwas passiert.

Wie beurteilen Sie die Konkurrenz durch branchenfremde Akteure, die mit technologischen Innovationen punkten?

Das muss man beobachten. Ich glaube, dass der nächste Quantensprung im Bankensektor durch diese Art von Innovationen kommen wird. Swisscom und Orange werden vielleicht eines Tages unsere Konkurrenten sein. Dies betrifft jedoch nur das Frontend respektive die Art, wie die Bank gegenüber den Kunden auftritt. Für den Rest bleibt das bankenspezifische Know-how zu komplex.

 

 

Zur Person:

Aimé Achard hat seine gesamte Berufslaufbahn im Bankensektor absolviert. Nach seinem Abschluss als Informatikingenieur am Institut d’Informatique d’Entreprise (IIE) in Paris im Jahre 1978 ging er zur BNP-Paribas--Gruppe. Aufgrund seiner Entwicklung innerhalb der französischen Bankengruppe konnte er verantwortliche Funktionen in London, Oslo, Basel, Genf und Paris im Bereich Management und Entwicklung und Betrieb von IT-Systemen ausüben. In Genf war er vor allem für die komplette Überarbeitung aller IT-Systeme für die Geschäftstätigkeiten im schweizerischen Private Banking zuständig.

2006 wechselte Achard zur BCV als Leiter der Business Support Division. Neben der Informatik deckt die Abteilung auch die Backoffice-Tätigkeiten und die Bereiche Immobilien, Depotbank und Sicherheit ab. Achard ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

Das Unternehmen:

Die Waadtländer Kantonalbank (BCV) wurde Ende 1845 gegründet. Sie hat sich im Kantonsgebiet weiterentwickelt, vergrössert und hat nach und nach die Geschäftstätigkeiten diversifiziert. Mit einem Umsatz von über einer Milliarde Franken im Jahre 2012 und einer Bilanz von 39,8 Milliarden Franken zählt die BCV zu den fünf grössten Banken in der Schweiz. Als zweitgrösste Kantonalbank des Landes und grösste Bank im Kanton Wallis verfügt sie über ein Netzwerk von 67 Filialen. Die BCV besteht aus vier Abteilungen: Privatkunden, Private Banking, Unternehmen und Asset Management & Trading. Die BCV-Gruppe beschäftigt rund 2000 Mitarbeiter, darunter etwa 120 in der Informatikabteilung (Stand: 1. Juli 2013).