"Das Schweizer Data Center ist ein Exportschlager"
Vor zwei Jahren sollte der Providermarkt über Akquisitionen neu aufgemischt werden. Stattdessen fokussiert sich Green.ch auf den Collocation-Markt. Ende März eröffnet der Provider in Lupfig eines der grössten Rechenzentren. Die Netzwoche fragte bei CEO Franz Grüter nach.
Herr Grüter, vor einem Jahr haben Sie den CEO-Posten von Green.ch wieder übernommen, was zum Ausscheiden von Adrian Schlund, dem heutigen Country Lead von Oracle, geführt hat. Dies nach nur einem Jahr. Dieser Zickzack-Kurs hat damals in der Branche für einiges Aufsehen gesorgt.
Da wurde viel zu viel hineininterpretiert. Tatsache ist, dass wir uns in absolut gutem Einvernehmen von Adrian Schlund getrennt haben. Der Hintergrund ist der folgende: Nach dem Abschluss der Übernahme und Integration von Green.ch im Jahr 2008 wollte ich mich im folgenden Jahr auf Akquisitionen konzentrieren und habe somit die operative Führung des Unternehmens an Adrian Schlund abgegeben. Als in dem Jahr dann keine Akquisitionen zustande gekommen sind, musste ich Ende 2009 einsehen, dass das Set-up so keinen Sinn ergibt. Und so habe ich den Chefsessel wieder übernommen.
Und warum ist die Einkaufsmission missglückt?
Unser Geschäft ist an sich enorm skalierbar. Wenn sich zum Beispiel die Anzahl der ADSL-Kunden verdoppelt, bedeutet das nicht, dass ich auch doppelt so viele Mitarbeiter brauche. Darum war und bin ich eigentlich immer noch der Meinung, dass sich eine Konsolidierung unter den vielen kleinen und mittleren Providern geradezu aufdrängt. Dies trifft vor allem im Access-Bereich zu, wo der Markt stark umkämpft ist und die Margen klein sind. Nur so gelingt es, eine ernsthafte Konkurrenz zum grossen Dreiergestirn Swisscom, Sunrise und Cablecom aufzubauen. Leider mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Verkaufsbereitschaft unter besagten Providern nicht vorhanden ist. Aber was nicht ist, kann noch werden. Die Vision einer vierten Telko-Kraft habe ich jedenfalls noch nicht aufgegeben.
Was ist denn der Grund für das Desinteresse?
Es ist ja nicht so, dass ich als Vollblutunternehmer die Argumentation dieser Leute nicht nachvollziehen könnte. Die meisten haben eine gut funktionierende Firma und sind als Inhaber ihr eigener Chef. Der Lohn stimmt, und mit einem Verkauf hätten sie auch nicht ausgesorgt, sondern müssten sich nur wieder nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen. Das ist wenig verlockend. Aber wie gesagt, vom Ansatz her bin ich immer noch der Meinung, dass eine Konsolidierung sinnvoll ist. Sollte sich also eine Möglichkeit ergeben, sind wir bereit. Wenn ich mir die letzten 15 Jahre ansehe, dann ist alle drei Jahre etwas passiert. 2008 haben wir Green.ch übernommen, also müsste 2011 eigentlich wieder etwas anstehen.
Das heisst, Sie verfügen auch über eine Kriegskasse?
Ein guter Unternehmer verdient Geld, sonst macht er etwas falsch. Wir konnten über die vergangenen Jahre etwas auf die hohe Kante legen, und das möchten wir wieder investieren. Die Mittel sind also vorhanden.
Auch nach dem Bau des neuen Rechenzentrums, das Sie Ende März in Lupfig eröffnen werden?
Ich bin ja nicht allein. Mir stehen langjährige Kompagnons zur Seite. Und wir haben die Kunden. Wir können uns glücklich schätzen, mit HP und Axpo bereits zwei grosse Partner gewonnen zu haben, die auf unser Rechenzentrum setzen wollen. Ein solches Projekt durchzuziehen, setzt ein grosses Vertrauen voraus, und ich bin sehr glücklich, dass wir dieses offenbar geniessen. Das Rechenzentrum wird in drei Etappen gebaut, inklusive des neuen Hauptsitzes von Green.ch. Im Endausbau werden wir über eine Nutzfläche von über 10000 Quadratmeter verfügen. Das gesamte Investitionsvolumen beträgt rund 100 Millionen Franken.
Und mit welchen Dienstleistungen soll diese Summe wieder eingespielt werden?
In erster Linie vermieten wir hochwertige und voll ausgerüstete Nutzflächen zur Einrichtung von Rechenzentren. Kleinere Kunden können auch nur Rackspace haben. Dabei garantieren wir dem Kunden Netzanschluss, Strom und Sicherheit sowie hohe Verfügbarkeit.
Selbst betreibt Green.ch aber keine Server?
Natürlich würden wir hierfür über das nötige Know-how verfügen. Green.ch ist unter anderem Microsoft- und Citrix-Goldpartner. Unsere Kunden führen jedoch entweder selbst schon eine eigene IT-Abteilung, oder sie sind als Outsourcing-Anbieter im Markt unterwegs. Sie wollen oder können nicht die finanziellen Mittel aufbringen, um selbst eine moderne Rechenzentrumsinfrastruktur aufzubauen. Auch weil sie nicht über die kritische Masse verfügen. Dabei ist klar, dass wir zu unseren Kunden in Konkurrenz stehen würden, wenn wir auch von unserer Seite entsprechende Managed Services anbieten würden. Wir wollen hier eine möglichst transparente Positionierung und gegenseitige Abgrenzung.
Allein im letzten Jahr wurden 60 000 Quadratmeter an Rechenzentrumsinfrastruktur geplant und zum Teil schon gebaut. Wie wollen Sie Ihr neues Rechenzentrum füllen? Droht nicht ein Überangebot?
Lupfig ist unser viertes Rechenzentrum. Das erste war Zürich Letzigraben, das wir 2002 von KPNQwest übernommen haben. Dann betreiben wir in Brugg unser Green.ch-Rechenzentrum, und vor zwei Jahren haben wir von Cablecom ein Rechenzentrum in Glattbrugg gekauft. Alle drei Rechenzentren sind bereits mehr oder weniger voll belegt.
Und woher kommt die Nachfrage?
Es gibt Studien zum Schweizer Data-Center-Markt, die besagen, dass der Bedarf über die nächsten Jahre um rund 20 Prozent pro Jahr steigen wird. Das Angebot steigt zwar auch, aber nur mit 12 bis 15 Prozent pro Jahr. Das heisst, trotz steigenden Angebots ist die Nachfrage immer noch nicht gedeckt. Sicher muss man dabei zwar beachten, dass die Server immer kleiner und sparsamer werden. Trotzdem wird der Stromverbrauch, auf die Fläche heruntergerechnet, steigen. Dies führt zu neuen Anforderungen, denen herkömmliche Einrichtungen nicht mehr genügen. In Lupfig verfügen wir über einen Stromanschluss von 2 mal 20 Megawatt und 6000 Ampere, was dem doppelten Verbrauch einer Kleinstadt wie Spreitenbach entspricht.
Was sind denn die Treiber hinter dieser Entwicklung?
Ich glaube, es sind vier bis fünf Faktoren, die dazu beitragen. Die Internetkonnektivität ist in den letzten Jahren um den Faktor zehn günstiger geworden. Das bedeutet, dass es für die Firmen erschwinglich geworden ist, die Server nicht mehr physisch und technisch im selben Gebäude haben zu müssen. Zudem ist die Abhängigkeit vieler Unternehmen von ihrer IT gestiegen. Das Thema Business Continuity in Bezug auf IT ist heute ein zentraler Bestandteil jeder Risikoanalyse eines Unternehmens. Dabei merken viele Unternehmen, dass es schnell einmal hunderttausende, wenn nicht Millionen von Franken kostet, wenn man seine IT gegenüber sämtlichen Eventualitäten absichern müsste. Genau hier setzen wir an. Schon für ein paar tausend Franken im Monat erhält der Kunde eine gesicherte Umgebung. Vor allem, wenn es sich um ein Back-up-Rechenzentrum handelt, lohnt es sich vielfach nicht, ein solches selbst einzurichten.
Die Entwicklung wurde also vor allem vom Gesetzgeber angestossen?
Nicht nur. Es gibt auch eine internationale Nachfrage. Die Angst, dass irgendwann der Staat kommt und alle Server konfisziert, braucht man in der Schweiz nicht zu haben – ganz im Gegensatz zu anderen Ländern. So haben Swift und Yahoo ihre Datenzentren sicher nicht der schönen Alpen wegen in die Schweiz verlegt. Die alten, konservativen Werte der Schweiz spielen hier eine wichtige Rolle.
Das Schweizer Data Center als Exportschlager?
Davon bin ich absolut überzeugt. Ich habe bemerkt, dass Mitbewerber, die in angelsächsischem Besitz sind, es heute schwerer am Markt haben. Gerade im Housing oder Hosting ist die Skepsis gegenüber US-Firmen sehr gross. Das kommt nicht von ungefähr.
So gesehen kam die Wikileaks-Affäre gerade gelegen. Datenschutz als neues Businessmodell, analog zum Bankgeheimnis?
Gerade Wikileaks hat wieder einmal vor Augen geführt, wie international unser Geschäft geworden ist. Ob jetzt Wikileaks in der Schweiz gehostet wird oder nicht, ist gar nicht relevant. Wenn jemand eine Website stilllegen will, dann kann er das überall tun. Da bietet die Schweiz genau so viel oder so wenig Sicherheit wie alle anderen Länder auch. Was die Datensicherheit betrifft, sieht es jedoch anders aus. Die Möglichkeit seitens der Behörden, den physischen Zugriff zu erzwingen, ist in der Schweiz sehr viel eingeschränkter. Auch kann man sich darauf verlassen, dass nicht jeden Tag gestreikt wird, ein Militärputsch stattfindet oder sonst eine Aufregung geschieht. Hierin besticht die Schweiz und hat international einen exzellenten Ruf. Zudem verfügt die Schweiz über zahlreiche gut qualifizierte Fachkräfte.
Wie lange kann sich die Schweiz diese Position als sicherer Datenhort bewahren? Der Druck steigt doch, auch das Bankgeheimnis erodiert allmählich.
Wir haben immer wieder solche Situationen. Es gab häufig den Fall, dass sich jemand von einer Homepage beleidigt fühlte. Aber das ist dann nicht das Problem des Providers, hier ist die Schweizer Rechtslage denn auch klar und deutlich. Wir sind nicht für den Inhalt verantwortlich, der auf unseren Sites gehostet wird. Wir haben uns immer wieder strikt geweigert, auf solche Aufforderungen einzugehen.
Würden Sie denn Wikileaks hosten?
Zum Glück stellt sich die Frage nicht konkret. Es gilt hier zwei Aspekte zu beachten. Einerseits interessiert uns der Content auf einer von uns gehosteten Site definitiv nicht. Wir sind keine Zensurstelle. Andererseits würde ich im Falle von Wikileaks eher ablehnen, da ich mir keine zusätzlichen Probleme aufhalsen möchte.
Wikileaks, Al Kaida, Neonazis: Ist die Schweiz drauf und dran, zu einem sicheren Hafen von Inhalten und Daten zweifelhafter Herkunft zu werden?
Die Medien bauschen dieses Thema natürlich gerne auf. Aber die Realität ist einfach nicht so reisserisch. In der Regel handelt es sich um hochseriöse Unternehmen, die ihre Daten in die Schweiz bringen, sie wollen sicher sein, dass alles funktioniert. Ich war kürzlich in Florida und war schockiert über den Zustand, in dem sich in den USA die Infrastruktur befindet. Herunterhängende Stromleitungskabel sind inzwischen ein gewohntes Bild, und dass hin und wieder der Strom ausfällt, ist zum Normalfall geworden. So gesehen, leuchtet es doch ein, dass Unternehmen einen sicheren Ort wie die Schweiz suchen.
Das Vorgehen von Postfinance zeigte aber auch, dass Schweizer Unternehmen auf äusseren Druck reagieren müssen.
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass ein Unternehmen nicht verpflichtet ist, eine Organisation oder eine Person als Kunden aufnehmen. Man hat hier grundsätzlich die Wahlfreiheit. Und wenn man sich negativ entscheidet, braucht man dies auch nicht zu begründen. Formaljuristisch war also die Kündigung korrekt, da Julian Assange keinen Wohnsitz in der Schweiz hatte. In der Realität war es aber wohl auch eine politische Entscheidung, um sich nicht in weitere Probleme zu verstricken.
Welche weiteren strategischen Pflöcke wollen Sie neben den Rechenzentren künftig einschlagen?
Im KMU-Segment sehen wir einen starken Bedarf nach Cloud-Services, also dem Beziehen von Rechen- und Speicherleistung, ohne selbst einen Server einrichten zu müssen. Allerdings braucht die Marktentwicklung auch seine Zeit. Wir werden dieses Jahr aber ein Virtual-Server-Produkt lancieren.
Cloud-Anbieter wie Microsoft oder EMC sehen gerade in Providern wie Green die neuen Reseller ihrer Lösungen. Laufen da schon intensive Verhandlungen?
Grundsätzlich sind wir Abo-Fetischisten. Das heisst, alles was nicht im Abo vertrieben wird, interessiert uns eigentlich nicht. Rein von diesem Aspekt her würden Cloud-Services natürlich gut in unser Businessmodell passen. Wir sind auch schon von verschiedenen Anbietern kontaktiert worden, das ist tatsächlich so. Aufgrund unserer Vertriebs- und Marketingmöglichkeiten haben wir sicher eine interessante Stellung im Markt. Und auch die Marke Green ist gut etabliert. Allerdings haben wir noch keine Entscheidung getroffen, inwiefern wir uns auf das Cloud-Abenteuer einlassen wollen. Die Einführung solcher Lösungen ist relativ komplex und erfordert vom Provider einiges. Man muss also auch investieren. Dabei ist unsere Produktpipeline jetzt schon sehr voll. Mit der Einführung von TV, Hosted Exchange 2010, der Eröffnung des neuen Rechenzentrums sowie der Lancierung des virtuellen Serverprodukts ist unsere Agenda schon sehr voll.

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