Open Source, Open Systems und Open Standards

Das Wikipedia-Paradigma in der Software-Entwicklung

Uhr | Aktualisiert
von asc und Dr. Hellmuth Broda

Unsere Gesellschaft erlebt momentan den Übergang vom Informations- in das Partizipations-Zeitalter. Während es bisher vor allem darum ging, auf dem Netz möglichst einfach an Inhalte von Informationsanbietern zu gelangen, geht es nun mehr und mehr darum, Inhalte mit anderen zu teilen.

Unsere Gesellschaft erlebt momentan den Übergang vom Informations- in das Partizipations-Zeitalter. Während es bisher vor allem darum ging, auf dem Netz möglichst einfach an Inhalte von Informationsanbietern zu gelangen, geht es nun mehr und mehr darum, Inhalte mit anderen zu teilen.  In diesem Zusammenhang stösst man immer wieder auf die Begriffe Open Source (quelloffener Programmcode), Open Systems (Systeme mit offengelegten Schnittstellen) und Open Standards (öffentliche Standards). "Leider werden diese recht unterschiedlichen Konzepte oft durcheinandergeworfen" meint Dr. Hellmuth Broda, Executive Advisor bei der Experton Group. Er will dazu beitragen, dass diese unterschiedlichen Aspekte der Offenheit und deren Einsetzbarkeit besser beurteilt werden können.

Open Source – Software für jedermann und das Miteinander-Füreinander der Entwickler

Der am häufigsten genannte Vorteil von "Open Source" (oft auch FOSS – "Free and Open Source Software" genannt) ist, dass solche Software normalerweise kostenlos verfügbar ist. Das macht bei Endanwendern Open Source-Lösungen sehr beliebt. Aber das ist nicht notwendigerweise immer so. Broda betont, "Das 'frei' bei 'Free Software' sollte nicht im Sinne von umsonst verstanden werden, sondern im Sinne einer Freiheit von Herstellerabhängigkeit."

Ansonsten ist Open Source vor allem für Entwickler von Nutzen. Ähnlich wie bei der Wikipedia, der Online-Enzyklopädie, an der Interessierte gemeinsam Inhalte erstellen, geht es bei Open Source darum, das Wissen und die Erfahrung Anderer in ein Projekt mit einzubeziehen, die nicht in der eigenen Organisation mitarbeiten.

Hier zitiert Broda Bill Joy, Mitbegründer von Sun Microsystems: "Innovationen gibt es laufend – aber oft anderswo". Entwickler verteilen bei Open Source den Binärcode zusammen mit dem Quellcode. Dieser kann von anderen weiter verteilt und modifiziert werden. Solcher Quellcode unterliegt der Diskussion auf entsprechenden öffentlichen Foren und der Überprüfung durch sehr viele andere Entwickler. Dies führt zu allgemein hoher Qualität der so entwickelten Software. Für Zugang zum Quellcode werden keine oder nur geringe kostendeckende Gebühren erhoben.

Als Beispiel für sehr erfolgreiche Open-Source-Entwicklung werden allgemein das Linux-Betriebssystem und neuerdings auch das offene Betriebssystem Android auf mobilen Endgeräten  genannt. Weiterhin auch Gnome, Apache, Firefox, Thunderbird und OpenOffice. Broda meint: "Zugang zu Open Source fördert die Vertiefung der Programmierkenntnisse und erlaubt unabhängig von der Organisationszugehörigkeit jedem Befähigten weltweit an einer Code-Basis mitzuarbeiten und auf den Schultern derer zu stehen, die die Vorarbeiten geleistet haben."

Open Systems – Das Lego-Prinzip

Von Offenen Systemen spricht man vor allen dann, wenn die funktionalen Schnittstellen eines Systems offengelegt sind. Die Implementierung eines solchen Systems kann, aber muss nicht, in Open Source erfolgen. Eine offen gelegte Schnittstelle erlaubt anderen eine ähnliche Lösung auf andere Art und Weise zu implementieren. Wird die funktionale Schnittstelle in derselben Art und Weise bedient, sind diese Lösungen austauschbar. Broda gibt zu bedenken: "Aber wie bei Lego kann es sich hier durchaus auch um proprietäre Standards halten, die zwar veröffentlicht, aber in privaten Händen sind." Auch kann es vorkommen, dass der Hersteller eines "Offenen Systems" ohne grosse Warnung die Schnittstelle modifiziert. "Hierbei kann dann die Interoperabilität auf dem Altar des vermeintlichen Fortschritts geopfert werden", warnt Broda.

Open Standards – ISO, DIN und Freunde

Offene Standards sind aus unserer Industriegesellschaft nicht mehr wegzudenken. Als Beispiele erwähnt Broda: "Von der Spurweite der Bahn über Hafenregulierungen für die Schifffahrt und Flughäfen, den Durchmessern der Kanaldeckel auf unseren Straßen bis hin zu Schrauben und Muttern haben wir öffentliche Standards gesetzt, die das Zusammenwirken erst ermöglichen. Was würde wohl eine Glühbirne kosten, wenn wir in jedem Bundesland oder Kanton eine unterschiedliche Spannung verwendeten?" In der ICT spezifizieren offene Standards Schnittstellen, File-Formate, Übertragungsprotokolle, etc. Diese Standards werden in einem öffentlichen, prinzipiell jedem zugänglichen Prozess erstellt und unterliegen umfassender öffentlicher Überprüfung. Solche Standards sind die Voraussetzung für herstellerunabhängige Interoperabilität und fördern den Wettbewerb, da jeder ohne Einschränkungen durch Lizenzen oder Gebühren eigene Systeme entwickeln kann, die diesem Standard folgen.

Die Sackgasse proprietärer Dateiformate

Broda beklagt vehement eine in unserer Industriegesellschaft weit grassierende Krankheit. Da früher Speicherplatz sehr knapp und teuer war, tat man alles, um Daten so weit als möglich vor dem Abspeichern zu verdichten. Dies führte zu binären Datenbeständen, die ausschließlich von dem Programm wieder geöffnet, gelesen und interpretiert werden können, das diese Daten auch geschrieben hat. Broda meint: "Das Ziel muss sein, dass Daten von vielen unterschiedlichen Programmen wieder gelesen und weiterverarbeitet werden können. Der gegenwärtige Zustand mit binären Daten erlaubt dies nicht. Diese Situation ist heute so, als könnte man einen alten Brief nur mit demselben Füller lesen, mit dem er geschrieben wurde."

Heute gibt es keinen Grund mehr, solche proprietären Datenformate beizubehalten. XML ist eines der weit verbreiteten und selbst beschreibenden Formate, das hier Einsatz findet. Broda erinnert: "Daten leben wesentlich länger als Applikationen und diese länger als Betriebssysteme, aber auch länger als die Speichermedien."

Gutes Beispiel für ein "offenes Format": OpenDocument Format

So ist beispielsweise heute für das OpenDocument Format (ODF, ISO 26300), ursprünglich das XML-File-Format von StarOffice/OpenOffice.org, eine Vielzahl von Applikationen verfügbar. ODF bietet somit eine offen standardisierte Alternative zu den proprietären Formaten (.doc, .xls, .ppt) von Microsoft. Plugins für die Office-Suites von Microsoft erlauben mittlerweile auch die Nutzung von ODF aus Word, Excel und Powerpoint. Wie wichtig eine solche Standardisierung auch von File-Formaten ist, wird einem schnell klar, wenn man im eigenen Bereich auf Dateien stösst, deren Endungen es bereits vermuten lassen, dass die Software, die diese erstellt hatte, nicht mehr existiert. Broda erwähnt: "Ich habe selbst noch Dateien auf alten Datenträgern, deren Inhalt für alle Zeiten unwiderruflich verloren ging, da die entsprechende Software seit vielen Jahren nicht mehr verfügbar ist."

Erst der richtige Mix bring den Nutzen

Open Source alleine führt noch nicht zu interoperablen Systemen. Es ist ohne weiteres möglich, geschlossene Systeme mit Open Source zu bauen. Im Geiste der Partizipation benötigt es neben der Open Source auch den Einsatz Offener Systeme oder, besser, Offener Standards.

Offene Systeme können sowohl mit Open Source als auch mit nicht offenem Code implementiert werden. Folgen diese Systeme allgemein zugänglichen Normen, spricht man von Offenen Standards. Offene Standards können ebenfalls als geschlossene Systeme oder mit Open Source implementiert werden.

"Im Zeitalter von Web 2.0 ist eine Kombination von Open Source mit Offenen Systemen und Offenen Standards der erfolgversprechendste Ansatz. Er erlaubt, dass zum Foto-Sharing und Bloggen auch das bisher einem kleineren Kreis von Entwicklern vorenthaltene Entwicklungsparadigma von wesentlich grösseren Kreisen genutzt werden kann", erklärt Broda abschlissend.