Aus der aktuellen Ausgabe: Jon Erni im Interview

"Entscheidend ist, wie man die beiden Geschäftstypen unter einen Hut bringt"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Jon Erni, Executive Director von Business Sunrise, erklärt, warum Sunrise das Geschäft mit Unternehmen wieder von Neuem aufbaut, was die kürzlich gekaufte Nextiraone dabei für eine Rolle spielt, und wie man den sinkenden Margen im Telekommarkt begegnen will.

Jon Erni, Executive Director von Business Sunrise
Jon Erni, Executive Director von Business Sunrise

Herr Erni, Sie haben vor einem Jahr verkündet, Sunrise wolle bis 2013 deutlich mehr als 10 Prozent Anteil am Geschäftskundenmarkt erreichen – wo stehen Sie heute?

Business Sunrise steht heute bei etwa 10 Prozent, Tendenz steigend. Wir konnten den Bestand an Geschäftskunden um 22 Prozent steigern, was mit einer deutlichen Umsatzsteigerung einherging. Noch deutlicher konnten wir die Marge steigern.

In welchen Bereichen haben Sie Kunden dazugewonnen?

Das fängt bei Smalloffice- und Homeoffice-Kunden an und reicht bis zu den ganz grossen Kunden. Wir wachsen in allen Segmenten deutlich. Der Haupttreiber des Wachstums liegt im Mobile-Geschäft. Im Festnetz und bei den Daten stagniert der Umsatz eher, dafür konnten wir die Margen steigern. Hier kommt uns zugute, dass wir in der Schweiz an 600 Standorten eigene Infrastruktur betreiben. Dadurch verbessert sich die Marge. Das kompensiert zumindest den Preisdruck im Daten- und Festnetzgeschäft.

Und welche Rolle spielt der Kauf der Schweizer Tochter von Nextiraone für Ihr künftiges Geschäft?

Wenn wir bei den Geschäftskunden künftig erfolgreich sein wollen, müssen wir vor Ort mit guten Leuten präsent sein. Vor einigen Jahren haben wir den Betrieb des Netzes an einen externen Partner ausgelagert. Damit gingen auch unsere früheren direkten Kundenkontakte an den Partner über. Dank Nextiraone Schweiz können wir zukünftig bei Grosskunden wieder direkt Dienstleistungen erbringen. Zudem werden Cloud-Dienste immer wichtiger. Und wer diese anbieten will, muss die gesamte Kette vom Arbeitsplatz bis zum Carrier-Netz kontrollieren. So wie wir bisher aufgestellt waren, konnten wir die Dienste zwar bis vors Haus bringen. Was aber von dort bis zum Arbeitsplatz passierte, konnten wir nicht direkt beeinflussen. Um hier weiterzukommen, mussten wir uns mit Integrations-Know-how verstärken. Nextiraone ist in diesem Geschäft die Nummer zwei in der Schweiz. Es ist für uns ein Glücksfall, dass wir dieses Unternehmen übernehmen konnten.

Es ist ja nicht alltäglich, dass ein internationales IT-Unternehmen seine lokale Niederlassung verkauft.

Ich sage es einmal so: Es ist wahrscheinlich immer eine Frage des Preises. Offensichtlich war unser Angebot so attraktiv, dass es die Muttergesellschaft überzeugte. Hinzu kommt noch, dass wir für Nextiraone ein interessanter Schweizer Partner sind, wenn es um ihre internationalen Kunden geht.

Wie sehen die Pläne mit Nextiraone aus?

Entscheidend ist, wie man die beiden unterschiedlichen Geschäftstypen unter einen Hut bringt. Business Sunrise und Nextiraone sind ja völlig komplementär ausgerichtet. Im Carrier-Geschäft lebt man stark von Vorinvestitionen ins Netz, in Services und so weiter. Diese Investitionen werden über möglichst viele Kundenbeziehungen wieder hereingespielt. Im Integrationsgeschäft hingegen wird der Umsatz im Wesentlichen über Projekte generiert. Hier müssen die einzelnen Projekte für sich profitabel sein. Das ist ein eher tiefmargiges, stark von Dienstleistungen geprägtes Geschäft. Wenn man diese beiden Modelle zusammenführen möchte, darf man nicht einfach eine Mischung daraus machen. Man muss jederzeit genau wissen, auf welchem Feld man sich bewegt und wie dort kalkuliert wird. Entscheidend ist, dass wir nun das Gesamtpaket über beide Bereiche anbieten können.

Wie wollen Sie das praktisch umsetzen?

Wir müssen aufpassen, dass wir die Kundenbindung von Nextiraone nicht verwässern, indem wir allzu stark gemischte Strukturen aufbauen. Das Integrationsgeschäft ist von persönlichen Beziehungen geprägt und die darf man nicht zerstören. Deshalb wird der Servicebereich von Nextiraone weiterhin in der heutigen Form bestehen bleiben. Beim Vertrieb werden wir aber darauf achten, dass die kombinierten Angebote auch offeriert werden. Das Produktmanagement und die Presales müssen sehr eng zusammenarbeiten.

Was passiert mit den Kunden von Nextira­one, die bisher mit Ihren Konkurrenten ­zusammengearbeitet haben – wie weit ist Nextiraone künftig verpflichtet, nur noch Carrier-Leistungen von Sunrise anzubieten?

Es gibt heute schon Fälle, bei denen Swiss­com als Integrator auftritt, die Carrier-Dienste aber von einem Drittanbieter kommen. Umgekehrt gibt es auch Fälle, bei denen Nextiraone als Integrator fungiert und das Carrier-Geschäft über Swisscom läuft. Hier wird sich grundsätzlich nichts ändern. Selbstverständlich wollen wir, dass Nextiraone künftig auch Carrier-Leistungen von Sunrise anbietet. Wir werden versuchen, die Kunden via Bündelangebote zu überzeugen. Das wird sicher teilweise gelingen.

Wie müssten denn Bündelangebote aussehen, damit Sie Kunden von der Konkurrenz zu Ihnen holen können?

In der Schweiz steht meiner Meinung nach bei den Geschäftskunden die Qualität im Vordergrund. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass wir uns für Nextiraone interessiert haben. Wir wollen den Kunden zeigen, dass wir Dienstleistungen auf Topniveau bieten. Zudem werden wir mehr gemanagte Services anbieten, die den Kunden erlauben, sich auf ihre Kerngeschäfte zu konzentrieren. So ersparen sie sich Projektrisiken und Investitionen. Die Kunden beziehen Dienstleistungen und Services von uns und das zu kalkulierbaren und skalierbaren Kosten. Wenn sich solche Dienste bündeln lassen, ist die Frage nach dem Carrier zweitrangig.

Sie haben vor einigen Jahren aus ähnlichen Überlegungen schon Ascom Business Communication gekauft und dann wieder verkauft. Jetzt starten Sie das Ganze von vorn – was lief da schief?

Das war vor meiner Zeit. Aber Sie haben Recht, diese Frage kann man sich stellen. Für mich gibt es einen wichtigen Punkt, der sich unterdessen verändert hat: Das ist unser neuer Eigentümer. CVC hat sich vor dem Kauf von Sunrise genau überlegt, wo es Wachstums­potenzial gibt. Dabei ist klar geworden, dass es im Privatkundenmarkt schwierig werden dürfte, grosse Sprünge zu machen. Swisscom wird jedes Prozent seines Marktanteils verteidigen. Im Geschäftskundenmarkt hingegen sieht es anders aus. Hier hat der grösste Player zwischen 80 und 90 Prozent Marktanteil, und wir als zweitgrösster hatten vor einem Jahr noch unter 10 Prozent. CVC hat erkannt, dass hier viel Potenzial existiert. Und wir konnten offensichtlich einen überzeugenden Plan vorlegen, der die Positionierung von Sunrise auch im Businessbereich vorsieht. Diese Strategie hat nun dazu geführt, dass wir in den Sub-Brand Business Sunrise und ins Produktportfolio investiert haben. Und sie hat auch zur Folge, dass wir unsere Fertigungstiefe erweitern müssen, um Leistungen bis zum Arbeitsplatz erbringen zu können. Der Kauf von Nextiraone gibt uns diese Möglichkeiten. Die Situation lässt sich also nicht mit jener vergleichen, die damals im Zusammenhang mit dem Kauf der Ascom geherrscht hat.

Wie gesättigt ist der Geschäftskundenmarkt eigentlich? Gibt es überhaupt noch Potenzial für Neugeschäfte?

Der Markt ist relativ stark gesättigt. Das heisst: Es ist nicht absehbar, dass er massiv wachsen wird. Aber die Bedürfnisse ändern sich und die Ansprüche steigen. Die mobile Kommunikation wird wichtiger und es werden höhere Bandbreiten gefordert. Auch kombinierte Produkte sind gefragt. Aber es ist ein reiner Verdrängungsmarkt. Was an neuem Bedarf aufkommt, wird auf der anderen Seite von der Preiserosion weggefressen. Als Anbieter kann man sich hier nur positionieren, wenn man attraktiver als die Konkurrenz ist. Bei uns geschieht dies in erster Linie über eine persönliche Betreuung der Kunden und eine grösstmögliche Flexibilität.

Und das Cloud Computing bietet auch keine neuen Geschäftsmöglichkeiten?

Grundsätzlich schon, aber die Cloud-Dienste produzieren keinen zusätzlichen Bedarf in den Markt. Ein typisches KMU hat heute eine Telefonanlage installiert und ein Datennetz. Telefoniert wird übers Fest- und übers Mobilnetz. Vielleicht sind die Filialen miteinander über Datennetze verbunden. Wenn wir in Richtung Cloud Computing gehen, dann bieten wir zwar neue Möglichkeiten an, indem wir die verschiedenen Dinge miteinander verknüpfen. In der Regel ist das aber mit tieferen Preisen für dieselben Dienstleistungen verbunden. Die zusätzlich verkauften gemanagten Services reichen dann etwa, um die Preiserosion auszugleichen. Spannend hingegen ist das zunehmend wichtigere Mobile Computing, das auch mit steigendem Datenverkehr verbunden ist.

Werden Sie denn künftig als Cloud-Dienstleister auftreten?

Das ist sicher ein Teil unserer Strategie. Wir müssen aber unterscheiden zwischen Public Cloud und Private Cloud. Im ersten Fall gibt es rasch Einschränkungen bezüglich Funktionen, Konfigurierbarkeit und Datensicherheit. Deshalb tendieren Schweizer KMUs eher dazu, den lokalen Carriers zu vertrauen. Ich glaube aber, dass viele Unternehmen selbst bestimmen möchten, welche Funktionen sie nutzen und wann sie den neuesten Release einspielen wollen. Damit bewegen sich die Unternehmen bereits in Richtung Private Cloud. Dort werden wir eher dedizierte Systeme anbieten, über die der Kunde selbst bestimmen kann. Zudem bieten diese Systeme etwa dieselbe Sicherheit wie eine Inhouse-Installation. Der Vorteil für den Kunden ist aber, dass er ein Opex-Modell statt eines Capex-Modells erhält.

Ist es eigentlich ein Zufall, dass Ihr neuer ­Anlauf im Businessbereich mit dem Abgang von diversen Colt-Managern zusammentrifft?

Der Schweizer Telekommarkt ist relativ überschaubar. Und ich habe aus meiner vergangenen Tätigkeit gute Verbindungen zu verschiedenen Carriern und anderen Firmen in der Branche. Hinzu kommt sicher auch, dass sich Colt in eine Richtung entwickelt, die bei einigen Managern die Frage aufkommen liess, was sie in Zukunft machen wollen. Es ist ja eine Binsenwahrheit, dass sich viele internationale Unternehmen unserer Branche immer mehr vertikalisieren und ihre Entscheide in London oder Paris fällen. Wenn man nun im Schweizer Telekommarkt etwas bewegen will, kommen eigentlich nur zwei Anbieter infrage, nämlich Swisscom und Sunrise. Bei diesen Unternehmen werden die Strategien für die Schweiz auch hier entwickelt. Vor diesem Hintergrund und bei der Aufbruchstimmung, die bei Sunrise herrscht, konnte ich einige Leute vom Wechsel überzeugen. Sie haben sich sehr gut integriert und sind glücklich bei uns.

Dann war es ein Glücksfall für Sie, dass Colt just zum rechten Zeitpunkt seine Manager vergrault hat.

Sagen wir es einmal so: Offensichtlich gibt es einige internationale Konzerne, die nicht realisieren, dass das Geschäft in der Schweiz doch etwas anders läuft. Es ist hier einfach wichtig, dass man persönliche Beziehungen hat.

Momentan reden ja alle wieder von Krise – wie wirkt sich das auf den Markt und auf die Margen im Geschäftskundenbereich aus?

Wir haben ja nicht nur im Geschäftskundenmarkt Wachstumsmöglichkeiten. Wir wollen auch im Consumermarkt, beispielsweise mit unserem IPTV-Angebot, das Anfang 2012 lanciert wird, wachsen. Was aber entscheidend ist: Wir haben uns in der Vergangenheit schon effizient und schlank aufgestellt. Und jetzt profitieren wir auch von den Investitionen in ULL, die uns über mehrere Quartale bei den Margen Wachstum bringen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Umsatz nicht im selben Masse steigen sollte. Das hilft uns über längere Zeit bei den Erträgen. Ich bin überzeugt, dass wir vonseiten der Marge in den nächsten Jahren nicht unter Druck kommen. Natürlich müssen auch im Markt einige Dinge passieren, damit wir weiter erfolgreich wachsen können. Wir müssen das TV-Angebot lancieren, wir müssen die Veränderungen in der mobilen Kommunikation mitmachen.

Welchen Einfluss auf Ihre Geschäftsaussichten hat eigentlich das ganze Gezerre um den Bau von Glasfasernetzen seitens Swiss­com?

Die Glasfaseranbindung ist für uns ein sehr starker Treiber. Die Bandbreiten über Kupferleitungen sind irgendwann ausgeschöpft. Deshalb suchen wir die Zusammenarbeit mit den EVUs bei den Glasfasernetzen. Wir werden im Privatkundenbereich sicher nicht selbst Glasfasern bis zu den einzelnen Haushalten verlegen. Es gibt bereits Swisscom und die EVUs, die das machen, und beide sind für uns bereits Wholesale-Partner. Wir bereiten uns vor, damit wir künftig über Glasfaser zu unseren Privatkunden gelangen können.

Sie können mit dem Vierfasermodell leben?

Grundsätzlich hätten wir uns zwar ein anderes Modell gewünscht, aber wenn wir Zugang zum Layer 1 bekommen, können wir damit leben. Wenn dieser Zugang gewährleistet ist, sind wir für die nötigen weiteren Investitionen bereit. Entscheidend wird sein, wie sich die verschiedenen Städte entwickeln. Wir werden zusammen mit den EVUs in den grossen Städten die Standards setzen müssen, die wir dann auf die ganze Schweiz herunterbrechen können. Ich bin aber überzeugt, dass wir hier in absehbarer Zeit taugliche Modelle finden werden.