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"Ich hinterlasse offensichtlich keinen grossen digitalen Fussabdruck"

Uhr | Aktualisiert
von Interview: René Mosbacher

Anne-Thérèse Morel ist seit 2008 CIO von Swisscom IT Services. Im Gespräch erklärt sie, was ein High-Resolution Scheme for the Shallow-Water Equations ist, wie man vielleicht mehr Frauen in die IT locken könnte, und warum im Web kaum etwas über sie zu finden ist.

Anne-Thérèse Morel, CIO und Head of Operation Excellence bei Swisscom IT Services, glaubt, dass sich mit attraktiven Arbeitsbedingungen mehr Frauen für die IT gewinnen liessen. (Quelle: Swisscom IT Services )
Anne-Thérèse Morel, CIO und Head of Operation Excellence bei Swisscom IT Services, glaubt, dass sich mit attraktiven Arbeitsbedingungen mehr Frauen für die IT gewinnen liessen. (Quelle: Swisscom IT Services )

Frau Morel, über Sie ist im Web kaum etwas zu finden. Wie schaffen Sie das?

Was haben Sie erwartet? Ich finde, es gibt schon einiges über mich ...

Ja, ein fast leeres Xing-Profil, ein uraltes Dissertationsverzeichnis der ETH – es gab nicht einmal eine Pressemeldung zu Ihrer Amtseinsetzung. Steckt da ein System da­hinter?

Nein, ich hinterlasse offensichtlich einfach keinen grossen digitalen Fussabdruck, und das ist auch gut so. Dazu kommt noch, dass man als CIO von Swisscom IT Services nicht sehr viele öffentliche Auftritte hat. Gegen­über unseren teilweise sensiblen Kunden ist es oft besser, nicht alles an die grosse Glocke zu hängen. Unser Unternehmen stellt auch eher die Leistungen in den Vordergrund und weniger die Personen dahinter. Insofern hat das schon auch System.

Sie sind also auch eher der Meinung, dass man nicht allzu viel von sich im Internet preisgeben sollte?

Eigentlich schon – ich bin ja auch kein Digital Native (lacht). Ich habe auch kaum die Zeit, in den sozialen Netzen zu verweilen. Dazu kommt, dass die CIO-Community in der Schweiz überschaubar ist und ich mich direkt beim CIO eines anderen Unternehmens mel­den kann. Dazu brauche ich keine Social Media, sondern nur die Telefonnummer.

Zurück zu dem, was ich gefunden habe: Sie haben eine Dissertation zu dem schönen Thema «A Genuinely Multidimensional High-Resolution Scheme for the Shallow-Water Equations» geschrieben. Helfen Sie mir kurz auf die Sprünge?

Ich kann es versuchen. Es ging darum, einen Algorithmus zu entwickeln und zu program­mieren, mit dem sich Probleme der Fluid­mechanik lösen lassen. Die Gleichungen, die dahinterstecken, können etwa in der Wettervorhersage, in der Lawinenforschung und ähnlichen Bereichen verwendet wer­den. Damals ging es darum, einen möglichst schnellen Algorithmus zu entwickeln, den man auch gut programmieren kann. In der Wettervorhersage sollten die Berechnungen ja nicht länger als 24 Stunden dauern, sonst nützen sie nicht mehr viel. In dem Kontext habe ich alle Grossrechner, die es Ende der 1990er-Jahre in der Schweiz gab, ausprobiert. Dabei bin ich mit der Informatik in Berüh­rung gekommen.

Ist aus Ihrer Dissertation noch etwas entstan­den?

Das war noch mathematische Grundlagen­forschung – ob daraus direkt etwas entstan­den ist, weiss ich nicht. Die Modelle in der Klimaforschung benötigen auch heute noch viel Rechenleistung, und es würde mich schon stolz machen, hier etwas dazu beige­tragen zu haben.

Nach der Arbeit mit den grossen Rechnern haben Sie dann gemerkt, dass Ihnen IT ge­fällt?

Nein, ich bin schleichend in die IT gekom­men. Meine Karriere habe ich bei Atraxis, der IT von Swissair, begonnen. Dort habe ich mit Forecast-Modellen für das Revenue Management gearbeitet. Es ging darum, die Erträge aus dem Flugbetrieb zu maximie­ren. Das hiess, aufgrund der verschiedenen Preisklassen und Frühbucherrabatten die richtige Preisstruktur zu finden. Hierfür habe ich ein mathematisches Modell gebaut und natürlich musste ich es auch programmieren. Danach bin ich im selben Bereich ins Projekt­management gewechselt. Interessant ist, dass das entwickelte Modell sogar das Grounding überlebt hat und heute noch bei der Swiss weiter im Einsatz steht.

Seit 2008 sind Sie CIO von Swisscom IT Services. Wie ist das, für die IT einer Firma zuständig zu sein, die wiederum als ausgela­gerte IT für andere Firmen auftritt?

Das klingt sicher etwas speziell. Aber ich habe grundsätzlich denselben Zuständigkeitsbe­reich wie ein CIO in einem anderen Unter­nehmen. Im Unterschied zu anderen Firmen gibt es hier aber viel mehr IT-Spezialisten. Ich bin für die internen Anwendungen zustän­dig, die wir einsetzen, um uns zu organisie­ren und unsere Services für die Kunden zu erbringen. Es wird also IT mit IT produziert. Das führt etwa dazu, dass ich in meinem Zuständigkeitsbereich mehr als 300 Anwen­dungen habe. Hier entscheiden wir selbst, was wir beschaffen oder entwickeln wollen.

Wie handhaben Sie die internen Schnittstel­len zum übrigen Konzern?

Swisscom IT Services ist eigentlich eine eigene Firma, ein IT-Service-Provider. Swisscom Schweiz bezieht IT-Leistungen bei Swisscom IT Services. Aber wenn im Kon­zern verschiedene Gesellschaften dieselben Bedürfnisse haben, bilden wir Integrations­gemeinschaften, um Synergien zu nutzen. In diesem Zusammenhang treffe ich meine Peers aus dem Konzern. Der Konzern gibt auch Richtlinien heraus für die interne IT, die wir respektieren. Wir teilen mit ihm ja einige Systeme, wie etwa das Netzwerk, das Arbeits­platzmodell, die Intranetplattform und den Webauftritt.

Das klingt trotz allem reichlich kompliziert. Haben Sie die Freiheiten, die Sie sich wün­schen?

Ich finde schon. Klar, es gibt verschiedene Rahmenbedingungen und auch unterschied­liche Interessen. Grundsätzlich bin ich aber da, um im Interesse der Firma das Optimum zu finden. Ich habe nicht den Anspruch, über­all mitwirken zu können. In dieser Rolle und dieser Konstellation muss man kompromiss­bereit sein, sonst leidet man. Ein Beispiel: Im Prinzip sollten wir alle Produkte, die wir für Kunden entwickeln, auch intern einsetzen. Aber das ist aus finanziellen Gründen nicht immer möglich. Es gilt also immer abzuwä­gen, wann man wegen der Kosten oder der Flexibilität Nein sagen muss.

Was sind momentan Ihre grossen Themen?

Swisscom IT Services ist in den letzten Jahren stark durch Akquisitionen gewachsen. Damit verbunden ist immer wieder die Frage, was mit der IT-Abteilung und den IT-Systemen der gekauften Firmen geschieht. Solche soge­nannten Post Merger Integrations begleiten mich ständig. Ein grosses Projekt ist auch die Erweiterung des Produktportfolios durch Off­shoring. Das betrifft meine Rolle in zweierlei Hinsicht. Einerseits müssen wir die Tools, mit denen wir die in der Schweiz produzier­ten Services überwachen, sauber von denen trennen, mit denen wir die im Ausland pro­duzierten überwachen. Das ist wichtig, weil wir hier ausser Kundenversprechen und Sicherheitsaspekten auch gesetzliche Anfor­derungen berücksichtigen müssen. Anderer­seits gilt es zu entscheiden, welche unserer internen Systeme zu tieferen Preisen durch Offshore-Mitarbeiter betrieben werden sol­len und können.

Das ist doch ziemlich aufwendig. Machen Sie diese Analysen mit Bordmitteln oder ho­len Sie sich externe Unterstützung?

Grundsätzlich arbeiten wir mit internen Mit­teln. Ich kann in meinem Umfeld zum Glück auf eine grosse Anzahl von Spezialisten inner­halb von Swisscom IT Services zurückgreifen.

Wie halten Sie es mit Bring your own Device?

Ich sehe das ziemlich differenziert. Die Bedürfnisse bei Arbeitsplätzen im Geschäfts­umfeld sind vielfältig. Mit der heutigen Tech­nik gibt es verschiedene Modelle. Früher haben die Firmen mit einem bis zwei Modellen gearbeitet und das genügte dann. Heute sieht das etwas anders aus. Man muss den verschiedenen Mitarbeiterprofilen mit ange­passten Lösungen gerecht werden. BYOD ist eines der Modelle, die eine Firma zur Verfü­gung stellen muss, aber nicht das einzig rich­tige. Bei uns sind die Sicherheitsanforderun­gen hoch, nicht zuletzt wegen der Kunden aus der Finanzindustrie. Dem müssen wir gerecht werden. Deshalb ist BYOD nicht in jedem Fall praktikabel. Wir lassen einiges zu, achten aber darauf, dass unsere Sicherheitsanforderun­gen eingehalten werden. Diese Ansätze ver­langen gewisse Änderungen in der Architek­tur. Ich denke dabei etwa an die elektronische Identität. Die Voraussetzungen hierzu sind noch nicht überall erfüllt. Deshalb: Ich glaube an den Ansatz, aber es braucht die richtigen Voraussetzungen im Rechenzentrum und in den Sicherheitskonzepten, um das breit umsetzen zu können.

Apropos elektronische Identität: Nutzen Sie die SuisseID in Ihrem Unternehmen?

Es gibt beim Konzern verschiedene Projekte mit der elektronischen Identität. Momentan wird die MobileID konzernweit eingeführt. Ich beispielsweise bin eine überzeugte Benut­zerin.

Wie muss ich mir das vorstellen?

Früher hatte ich an meinem Schlüsselbund ein Token, mit dem ich mich in der Firma über einen PIN identifizieren konnte. Jetzt tue ich das mit meinem Handy. Hierfür braucht es unter anderem eine spezielle SIM-Karte. Das Problem ist natürlich, dass man sein Handy nicht mehr zuhause vergessen darf.

Wie weit ist Swisscom IT Services intern schon cloudisiert?

Wir setzen die Cloud-Produkte, die wir den Kunden anbieten, auch intern ein. Dabei gehen wir pragmatisch vor. Jedes Mal, wenn wir eine Applikation erneuern müssen oder eine neue hosten wollen, fragen wir uns, was die derzeit richtige Lösung ist. Da ist Cloud immer eine Variante, und wenn es passt, set­zen wir das um. Weil wir unsere Systeme alle drei bis fünf Jahre einmal in die Hand neh­men, ist die Cloudisierung sozusagen in den üblichen Modernisierungszyklus eingebaut.

In der Branche wird viel darüber gejammert, dass sich zu wenige Frauen für IT-Berufe be­geistern. Haben Sie ein Rezept?

Nein. Das Problem ist vielschichtig. Man müsste den Frauen interessante Rahmen- und Arbeitsbedingungen bieten. Hier könnte die Schweiz definitiv noch Fortschritte machen, auch generell, was Frauen im Management angeht. Man sollte aber auch realistisch blei­ben und akzeptieren, dass IT halt nicht alle Frauen fasziniert. Bestimmt hängt es auch damit zusammen, dass es immer schwierig ist, die einzige Frau in einem Männerumfeld zu sein. Das schreckt viele ab. Stark vereinfacht gesagt: Vielleicht hilft es, wenn man dafür sorgt, dass es jeweils mindestens zwei Frauen auf einem vergleichbaren Niveau gibt. Es hat sich aber schon einiges verbessert. Beispiels­weise gibt es Frauennetzwerke in Unterneh­men – auch Swisscom fördert sie.

Nutzen Sie die?

Ich nutze Frauennetzwerke beschränkt und versuche, auch einen Beitrag zu leisten, weil ich es wichtig finde, dass die jüngere Gene­ration Vorbilder bekommt. Es ist aber immer eine Sache der verfügbaren Zeit. Ich habe zwei Kinder und Familie und das schränkt die Möglichkeiten für ein Engagement ein.

Womit wir wieder beim eigentlichen Problem wären – Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen, geht für Frauen fast nicht.

Es ginge schon. Das ist eine Frage der persön­lichen Organisation und des Gesellschaftsmo­dells. Es braucht Flexibilität von beiden Sei­ten. Ich beispielsweise bin ein Nachtmensch und kann sehr gut zwischen zehn Uhr nachts und zwei Uhr morgens arbeiten. Dafür kann ich dann einmal am Nachmittag mit meinen Kindern zum Arzt gehen. Dazu kommt, dass auch mein Mann seinen Teil beiträgt. Es ist nicht nur ein Frauenthema, sondern eines der ganzen Gesellschaft. Wenn auch die Männer flexibler werden, bekommen die Frauen den nötigen Spielraum.

Eigentlich wäre gerade die IT mit ihren Lösun­gen für die Kommunikation und die Zusam­menarbeit eine Branche, die den Frauen viel Spielraum geben könnte.

Das ist an sich richtig – die Technik kann hel­fen. Aber das reicht nicht. Nehmen Sie zum Beispiel Heimarbeit – die wäre in der IT vie­lerorts möglich. Aber haben Sie schon einmal versucht, mit zwei kleinen Kindern zuhause zu arbeiten? Ich kann vielleicht zwischendurch eine E-Mail beantworten, aber das nenne ich noch nicht arbeiten. Richtig los geht es erst, wenn die Kinder schlafen. Das funktioniert aber nur, weil mein Arbeitgeber mir vertraut, weil er davon ausgeht, dass ich meine Arbeit auch dann erledige, wenn ich nicht zu den Hauptarbeitszeiten im Büro anwesend bin.