Interview mit Robert Gebel

"Ich schätze, Change-Projekte machen 20 bis 30 Prozent aus"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Axpo Informatik ist IT-Dienstleister des Nordostschweizer Stromproduzenten. CEO Robert Gebel erklärt, warum die Kosten in dieser Branche so enorm wichtig geworden sind und was im Zusammenhang mit der weiteren Liberalisierung des Strommarktes auf die IT zukommt.

Robert Gebel, CEO der Axpo Informatik AG, spürt deutlich, dass die Schweizer Strombranche unter Preisdruck steht. (Quelle: Axpo)
Robert Gebel, CEO der Axpo Informatik AG, spürt deutlich, dass die Schweizer Strombranche unter Preisdruck steht. (Quelle: Axpo)

Robert Gebel ist seit 2006 CEO der Axpo Informatik, dem IT-Dienstleister des Axpo-Verbunds. Zuvor war er als Geschäftsführer der SD&M in der Schweiz für den Aufbau der lokalen Tochtergesellschaft verantwortlich. Als dieses Unternehmen von Capgemini übernommen wurde, verantwortete er den Bereich Technology Services von Capgemini Schweiz. Zuvor leitete er bei Telekurs Finanz die Entwicklung und Einführung des Valor Data Feeds im internationalen Bankenumfeld. Robert Gebel hat Informatik und Betriebswirtschaft an der Technischen Universität München studiert. Er schloss das Advanced Executive Program der Swiss Banking School sowie das Executive Program der Stanford University ab.

Herr Gebel, was treibt Sie gerade um?

Erstens Kosten, zweitens Kosten, drittens Kosten – wie überall in der IT. Auch die Stromindustrie befindet sich in einem harten Wettbewerb. Der Kostendruck ist vollständig bei uns angekommen.

Was ist passiert?

Es ist ein Ergebnis von verschiedenen Entwicklungen. Erstens nimmt der Wettbewerb durch die Liberalisierung zu. Hier sind die Prozesskosten sehr wichtig. Nehmen wir zum Beispiel einen Kunden, der zukünftig seinen Strom von einem anderen Lieferanten beziehen will. So ein Prozess ist nicht gratis und wird alsbald häufig und zu niedrigsten Kosten abgewickelt. Deshalb kommen die Energieversorger massiv unter Druck. Was für ein Kampf bei solchen Ausgaben tobt, sehen Sie in Ländern, die schon weiter liberalisiert haben als wir. Ein zweiter Faktor sind die stark gesunkenen Strompreise an den internationalen Börsen. Davon bleibt die Schweiz nicht verschont, und damit ändern sich für Stromproduzenten und -verkäufer schlagartig die Bedingungen. Der dritte Faktor schliesslich ist die Entwicklung des Energiemarktes nach Fukushima. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ob wir künftig weiterhin Elektrizität aus grösseren Kraftwerken beziehen oder aus vielen kleinen und mittleren, dezentralen Anlagen. Das hat Konsequenzen für den Betrieb des Stromnetzes.

Wie sieht bei Ihnen das Verhältnis von Innovation zu Produktion aus?

Grundsätzlich liegen wir hier in einem vernünftigen Rahmen. Wir beschäftigen uns noch immer in genügendem Masse mit Change the Business und betreiben nicht nur Run the Business. Ich schätze, Change-Projekte machen zwischen 20 bis 30 Prozent aus.

Da gibt es schlechter situierte IT-Abteilungen.

Ja, damit stehen wir noch vergleichsweise gut da. Allerdings zähle ich bei der Innovation auch die Konsolidierungsprojekte dazu. In dieser Hinsicht läuft im Konzern gerade viel. Axpo hat letztes Jahr eine grosse Reorganisation umgesetzt. Die Stromhändlerin EGL wurde in den Axpo-Konzern integriert und gleichzeitig wurden Produktion, Netze, Handel und Vertrieb neu organisiert. In diesem Rahmen haben wir zum Beispiel von ursprünglich zwei HR-Systemen auf eines reduziert. Zudem konnte ein Handelssystem eliminiert werden. Wir werden in diese Richtung weiterfahren und konsolidieren sukzessive im Nachgang der Reorganisation.

Wie viele Ihrer Projekte kommen aus dem Business und wie viele stossen Sie selbst an?

Ich unterscheide hier zwischen technischen und funktionalen Veränderungen. Zu den Ersteren gehören etwa Release-Wechsel oder End-of-Life-Massnahmen. Die bringen den Kunden an sich nicht viel Zusätzliches. Die funktionalen Projekte sind kundengetrieben – etwa weil neue Anforderungen mit IT abgedeckt werden sollen. Die technikgetriebenen Projekte kommen typischerweise von uns. Die funktionalen kommen etwa zu zwei Dritteln aus dem Business. Innerhalb von Projekten versuchen wir natürlich in beiden Bereichen Verbesserungen zu erzielen.

Das heisst also, Sie stossen ein respektables Drittel der Projekte selbst an?

Ja, das hängt aber auch mit der besonderen Situation der Axpo Informatik zusammen. Sie wurde vor elf Jahren gegründet. Damals wurden die Informatikabteilungen der beteiligten Gesellschaften EKZ, AEW, NOK im Axpo-Konzern zusammengefasst. Dadurch kamen unter unserem Dach viele Mitarbeitende mit grossem Erfahrungsschatz aus den unterschiedlichsten Fachbereichen der Energieversorgung zusammen. In dieser Ausprägung hat das kein anderer Informatikprovider zu bieten.

Was haben Sie angetroffen, als Sie die Leitung der Axpo Informatik übernahmen?

Ich bin vor knapp sieben Jahren dazugekommen. In den vier Jahren davor hatte das Unternehmen bereits eine gewaltige Reise gemacht. Es war viel Geld investiert worden im Sinne einer starken Standardisierung für alle Kunden. Es gab schon einen einheitlichen Client und ein nicht segmentiertes Netzwerk. Wir hatten zwei Datacenter für alle, einen Zugang von aussen, ein E-Mail-System. Man hatte auch schon ITIL eingeführt. Die Firma hatte also bereits einen sehr guten Reifegrad erreicht. Seither arbeiten wir daran, aus der Axpo Informatik einen Anbieter zu machen, der auch am Markt besteht.

Konkret – was haben Sie verändert?

Wir haben beispielsweise viel unternommen, um die Stabilität der Systeme zu verbessern. Während der letzten zwei Jahre hatten wir keinen flächendeckenden Ausfall mehr, der länger als fünf Minuten gedauert hat. Vor vier Jahren gab es noch einen Ausfall von zwei Stunden – eine sehr heikle Situation. Wir haben auch stark an der Kundenorientierung gearbeitet. Heute verstehen wir Kunden als Partner, die umworben und gepflegt werden. Wir müssen sie davon überzeugen, bei uns zu bleiben. Das ist schon wegen der Konstruktion unseres Unternehmens wichtig. Wir haben nämlich kein Mandat, am Drittmarkt zu akquirieren. In beschränktem Umfang tun wir das zwar hin und wieder, aber immer aufgrund von Einzelbewilligungen. Unsere Kunden hingegen müssen nicht bei uns einkaufen. Das bedeutet: Wir dürfen keinen Kunden verlieren, weil wir ihn nicht ohne Weiteres ersetzen können.

Wäre es denn für Ihre Kunden einfach, sich die IT-Dienstleistungen woanders zu holen?

Bei der IT-Beratung ist das jederzeit möglich. Aber das ist nur ein kleiner Teil unseres Arbeitsfeldes. Auch bei den Applikationen, die bei uns ein Drittel des Umsatzes ausmachen, besteht die Möglichkeit, zu wechseln. Das ist aber nicht mehr ganz unproblematisch, weil wir typischerweise integrierte Systeme betreiben. Trotzdem gibt es in spezifischen Fällen gute Gründe für eine Vergabe an einen anderen Lieferanten. Wenn ein Kunde etwa ein neues Handelssystem einführen will, dann wird er sich eher an eine spezialisierte Firma wenden, die das Produkt seit Jahren kennt. Wir liefern in solchen Fällen oft nur noch die unterstützenden Dienstleistungen, wie etwa die Integration in die Umsysteme. Bei der Infrastruktur ist die Fremdvergabe am schwierigsten, da die Abhängigkeiten sehr gross sind. Allerdings spüren wir gerade in diesem Bereich den grössten Kostendruck, etwa durch Angebote aus der Cloud.

Im Grunde wäre bei Ihrer dezentralen Struktur eine Private Cloud ja ein vernünftiger Ansatz.

Darüber könnten wir uns stundenlang unterhalten. Für den Kunden an sich ist es ja nicht wichtig, wie er zu seinen Diensten kommt. Er möchte Dienste und Produkte rasch bestellen und dann zügig wieder abbestellen können. Vor allem will er einen Superpreis haben. Wir überlegen uns ständig, wie wir diese Bedürfnisse abdecken können. Teilweise geht das einfach. Wir bieten zum Beispiel eine Sharepoint-Lösung an, die man übers Portal bestellen kann. Innerhalb einer Stunde erhalten Sie eine vollautomatisierte und hochstandardisierte Sharepoint-Vorlage, mit der sie sofort arbeiten können. Innerhalb eines Monats können Sie den Dienst wieder abbestellen. Das kostet 39 Franken pro Monat, egal wie viele Nutzer zugreifen – ein klassischer Cloud-Ansatz also. Bei den Infrastruktur-Komponenten wie Server wird es schon schwieriger. Wenn wir IaaS anbieten, stehen wir in Konkurrenz zu bestehenden Cloud-Angeboten im Markt. Dort erhalten Sie aber in der Regel Server, die weder gepatcht sind noch einen Virenschutz haben. So etwas wollen wir in unseren Datacentern aber nicht produzieren, weil das Sicherheitsrisiko zu gross ist. Hier haben wir Handlungsbedarf und arbeiten noch an der richtigen Lösung.

Ist denn die Nachfrage nach solchen Servern gross?

Ja, wir erhalten regelmässig Anfragen. Diesen Trend können wir nicht negieren. Um hier konkurrenzfähig zu bleiben, gibt es aus unserer Sicht zwei Varianten: Wir bieten die gleiche abgespeckte Funktionalität zu einem vergleichbaren Preis an, oder wir nutzen externe Cloud-Services und bieten die unseren Kunden an. In jedem Fall wollen wir vermeiden, dass die Kunden direkt Cloud-Services nutzen, da wir dann über die Daten und die Sicherheit keine Kontrolle mehr haben. Im Application Service Providing bieten wir eigene Cloud-Lösungen an. Es gibt aber auch immer mehr Applikationslieferanten, die eigene Cloud-Dienste anbieten. Die machen oft eine Mischkalkulation aus der Applikation und der Infrastruktur und produzieren die Leistungen in anderen Ländern. In diesen Fällen kommen wir zunehmend unter Druck, selbst wenn wir knapp kalkulieren.

Helfen Ihnen da keine rechtlichen Vorschriften, die etwa verlangen, dass bestimmte Daten nicht ausser Landes gelagert werden dürfen?

Wir haben Kunden, die keine Daten ausserhalb der Landesgrenze zulassen. Es gibt aber auch solche, die finden, sie könnten bestimmte, weniger sensitive Daten jederzeit ins Ausland verlagern. Regulatorische Hindernisse sehe ich in diesen Fällen nicht.

Schauen wir in die Zukunft: Die nächste Stufe der Strommarktliberalisierung muss für Sie etwas Tolles sein, weil das viel Arbeit gibt.

Ja, IT wird sicher nicht an Gewicht verlieren. Ein Grund dafür ist die deutlich zunehmende Transparenz für die Stromverbraucher. Sie sollen in der Zukunft nicht nur bestimmen können, von welchem Produzenten sie ihren Strom beziehen wollen, sondern auch laufend über ihren Verbrauch informiert werden. Dabei werden Selfservice-Portale immer wichtiger. In dieser Hinsicht haben wir mit einem grossen kantonalen Energieversorger schon einiges realisiert. Viel IT braucht auch das Smart Metering. Damit haben schon zahlreiche Versorger Versuche gefahren – auch im Hinblick auf die Liberalisierung. Da waren wir in mehreren Fällen mit dabei, haben die Integration der Daten in die Systeme begleitet, aber auch Portallösungen entwickelt. Das ging so weit, dass wir eine passende iPhone-App gebaut haben. Über die können sich die Kunden ihren Tages-, Wochen- oder Monatsverlauf beim Stromkonsum ansehen. Das System berechnet ebenfalls, wie hoch der eigene Verbrauch vergleichsweise liegt. Ich bin überzeugt, dass es künftig vermehrt darum geht, den Stromverbrauch und das eigene Verhalten für die Kunden sichtbar zu machen.

Gibt es für die Anforderungen aus der Strommarktliberalisierung bereits Lösungen ab Stange oder muss man das alles selbst bauen?

Die Energiebranche ist stark mit Standardprodukten ausgestattet. Bei uns machen die über 95 Prozent der Anwendungen aus. Die ganze Axpo Informatik hat nur zwei Java-Programmierer – mehr brauchen wir nicht. Portale entwickeln wir oft auf Basis von SAP. Auch die SAP-Konkurrenz liefert solche Lösungen. Wir parametrisieren viel und prägen spezifisch aus. Wirkliche Individualsoftware entwickeln wir fast nie.

Und damit kommen Sie tatsächlich aus?

Ja. Die Standard-Tools müssen natürlich für den Markt Schweiz angepasst werden – das machen typischerweise die Tool-Lieferanten. Wir parametrisieren am Ende die Spezifika der einzelnen Kunden.

Und wie wirkt sich die Liberalisierung auf die Infrastruktur aus?

Für unser Datacenter bedeutet das erst mal ein enormes Datenwachstum. Das wird sich auf die Storage- und Server-Landschaft auswirken. Wir gehen davon aus, dass die Endkunden mit Smart Meters ausgerüstet werden. Die werden über das Internet kommunizieren, was entsprechende Kommunikationsinfrastruktur verlangt. Schauen wir noch weiter in die Zukunft, dann werden auch die Endgeräte in die Kommunikationsnetze der Strombranche eingebunden. Das erlaubt dann eine viel feinere Steuerung von Produktion und Verbrauch. Wichtig wird das vor allem dann, wenn im Stromnetz viele kleine Produzenten hinzukommen.

Was steht bei Ihnen in nächster Zeit auf der Agenda?

Erstens müssen wir den Kostendruck und die damit verbundenen Konsolidierungsprojekte bewältigen. Zweitens gilt es herauszufinden, wie wir disruptive Technologien, also etwa die Cloud, für unsere Kunden intelligent nutzbar machen können. Ignorieren hilft hier nicht. Wir müssen uns engagieren, aber so, dass wir jederzeit auch die Verantwortung für den täglichen Betrieb tragen können. Drittens müssen wir definieren, wie wir Innovation in der EVU-Branche verstehen, wie wir sie für unsere Kunden aufbereiten und dabei einen eigenen Fussabdruck bekommen können.

Eigener Fussabdruck?

Nehmen Sie zum Beispiel Smart Grid. Das wird irgendwann kommen. Die spannende Frage ist nun, spielt die Axpo Informatik dabei eine aktive Rolle und wenn ja welche?

STICHWORTE

Das kann ich jederzeit empfehlen:
Mal wieder die "Mäusestrategie für Manager" von Spencer Johnson lesen und sich selbst hinterfragen.

Darüber habe ich zuletzt gelacht:
Über den erfolglosen Versuch meiner Söhne, ein uraltes Telefon mit Wählscheibe zu bedienen. So viel zum Thema intuitive Bedienung gestern und heute.

Darüber habe ich mich zuletzt geärgert:
Über zu viel Administration, die uns oft von den Kunden und unseren eigentlichen Herausforderungen abhält.

Heute in zehn Jahren:
Ist IT noch wichtiger, sieht aber ganz anders aus.

Über das Unternehmen: Axpo Informatik AG

Axpo Informatik wurde im September 2001 als Zusammenschluss der Informatikbereiche der Axpo Konzerngesellschaften sowie mehrerer Kantonswerke gegründet. Ziel dabei war es, einen übergeordneten IT-Dienstleister der Energiewirtschaft zu schaffen, der die Geschäftsprozesse seiner Kunden effizient unterstützt.

Heute ist die Axpo Informatik als IT-Service-Provider des Axpo-Konzerns mit den Kantonswerken der Nordostschweiz sowie im Drittmarkt tätig. Sie betreibt für ihre Kunden die IT-Infrastruktur und wirtschaftliche Applikationen. Das Unternehmen entwickelt für die Kunden und berät sie in IT-relevanten Themen.

Die Axpo Informatik beschäftigt über 260 Mitarbeitende. Im Geschäftsjahr 2011/2012 erreichte der Umsatz 85,4 Millionen Franken. Der Hauptsitz befindet sich in Baden. Regionale Support-Center gibt es in Aarau, Beznau, Zürich, Dietikon, Oerlikon und Schaffhausen sowie bei der Tochtergesellschaft Axpo Informatica Italia in Genua und Mailand.

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