Konkurrenz

Schweizer E-Commerce-Anbieter im Schatten ausländischer Riesen?

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Schweizer E-Commerce-Anbieter müssen sich zunehmend gegen die Konkurrenz aus dem Ausland behaupten. Das ist nicht immer einfach. Einerseits müssen sie mit den Grossen mithalten können, andererseits sollten sie sich auf ihre Stärken besinnen, statt einfach aufzugeben.

Laut Google Trends hat Zalando in den letzten zwölf Monaten Schweizer Anbieter wie Schild.ch, Fashionfriends.ch und Fashionwear.ch bezüglich Website-Aufrufen überrundet. (Quelle: Google Trends)
Laut Google Trends hat Zalando in den letzten zwölf Monaten Schweizer Anbieter wie Schild.ch, Fashionfriends.ch und Fashionwear.ch bezüglich Website-Aufrufen überrundet. (Quelle: Google Trends)

Die Schweiz ist klein, überschaubar und die Kaufkraft ist hoch. Wir verdienen im internationalen Vergleich gut und leisten uns gerne hier und da einen Luxus-Artikel. Was sich wie ein kleines Paradies für E-Commerce-Anbieter anhört, hat auch gewisse Tücken. Denn die Schweiz ist keine Insel. Und trotz des hohen Lohnniveaus werfen Schweizer ihr Geld nicht freiwillig aus dem Fenster. Sie bestellen ihre Waren immer häufiger im Ausland, nicht nur weil sie dort gewisse Produkte trotz Portokosten günstiger erwerben können, ihnen steht oft auch ein viel grösseres Warensortiment zur Verfügung.

Schweizer E-Commerce-Anbieter müssen sich daher mit der Konkurrenz aus dem Ausland auseinandersetzen. Wie die Blitzumfrage des "E-Commerce-Report Schweiz 2012" zeigt, hat diese seit dem letzten Jahr zugenommen. Bei dem Report handelt es sich um eine vom Schweizer Zahlungsverarbeiter Datatrans initiierte Studienreihe, die jedes Jahr in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) durchgeführt wird. Die Daten werden im Rahmen einer Befragung der E-Commerce-Verantwortlichen der marktprägenden Schweizer B2C-E-Commerce-Anbieter erhoben. Laut Report sind ein tieferes Preisniveau, niedrigere Löhne und Währungsvorteile die wichtigsten Gründe dafür, dass ausländische Dienstleister den Schweizer Anbietern die Stirn bieten können.

Platzhirsch Zalando

Für die Modebranche beispielsweise muss der Markteintritt von Zalando eine Art Schockwirkung gehabt haben. Denn wenn man mithilfe von Google Trends die Website-Aufrufe von Zalando betrachtet, fällt auf, dass die Zugriffe darauf ab September 2011 sprunghaft angestiegen sind. Dieser Zeitpunkt fällt praktisch mit dem Schweizer Markteintritt von Zalando zusammen. "Zalando hat es geschafft, in wenigen Monaten unsere lokalen Anbieter an die Wand zu drücken", bestätigt E-Commerce-Berater Thomas Lang von Carpathia Consulting. Hinzu kommt, dass E-Commerce gerade in der Modebranche nicht gerade ein Zuckerlecken ist, wie Ralf Wölfle, Leiter Kompetenzschwerpunkt E-Business an der FHNW, ergänzt: "Die Logistik ist viel aufwendiger, für die Kunden ist die Auswahl des Produkts unsicherer, und die Rücklaufquoten sind dementsprechend viel höher als bei einem Buch." Die Katalogversender hätten sehr früh mit E-Commerce angefangen. Die klassischen stationären Anbieter hingegen hätten den Aufwand gescheut, weil sie nicht wussten, ob sich die Mehrarbeit auch lohnen würde. Weil sie sich noch nicht positioniert hatten, kamen sie durch den Markteintritt der Konkurrenz teilweise unter Druck. "Die ausländischen Pure-Players werben sehr auffällig in der Schweiz und bieten ihre Artikel zu sehr tiefen Preisen an, da sie diese zum realen Wechselkurs verkaufen können", sagt Astrid Gloor, Leiterin Marketing beim Modehaus Schild. Den Konkurrenzdruck durch Zalando bekomme Schild stark zu spüren, auch weil die Ware dort während 30 Tagen kostenlos zurückgeschickt werden könne. Schild bietet neben dem Onlineshop 34 Modehäuser und weitere Markenshops in der ganzen Schweiz an.

Doch nicht nur die Modebranche muss sich im Wettbewerb verstärkt gegen die Konkurrenz aus dem Ausland durchsetzen. Ein anderes Paradebeispiel ist der Bücherhandel. Als sich Amazon vor etwa zehn Jahren in der Schweiz etabliert hat, kamen die lokalen Anbieter ebenfalls unter Druck. "Klassische Anbieter wie Orell Füssli haben zwar auch Onlineshops aufgezogen", sagt Wölfle. Sie hätten den Onlinekanal aber längst nicht mit der gleichen Entschlossenheit vorangetrieben, wie dies Amazon getan habe.

Die Sache mit der Infrastruktur

Neben den bereits genannten Vorteilen halten ausländische Anbieter auch noch andere Trümpfe in der Hand. Malte Polzin, abtretender CEO bei Brack Electronics, formuliert es folgendermassen: "Ein deutscher E-Commerce-Anbieter kann den Schweizer Markt durch einige Adaptionen seiner Strategie gleich mitbearbeiten." Häufig müsse er nicht einmal die Sprache des Werbespots anpassen, sondern könne einfach dessen URL ändern. Das ist sicher wahr, geht aber nicht immer auf, wie man am Beispiel des vorwiegend stationären Discounters Saturn in der Schweiz sieht. Das Unternehmen schreibt rote Zahlen, zudem gibt es Gerüchte, dass es sich aus der Schweiz zurückziehen wird oder die Filialen zu Media-Markt-Filialen umgewandelt werden sollen. Die Medienstelle des Media-Saturn-Managements Schweiz indes dementiert diese Gerüchte. Ein Grund für den Misserfolg soll laut Marketingfachleuten das laute, deutsche Auftreten sein, das die Schweizer Kunden wohl eher abschreckt als anzieht.

Abgesehen von den kulturellen Unterschieden haben ausländische Anbieter dennoch einen grossen Vorteil: Sie müssen ihre Infrastruktur nicht mehr von null aufbauen. Ein Schweizer Anbieter hingegen muss das tun und hat zudem hohe Lohnkosten und Skaleneffekte, mit denen er klarkommen muss.

Hinzu kommt auch die Grösse des Schweizer Marktes. Mit acht Millionen Einwohnern ist er im Vergleich zum deutschen Nachbarn gleich zehnmal kleiner. Auch deshalb können Schweizer Anbieter nicht unbedingt das gleiche Sortiment wie ihre Konkurrenz aus dem Ausland anbieten. Sie würden sonst riskieren, auf ihren Waren sitzenzubleiben. Natürlich können sie bestimmte Artikel auf Anfrage bestellen, aber das führt zu längeren Wartezeiten für die Kunden. Diese wiederum wollen etwas Individuelles, den letzten Schrei, etwas, was sie von der grossen Masse abhebt. "Stellen Sie sich einmal vor, Sie suchen einen Koffer und finden eine Website, die 3000 verschiedene Koffer anbietet – und das alles ist sofort lieferbar", skizziert Polzin das Problem. Das Gleiche gilt auch für den Mode-Platzhirschen Zalando. Sein Markenangebot unterscheidet sich deutlich von demjenigen anderer Schweizer Online-Modeshops. Zudem sind die angebotenen Marken in der Schweiz entweder gar nicht oder nur sehr limitiert in grossen Städten wie Zürich, Lausanne oder Genf zu finden.

Schweizer Trümpfe ausspielen

Müssen Schweizer Anbieter nun zusehen, wie ihnen ausländische Anbieter die Kunden vor der Nase wegschnappen? Nein, denn auch die hiesigen Unternehmen haben Trümpfe in der Hand. Erstens können ausländische E-Commerce-Dienstleister nicht einfach so in die Schweiz spazieren und hier ihre Zelte aufschlagen. Sie haben unter anderem einen logistischen und administrativen Mehraufwand und müssen regulative Hürden überwinden, wie aus den Ergebnissen des "E-Commerce-Report Schweiz 2012" hervorgeht. Werte wie Schweizer Qualität, die Nähe zum Kunden und die Möglichkeit, Portokosten tiefhalten oder ganz erlassen zu können, spielen für den Geschäftserfolg ebenfalls eine grosse Rolle. Trotz dieser Vorteile müssen Schweizer Anbieter aber auch selbst aktiv werden, um nicht den Anschluss an den Markt zu verlieren. Sie müssen sich über ihre Konkurrenz informieren und sich dementsprechend anpassen. So sollten sie gewisse technische Feinheiten, die bei Onlineshops ausländischer Anbieter Standard sind, ebenfalls einführen – denn der Kunde fordert diese, hat er sich einmal daran gewöhnt. Passt ein Anbieter seine Website nicht diesen technischen Standards an, läuft er Gefahr, Kunden zu verlieren.

Amazon hat beispielsweise mit seinem "Andere Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, haben auch jenes gekauft" sicher einen Standard gesetzt. Aber auch die Möglichkeit, Kundenmeinungen direkt auf der Website einzuholen, hat einen hohen Einfluss auf den Kaufentscheid. Auch die Geschwindigkeit einer Website ist wichtig. "Der Kunde ist nicht mehr bereit zu warten, er will die Resultate in Millisekunden haben – so wie er das von Google gewohnt ist", sagt Polzin. Neben diesen technischen Feinheiten hat die direkte Kommunikation mit dem Anbieter – sei es über Social Media oder ganz klassisch per Telefon – einen grossen Stellenwert beim Kunden. Gerade bei elektronischen Geräten und Gadgets kommt es öfter vor, dass Kunden unsicher sind und eine Frage zu einem bestimmten Produkt stellen wollen. Brack Electronics stellt deswegen für Kundenanfragen eine geschulte Verkaufs- und eine eigene Technikabteilung zur Verfügung, die Beratungen anbietet und Auskünfte zu den verschiedenen Produkten erteilt. Zudem werden Preissenkungen und Kursschwankungen täglich weitergegeben. "Wir waren gefordert, weil wir einen Grossteil unseres Sortiments in Euro und Dollar einkaufen", so Polzin. Über Parallelimporte könne das Unternehmen sicherstellen dass der Kunde mit dem Preis zufrieden sein wird.

Dank dieser und weiterer Massnahmen ist Brack Electronics mit dem Geschäftsverlauf zufrieden. Dazu muss aber auch gesagt werden, dass die Schweizer E-Commerce-Anbieter im Elektronikbereich nicht gross mit ausländischen Anbietern konkurrieren: "Wir befinden uns in einer relativ komfortablen Situation im Vergleich zu anderen Branchen", bestätigt Polzin. Kauft ein Schweizer ein Gerät, will er üblicherweise den richtigen Stecker und die richtige Tastatur mitgeliefert bekommen und sich zudem auf die Garantieleistung verlassen können.

Mehr Wettbewerb, mehr Mobile

Was machen wir also mit den gewonnenen Erkenntnissen? "Schweizer müssen wettbewerbsfähig sein, den besseren Service bieten und den lokalen Vorteil nutzen – denn den Preis können wir nur beschränkt beeinflussen", sagt Thomas Lang. Zudem müsse man seine Kunden in Zukunft unabhängig von ihren Endgeräten abholen können, denn E-Commerce werde immer mehr auch auf mobilen Endgeräten laufen. Schliesslich ist es bequemer, das neue Fernsehgerät auf dem Sofa liegend und mit dem Tablet in der Hand zu bestellen, als sich dafür extra vor den PC zu setzen. Auch bei der weiblichen Kundschaft, im sogenannten She-Commerce, gibt es sicher noch brachliegendes Marktpotenzial.

Vor allem aber müssen Schweizer Anbieter bereit sein, zu investieren. In den Lessons Learned aus den vergangenen fünf Jahren haben die Studienteilnehmer des "E-Commerce-Report Schweiz 2012" vor allem die Informatik genannt. So sagen viele befragte Anbieter, sie hätten Investitionen zu lange aufgeschoben, falsche Entscheidungen gefällt und zu spät auf mobile Endgeräte gesetzt.

Nischenanbieter haben eine Chance

Dass in der Schweiz neben all den grossen Shops auch Nischenanbieter überleben können, zeigt das Beispiel von Fromashop.ch, einem Schweizer Onlineanbieter von Fondue- und Raclettekäse. Er arbeitet ausschliesslich mit kleinen, regionalen Käsereien zusammen und wird wohl nie gegen die Konkurrenz aus dem Ausland antreten müssen. Erstens würde es sich für einen ausländischen Anbieter gar nicht lohnen, in der Schweiz einen Online-Käseshop aufzuziehen. Ihm würde das nötige Wissen zum Produkt fehlen, ausserdem wäre der Markt sehr wahrscheinlich nur auf die Schweiz begrenzt. Zudem gäbe es für ihn wohl kaum eine Möglichkeit, die hohen Schweizer Preise zu umgehen, und er müsste sich zuerst einen Überblick über die möglichen Anbieter verschaffen, was in der Schweizer Käsebranche nicht ganz einfach sein dürfte. Und nicht zuletzt würde sein Geschäftsmodell wohl am fehlenden Vertrauen der Schweizer Käseliebhaber scheitern. Denn wer, ausser ein Schweizer, sollte in der Schweiz denn Schweizer Käse verkaufen wollen?