Wie man kulturelle Vielfalt in internationalen Unternehmen positiv nutzen kann

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Andere Länder, andere Sitten. Was in den Ferien interessant erscheint, kann im Geschäftsleben aufreibend und zeitaufwendig sein. Die Netzwoche hat mit Unternehmen gesprochen, die ihre Softwareentwicklung ins Ausland verlegt haben, und wollte von ihnen wissen, wie sie mit kulturellen Unterschieden umgehen.

Internationale Zusammenarbeit bedeutet neben vielen Vorteilen auch Mehraufwand. In Gesprächen mit Branchenakteuren hat sich herausgestellt, dass dies einer der wichtigsten Punkte ist, deren sich Unternehmen bewusst sein müssen, wenn sie ihre Softwareentwicklung ins Ausland verlegen wollen. Es fängt bereits bei der Kommunikation an: Diese findet meist in Englisch statt, was für viele Projektbeteiligte eine Fremdsprache ist. Das Risiko von Missverständnissen ist daher entsprechend gross.

Aastra, ein Anbieter von Kommunikationslösungen, hat einen simplen, aber effektiven Ansatz entwickelt, um dieses Risiko zu mindern: "Die Gegenseite bestätigt jeweils in eigenen Worten, was sie machen muss, anstatt dass wir ihnen einfach nur sagen, was sie tun sollen", erklärt Mario Giacometto, Vice President und Head of Research and Development bei Aastra. Zudem protokollieren die Mitarbeitenden wichtige Dinge, um sicher zu sein, dass sie nicht aneinander vorbeireden. Die internationale Zusammenarbeit bei Aastra kam durch weltweite Zukäufe von Unternehmen zustande. Die Mitarbeitenden der jeweiligen Firmen wurden so ein Teil von Aastra. 2003 übernahm das Unternehmen beispielsweise die Business-Telefonie-Sparte von Ascom.

Englisch ist das A und O

Auch Sprachkurse sind ein beliebtes Mittel, um die Kommunikation zwischen Teams zu verbessern. "An unserem Standort in Russland war es anfangs sehr schwierig", erinnert sich Giacometto. "Dort konnte zu Beginn niemand Englisch sprechen. Also haben wir zwei Schweizer dorthin geschickt, die Russisch gelernt haben." Zudem haben die Russen Englischkurse belegt und beherrschen die Sprache inzwischen gut. Auch Soxes setzt auf Englischkurse, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern, wie CEO Thomas Klauser bestätigt. Das Softwareunternehmen entwickelt seit elf Jahren in Minsk und seit zweieinhalb Jahren in Vietnam. Die Businessanalysten, Projektleiter und Softwarearchitekten arbeiten von der Schweiz aus.

Soxes hat verschiedene Vorgehensweisen entwickelt, um sicherzustellen, dass es keine Missverständnisse gibt. Einerseits muss der Schweizer Projektleiter sicher sein, dass sein Team ihn richtig verstanden hat. Andererseits lassen sich viele Missverständnisse auch dank der Softwaremodellierung mit UML und Co. beziehungsweise dem Vorgehen nach Scrum vermeiden.

Die Modelle sind nicht sprachenabhängig und jeder Softwareentwickler versteht die entsprechenden Symbole. Auch Use Cases sind immer nach dem gleichen Prinzip aufgebaut. Beim Schweizer Softwarehaus Elca, das ebenfalls in Vietnam entwickelt, setzt man unter anderem auf Reviews und Code Inspections, um Missverständnisse zu vermeiden. Trotz sprachlicher Barrieren ist die Kommunikation heute einfacher als früher, insbesondere im Vergleich zu jener Zeit, in der der Austausch von Daten mit Disketten auf dem Postweg erfolgte und die Kommunikation grösstenteils über (teure) Telefonverbindungen lief. Dies hebt Klauser hervor, der bereits in dieser Zeit im Ausland Software entwickeln liess. Die schnellen Internetverbindungen, Videokonferenzen und Collaboration-Tools machten heute vieles einfacher. Aber auch die Menschen hätten sich verändert. Er erinnert sich an Zeiten, als Russland noch kommunistisch geprägt war. "Die Zusammenarbeit war damals viel schwieriger als heute." Die kulturellen Unterschiede seien viel grösser gewesen. Inzwischen sei die Welt internationaler. "Die jungen Leute sind einander viel ähnlicher geworden, auch wenn sie aus anderen Kulturkreisen stammen. Sie haben ähnliche Probleme und Bedürfnisse und nutzen soziale Plattformen wie Facebook."

Doch nicht nur die sprachliche Grundlage muss stimmen. Ein gegenseitiges Verständnis setzt auch Vertrauen voraus und dieses muss zuerst erarbeitet werden. Aastra beispielsweise legt Wert darauf, beim ersten Treffen genügend Zeit einzuplanen und einen sogenannten "Social Event" wie ein Abendessen zu veranstalten. Deshalb dauern diese Treffen meistens zwei Tage, manchmal auch länger. "Es ist wichtig, dass man einander spürt und den anderen besser versteht. Daher sind zwei Tage das Mindeste", sagt Giacometto. Auch bei Soxes legt man viel Wert auf gegenseitiges Vertrauen. Die Entwickler aus Weissrussland und Vietnam kommen für Trainings und Briefings etwa ein- bis zweimal im Jahr in die Schweiz. "Dabei geht es aber nicht primär darum, die Leute in einer bestimmten Technologie zu schulen, sondern letztlich geht es um Vertrauen", so Klauser. Er gibt zu bedenken, dass die Zusammenarbeit anders sei, wenn man über längere Zeit mit einem Menschen zusammenarbeite, ohne zu wissen, wie dessen Arbeitsplatz geschweige denn die Person selbst aussehe. Auch Verantwortung übernehmen zu können sei eine sehr wichtige Charaktereigenschaft, die Fachkräfte aus dem Ausland mitbringen müssten. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch ein Offshore-Modell mit einem Schweizer Management vor Ort, wie es beispielsweise Elca hat. Dadurch kann die Firmenkultur stärker verankert werden und die Projektbeteiligten stützen sich auf eine gemeinsame Arbeitskultur.

Mitarbeiter halten – eine Herausforderung

Ist das Vertrauen zu den ausländischen Fachkräften einmal aufgebaut, ist es essenziell, diese Mitarbeiter auch zu halten, damit die Investition nicht umsonst war. Soxes versucht dies unter anderem mit einem guten Lohn sicherzustellen. Aber auch eine gute Teamstruktur ist wichtig, wie Klauser betont. "Im Prinzip läuft das nach den gleichen Führungsprinzipien wie in der Schweiz." Wichtig seien auch regelmässige Meetings. Einerseits, um sicherzustellen, dass alles rundläuft, aber auch, um in stetem Kontakt miteinander zu stehen und so die Beziehung trotz der Distanz zu pflegen. Aastra kann dafür die hauseigenen Collaboration-Produkte wie etwa Videokonferenzen einsetzen. Das funktioniere zwar gut, so Giacometto, aber die Zeitverschiebung stelle ein Problem dar: "Am schlimmsten ist es, wenn wir Europa, Asien und Amerika zusammenbringen wollen." Während die einen gerade ihren Feierabend geniessen, stehen die anderen erst auf.

Doch auch moderne Tools und attraktive Arbeitsbedingungen reichen nicht immer aus, um das internationale Personal zu halten. "Unseren Entwicklungsstandort in Indien mussten wir aufgeben", sagt Giacometto. Die Fluktuation sei einfach zu gross gewesen. "Uns wurde das Personal teilweise quasi über Nacht abgeworben." Indien sei sehr schnell - in allen Belangen: "Wenn man 30 Ingenieure braucht, hat man diese sehr schnell - aber sie sind dann auch sehr schnell wieder weg." Dennoch will Giacometto Indien als Entwicklungsstandort nicht schlechtreden. Die verbliebene Zusammenarbeit mit Indien klappe in anderen Aastra-Projekten sehr gut.

Auch Klauser kennt das Problem der Fluktuation: "Wir haben vor etwa sieben Jahren versucht, in der Ukraine einen Entwicklungsstandort aufzubauen, mussten aber feststellen, dass die Ukraine ein sehr volatiles Land in Sachen Ressourcen ist." Zwei Jahre dauerte das Ukraine-Projekt, danach gab Soxes den Plan auf. Was die Volatilität betrifft, lobt Klauser den Entwicklungsstandort Minsk. "Weissrussland hat gut ausgebildete und sehr motivierte Leute. Das Land ist nicht gerade das absolute Hype-Schwellenland, aber sie machen auch nicht jeden Hype mit." Mit anderen Worten: Weissrussen lassen sich nicht so schnell von Firmen wie Google und Microsoft abwerben, wie dies beispielsweise bei den Ukrainern der Fall ist.

Die Kultur macht den Unterschied

Viele Schwierigkeiten können Unternehmen also mit geeigneten Massnahmen aus dem Weg räumen, beispielsweise, wie im Fall von Soxes, mit der Standortwahl. Was bleibt, sind die kulturellen Unterschiede. Kulturelles Verständnis und Offenheit für die Eigenheiten des Gegenübers helfen hier, sagt Giacometto. So würden Nordamerikaner beispielsweise bei einem Projekt selten in die Zukunft schauen: "Maintenance findet bei ihnen keine Wertschätzung, auch die Verbesserung eines Projekts hat für sie keine Bedeutung. Lieber bauen sie gleich eine neue Software." Dies wiederum rückt eine schweizerische Eigenheit in den Vordergrund: "Wir Schweizer müssen aufpassen, dass wir nicht gleich etwas für die Ewigkeit bauen wollen." Solche Unterschiede erforderten eine grosse Kompromissbereitschaft von beiden Seiten. Normalerweise finde man sich immer irgendwo in der Mitte mit einem Kompromiss, der vielleicht nicht gerade der beste sei, aber mit dem man sich abfinden könne. Es bringe nichts, auf die eigene bevorzugte Lösung zu pochen. "Wir müssen manche Dinge eben einfach akzeptieren, vor allem, wenn sie nicht essenziell sind." Andernfalls bliebe nur noch die Möglichkeit, das Projekt zu eskalieren.

Auch andere Nationalitäten haben ihre Eigenheiten. Franzosen seien weniger international als Schweizer, sie sähen vor allem ihr Umfeld, so Giacometto. "Ein Franzose will seine Kultur behalten, wir Schweizer passen uns viel eher an." In Deutschland wiederum müsse man die Hierarchie im Griff haben. Will man eine Sache vorantreiben, muss man sich folglich an die richtige Person wenden. Zudem seien die Deutschen sehr termintreu. Komme es zu Engpässen, könne man Deutsche unter Druck setzen, indem man auf den Abgabetermin hinweise. Was bei den Deutschen gut funktioniert, ist bei den Schweden hingegen kontraproduktiv. Sie seien zwar gute Gesprächspartner und gute Lösungsfinder, "es ist jedoch schwierig, von ihnen ein Commitment zu bekommen". Ein Termin helfe nicht unbedingt dabei, ein Projekt schneller zu einem Ende zu bringen. "Sie lassen sich nicht gerne unter Druck setzen. Tut man es trotzdem, verschliessen sie sich."

Gute Lösungsfinder und Analytiker seien auch die Russen, aber manchmal seien sie fast zu gut. "Anfangs bekundeten wir etwas Mühe, weil sie eine zu gute Lösung entwickeln wollten und wir sie immer wieder auf die Kundenbedürfnisse hinweisen mussten". Auch Klauser spricht über die kulturellen Eigenheiten in Weissrussland und Vietnam. "Ein Weissrusse entwickelt eine gewisse individuelle Eigendynamik. Die Liebe zum Detail ist nicht seine Stärke, die Teamarbeit auch nicht", erläutert er seinen Eindruck. Ein Vietnamese hingegen habe den Drang, keinen Fehler zu machen. "Das führt zuweilen zu einem etwas komplizierten Verhalten."

Bereicherung für das Unternehmen

Trotz all den Schwierigkeiten und Hürden, die eine Zusammenarbeit mit ausländischen Fachkräften mit sich bringt, möchte Klauser diese nicht missen. "Ich finde die Arbeit in einer internationalen Organisation an und für sich spannender." Habe man diese Luft einmal geschnuppert, wolle man meist nicht mehr zurück. Er nennt als Vorteile des Arbeitsmodells primär die Flexibilität und die geringeren Kosten. Diese Vorteile muss man sich aber erst erarbeiten. Die eigene Organisation müsse aufs Outsourcing ausgerichtet sein, sonst klappe es nicht. Eine Fussballmannschaft müsse auch zuerst miteinander trainieren, um erfolgreich zusammenspielen zu können. In der Softwareentwicklung sei dies einfach noch ein bisschen extremer.

Dennoch ist Klauser überzeugt, dass sich Outsourcing in der Softwareentwicklung eigentlich immer lohne. Ein Unternehmen müsse sich einfach im Klaren darüber sein, welche Organisation es brauche und welche Ressourcen vor Ort sein müssen. Habe die Organisation nicht die richtige Form und sei das Unternehmen nicht gewillt, diese anzupassen, funktioniere es nicht. Giacometto spricht sich zudem für ein gewisses Gleichgewicht im Unternehmen aus. Länder aus anderen Kulturkreisen bereichern seiner Meinung nach ein Unternehmen. Es müsse aber eine gewisse Balance geben. Astra entwickelt langlebige Produkte mit einer Lebensdauer von bis zu zehn Jahren. Es sei daher wichtig, dass die Fluktuation gering sei und damit das Know-how im Unternehmen bleibe. Daher setze Aastra in Kernbereichen insbesondere auf Ingenieure aus der Region.

So oder so haben viele Unternehmen keine grosse Wahl, wenn es um den Aufbau von Entwicklungsstandorten im Ausland geht. Viele sind aufgrund des Schweizer Fachkräftemangels gezwungen, Mitarbeitende im Ausland zu engagieren. Auch die Kostenersparnis ist gerade in der Schweiz sicher eine nennenswerte Motivation für die Wahl eines Outsourcing-Modells. Dies bestätigt etwa der European IT Outsourcing Intelligence Report 2011 im Kapitel über die Schweiz. Kostenreduktion, Fachkräftemangel und eine Fokussierung auf Kernkompetenzen werden als die drei Hauptgründe für IT-Outsourcing genannt. Eine weitere Motivation kann der Wunsch sein, international zu wachsen. Was wiederum eine Auswirkung auf die eigenen Produkte haben kann: "Dadurch, dass wir weltweit tätig sind, entwickeln wir auch internationale und damit ausgewogenere Lösungen", sagt Giacometto. Das ist neben all den anderen Vorteilen sicher auch ein guter Grund, im Ausland tätig zu sein.

Anmerkung: Dieser Artikel wurde in der Netzwoche 13/2012 publiziert.