IT-Beschaffungen

Wenig Bewegung trotz viel Kritik

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von Janine Aegerter

IT-Beschaffungen kosten viel Geld, der Bund wird deshalb immer wieder kritisiert. Doch obwohl sich die Rahmenbedingungen nicht so schnell ändern werden, besteht anderswo Verbesserungspotenzial.

Die IT-Beschaffungspraxis steht immer wieder in der Kritik. So gerade Anfang September, als die Bundesverwaltung eine Ausschreibung für die Beschaffung "zweier verschiedener, standardisierungsfähiger Gschäftsverwaltungslösungen (Gever)" inklusive damit verbundener Leistungen publizierte. Gemäss Ausschreibung sollen die beiden Gever-Produkte für insgesamt 40'000 Arbeitsplätze beschafft werden. Künftige Anbieter müssen den Bundesstandard implementieren und die Produkte während zwölf Betriebsjahren regelmässig den Anforderungen des Bundes anpassen. Für Kritik sorgen dabei die zahlreichen Eignungskriterien (EK), die in der Ausschreibung aufgeführt sind, vor allem das EK 21: Der zukünftige Anbieter muss nachweisen, dass er "das angebotene Gever-Produkt bei mindestens zwei Unternehmen oder Organisationen mit mindestens je 2000 registrierten Benutzern erfolgreich implementiert hat und es dort seit mehr als zwölf Monaten produktiv im Einsatz steht", wie es in der Ausschreibung heisst.

Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied der Swiss Open Systems User Group ch/open, die Open- Source-Software und offene Standards fördert, sieht darin eine unnötige Einschränkung: "Die Bundeskanzlei hat bewusst oder unbewusst die Schwelle mit 2000 registrierten Benutzern so hoch angesetzt, dass kein Anbieter eine Open-Source-Lösung offerieren kann." Aufgrund der Softwarekomplexität hätte es laut Stürmer keinen wesentlichen Unterschied gemacht, die Schwelle bei 500 Anwendern anzusetzen, "dann hätten auch Open-Source-Hersteller mitbieten können". Derzeit kommen in der Bundesverwaltung vier Gever-Produkte von vier Anbietern zum Einsatz. Zukünftig soll es nur noch einen oder zwei Leistungserbringer für Gever-Produkte in der Bundesverwaltung geben. Die Bundeskanzlei wehrt sich gegen die Vorwürfe Stürmers: Im vorliegenden Fall werde eine Anwendung beschafft, die mehrere 10'000 Benutzer haben solle, so die Informationsbeauftragte Sonja Margelist.

Vertrauen schaffen

Die Anforderung beinhalte den Nachweis, dass sich das Produkt mit 2000 Benutzern bewährt habe, was 5 Prozent der maximal möglichen Anzahl Benutzer beim Bund entspreche. Ausserdem sei die Ausschreibung anbieter- und produktneutral. So oder so: Die Gever-Ausschreibung ist nicht die erste IT-Beschaffung beim Bund, die für Diskussionen sorgt – und es wird vermutlich auch nicht die letzte sein. Das Scheitern des IT-Projekts "Insieme" im Jahr 2012 führte dazu, dass die beteiligten Akteure nach Massnahmen suchten, um das Vertrauen in das öffentliche Beschaffungswesen wieder herzustellen. Zu diesen gehört auch die seit 2012 jährlich stattfindende IT-Beschaffungskonferenz in Bern, die es Vertretern aus der Privatwirtschaft und dem Bund ermöglichen soll, sich miteinander auszutauschen.

Wo aber genau liegen diese Probleme, und wie kann man sie lösen? Peter Fischer, Delegierter für die Informatiksteuerung des Bundes (ISB), brachte mit seinem Referat an der diesjährigen IT-Beschaffungskonferenz etwas Licht ins Dunkel. Wie er aufzeigte, gibt es innerhalb der Bundesverwaltung Probleme, die den gegebenen Rahmenbedingungen geschuldet sind, und solche, die innerhalb der Organisation entstehen – etwa durch menschliches Versagen. Fischer wies einerseits darauf hin, dass es sich bei der Informatik um neue Technologien mit kurzen Lebenszyklen handle, ganz anders als beispielsweise bei Bauprojekten. Starre Beschaffungsregeln sind daher sicher nicht gerade ideal, um etwaigen Schwierigkeiten bei IT-Beschaffungen entgegenzuwirken. Und diese sind laut Fischer vielfältig: Unter anderem nannte er fehlende Planung, schlechte Anforderungserhebungen oder eine schlechte Integration der Beschaffungsabläufe beim Bund. Auch zu geringe Beschaffungskenntnisse seitens der Projektleiter oder zu wenig IT-Kenntnisse seitens der Beschaffungsspezialisten seien problematisch. Als Gegenmassnahmen schlug Fischer unter anderem eine klare Rollenverteilung der Kompetenzen sowie die Standardisierung und Modularisierung der IT in der Bundesverwaltung vor.

Wie sehen die Rahmenbedingungen aus?

Die Rahmenbedingungen für öffentliche Beschaffungen werden durch die entsprechenden Rechtsgrundlagen festgelegt. Diese beinhalten das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA-WTO) sowie das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) für öffentliche Beschaffungen des Bundes. Hinzu kommt die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IvöB), die einen Gesetzesrahmen auf kantonaler und kommunaler Ebene bietet. Mit diesen Grundlagen soll der Privatwirtschaft ein transparenter Zugang zu Ausschreibungen der öffentlichen Hand auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene ermöglicht werden. Bei den Vergabeverfahren unterscheidet man zwischen einem offenen Verfahren, einem selektiven Verfahren, einem Einladungsverfahren und einer freihändigen Vergabe. Bei einem offenen Verfahren kann jeder interessierte Anbieter eine Offerte einreichen, beim selektiven Verfahren hingegen müssen interessierte Anbieter ihre Teilnahme beantragen. Nur wer ausgewählt wird, kann seine Offerte einreichen. Bei den beiden anderen Verfahren erfolgt keine öffentliche Ausschreibung. Ob aber eine Beschaffung überhaupt öffentlich auf dem Infoportal Simap.ch ausgeschrieben werden muss, hängt von definierten Schwellenwerten ab. Denn erst ab einer bestimmten Summe muss ein Projekt öffentlich ausgeschrieben werden. Einer dieser Schwellenwerte, und zwar der für Lieferungen und Dienstleistung, führt stets zu Diskussionen, weil er als zu tief gilt: er beträgt lediglich 230'000 Franken. Bei einem IT-Projekt ist dieser Betrag schnell einmal erreicht. Da aber der Beschaffungsprozess beim Bund als träge gilt, kann sich ein Projekt dementsprechend hinziehen. Ein innovatives Projekt, das schnell die Marktreife erlangen sollte, wird dadurch eher behindert als gefördert.

Kosten vernichten Wertschöpfung

Ein weiteres Problem sind die Kosten, die einem Unternehmen entstehen, wenn es an einer öffentlichen Ausschreibung teilnehmen will. Erich Kleinhans, CEO des Softwareunternehmens KMS AG mit Hauptsitz in Kriens und Mitglied der Geschäftsleitung Neue Software Technologie Gemeinden GmbH (Nest), bemängelt, dass das aufwendige Erstellen von Ausschreibungsunterlagen Wertschöpfung vernichtet. Dieses kostet KMUs viel Zeit und Geld, ohne Garantie auf Erfolg. Weiter kritisiert Kleinhans unverhältnismässige Forderungen, beispielsweise nach Mit- oder gar Eigentumsrechten, wie unter anderem der Fall der SSGI aus dem Jahr 2010 zeigt, dem Verein der Schweizerischen Städte- und Gemeinde-Informatik. Die SSGI suchte damals in einer öffentlichen Ausschreibung eine Lösung für bis zu 290 Gemeinden.

Der Haken an der Sache: Der Verein verlangte von den Anbietern ein Miteigentum an der Software und begründete dies damit, dass man kostenlos Fachpersonal zur Definition der notwendigen Anforderungen bereitstelle. Für Kleinhans ist eine solche Forderung gegenüber einem Softwarehersteller mit einer eigenfinanzierten Lösung schlicht "unmöglich". Auch Abacus kommunizierte damals, mit seiner Lösung Nest/Abacus genau aus diesem Grund nicht an der Ausschreibung teilnehmen zu wollen. Kleinhans sieht als Lösung vor allem mehr Gespräche zwischen den Beteiligten. Daraus resultierten bessere Ergebnisse und weniger Misserfolge: "Ich würde mir wünschen, dass unter dem Patronat der Schweizerischen Informatikkonferenz ein einfaches und kurzes Arbeitsinstrument, beispielsweise eine Checkliste, unter der Mitwirkung von Swiss-ICT und einzelnen Herstellern erarbeitet wird", sagt er. Dieses solle den Verwaltungen Klarheit über die Gesprächsmöglichkeiten bieten und damit die Ängste vor einem angreifbaren Vorgehen minimieren.

Erfahrungen eines KMU

Ein Inhaber einer Berner Softwarefirma (Name der Redaktion bekannt) mit zwölf Mitarbeitern unterstützt Kleinhans in seiner Haltung: Diesen Frühling nahm er zum ersten Mal an einer WTO-Ausschreibung teil und macht sich nun Gedanken zu den immensen Kosten, die einem Anbieter dabei entstehen. 50'000 bis 100'000 Franken müssten für eine einzige Teilnahme budgetiert werden, sagt er. Da nur ein Anbieter den Zuschlag erhält, werden dadurch Millionen an Wirtschaftsleistung vernichtet, ist er ebenfalls überzeugt. Er kritisiert zudem die sehr kurze Angebotszeit von nur vier bis sechs Wochen. "Da muss man alles stehen und liegen lassen, will man da mitmachen. " Demgegenüber müsse die Offerte fünf Monate gültig bleiben. "Es wurde kein Zeitplan mitgeteilt, wann der Zuschlag erfolgt, man hängt in der Luft."

Sorgen machen ihm auch der gewünschte Realisierungszeitraum des Projekts, der sich mit der Angebotslaufzeit überschneidet. "Da sind Projektverschiebungen bereits vorprogrammiert." Kleine Firmen hätten nicht einfach das Problem, wirtschaftlich zu wenig leistungsfähig zu sein oder das Knowhow nicht zu haben, wie oft suggeriert werde. "Sie können einfach einen temporären Engpass weniger kaschieren oder mit den Mitarbeiter-Ressourcen jonglieren." Das wäre auch unfair gegenüber anderen Kunden. "Wir mussten für alle geplanten Mitarbeiter ein Profil erstellen. Diese Mitarbeiter kann ich nicht verplanen, bis wir einen Bescheid haben. Wenn man ehrlich ist, kann sich das keine Firma leisten, ohne dass dadurch anderorts Kosten entstehen."

Die Teilnahme an einer derartigen Ausschreibung sei daher für ein KMU seiner Grösse eigentlich zu risikoreich. Der Projektumfang hingegen entspreche dem, was sie auch für die Privatwirtschaft stemmen würden. An der jährlichen Informationsveranstaltung "Wie bewerbe ich mich erfolgreich für Aufträge der Bundesverwaltung " würden gerade auch kleinere Firmen ermuntert, an den Ausschreibungen teilzunehmen. Das stehe im Widerspruch zu den gesetzten Rahmenbedingungen. Interessant fände er daher die Erstellung einer Vollkostenrechnung der Ausschreibungspraxis für die Schweizer Wirtschaft und den Bund selbst. "Irgendwo muss ja das Geld wieder herkommen."

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