Amschwylers Welt

Amschwyler und die BYOD-Strategie

Uhr | Aktualisiert
von David Klier

Urs Amschwyler ist IT-Chef bei der fiktiven Stampfli AG, einem KMU mit rund 50 Mitarbeitenden, spezialisiert auf die Produktion von Kaffeegebäck. Der exzentrische, technikverliebte Gründer und CEO Dr. Alfons Stampfli verlangt regelmässig das anscheinend Unmögliche von Amschwyler. Besonders angetan ist Stampfli seit kurzem vom "BYOD"-Trend – sehr zum Leidwesen von Amschwyler.

Kurz nach 10 Uhr klingelte Urs Amschwylers Telefon. Sein Chef wollte ihn sehen, sofort. Amschwylers anfänglich gute Stimmung begann sich schlagartig zu verflüchtigen. Dr. Alfons Stampfli war am Morgen ohne ein Wort des Grusses an Amschwyler vorbeimarschiert und hatte sich in seinem Büro verkrochen. Für gewöhnlich war das ein gutes Zeichen, denn ein schlecht gelaunter Stampfli bedeutete in der Regel, dass man den ganzen Tag nichts von ihm hören würde. Entsprechend hatte sich Amschwyler auf einen ruhigen und friedlichen Tag eingestellt.

Zu früh gefreut, dachte Amschwyler missmutig. In der leisen Hoffnung, Stampfli habe bloss sein Passwort vergessen oder wieder versehentlich ein Kabel vertauscht, machte sich Amschwyler auf den Weg zu Stampflis Büro. Dort angekommen, klopfte er an die Tür und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

Spezialauftrag für Amschwyler

"Amschwyler! Kommen Sie rein. Nein, bleiben Sie stehen, es dauert nicht lange." Amschwyler schwante Fürchterliches. "Ich war gestern bei Beat Hofstetter, Sie wissen schon, der Chef von Back- und Feinkost Oberthal." Amschwyler wusste nur zu gut, wer Hofstetter war. Wann immer Stampfli von einem "Besuch" bei Hofstetter zurückkehrte, erhielt er, Amschwyler, wieder einen Spezialauftrag. Was würde es wohl diesmal sein?

"Jeder in seiner Firma arbeitet mit seinen eigenen privaten Geräten. Tablets, Smartphones, Laptops. Das ganze Programm. Warum machen wir das nicht auch so?" Amschwyler wurde es flau. Er hatte befürchtet, dass dieser Tag kommen würde. Mit Argusaugen hatte er seit geraumer Zeit den sogenannten "Bring your own Device"-Trend (BYOD) verfolgt. Die Fachpresse und die grossen IT-Firmen konnten anscheinend gar nicht genug davon bekommen. Die Vorteile leuchteten Amschwyler durchaus ein, doch bei dem Gedanken an die Vielzahl unterschiedlicher Endgeräte, die Datensicherheit und auch die juristischen Aspekte wurde ihm schwindlig.

Für Dr. Stampfli gibt es kein Nein

Sein Chef wartete auf eine Antwort. "Herr Stampfli, mit Verlaub, ich glaube, wir sollten davon absehen, etwas Derartiges bei uns umzusetzen. Der organisatorische Aufwand wäre immens, ganz zu schweigen von den Kosten. Und zur Datensicherheit muss ich Ihnen ja sicherlich keinen Vortrag halten." Amschwyler bemerkte seinen Fehler zu spät, als dass er ihn noch hätte korrigieren können. Sein Chef bestand darauf, stets mit seinem Doktortitel angesprochen zu werden. In Kombination mit seiner negativen Antwort würde das Gespräch nun eine für ihn noch schlechtere Wendung nehmen.

"Amschwyler!", schrie Stampfli. "Wie oft muss ich Ihnen das noch erklären? Ich habe meinen Doktor nicht gemacht, nur damit er auf meiner Visitenkarte steht! Merken Sie sich das endlich! Und was Ihre Antwort auf meine Frage angeht. Ein Nein akzeptiere ich nicht. Bis Ende dieser Woche habe ich ein fertiges Konzept auf meinem Tisch. An die Arbeit!" Weiteres Argumentieren zwecklos. Amschwyler trottete zurück zu seinem Büro und liess sich in seinen Schreibtischstuhl fallen. Zum wiederholten Male fragte er sich, wa­rum er sich das antat. Seit über 20 Jahren war er in IT-Abteilungen tätig, und seit annähernd 15 Jahren war er Stampflis "Leibeigener". Jemand mit seiner Erfahrung hätte wohl kaum Mühe, eine andere Stelle zu finden. Vermutlich waren es die He­rausforderung und einige liebgewonnene ­Freiheiten, die ihn davon abhielten, etwas anderes zu machen. Abgesehen von Stampfli gab es niemanden, der ihm in seine Arbeit reinredete. Auf der anderen Seite war er bei Problemen immer auf sich gestellt. Aber genau das reizte ihn tief in seinem Inneren. Nach dem kurzen Anflug von Selbstmitleid widmete er sich also seiner neuen Aufgabe. Im Grunde hatte er eine grobe Idee, wie er die Sache anpacken musste. Erst kürzlich hatte er sich an einer IT-Fachveranstaltung mit einigen Branchenkollegen darüber unterhalten.

Fünf Schritte bis zu BYOD-Strategie

Durch das Gespräch mit den Kollegen wusste er, wie Anbieter von BYOD-Dienstleistungen vor einer Umsetzung im Unternehmen in etwa vorgingen. Er wollte so viel wie möglich in Eigenarbeit vorbereiten, bevor er sich erste Offerten einholen würde. Dass er das Ganze nicht allein würde stemmen können, war ihm aber von vornherein klar. Es graute ihm nur davor, Stampfli diesen Umstand beizubringen. Amschwyler hielt kurz inne.  Er versuchte, sich an das Gespräch an der Fachveranstaltung zu erinnern. Einer der Kollegen hatte von fünf Schritten bis zur BYOD-Strategie gesprochen. Der Begriff SWOT-Analyse war gefallen, glaubte Amschwyler sich zu erinnern.

Am einfachsten wäre es also, sich daran zu halten und mit einer Ist-Analyse zu beginnen, dachte er sich. Danach sollte er sich Gedanken über die Sicherheitslage machen und überdenken, welche potenziellen Gefahren künftig auftreten könnten, wenn dann alle Mitarbeitenden mit ihren eigenen Geräten hantieren würden. Auch seine Wahrnehmung der Unternehmens-IT und der Mitarbeitenden würde er ändern müssen. Jeder Mitarbeitende würde zum individuellen Endpunkt werden. Das ­bedeutete, dass er die Zugriffsrechte, die Anwendungen und den Arbeitsort für jeden einzelnen festlegen beziehungsweise mit ein­be­ziehen musste. Möglicherweise liessen sich aber einige in Gruppen zusammenfassen. Ein weiterer Punkt wäre die Gerätesicherheit. Er musste sich überlegen, wie er die Mitarbeitenden dazu bringen konnte, Verschlüsselungs- und Authentifizierungsmassnahmen an ihren Geräten vorzunehmen. Das würde mit der generellen Information und Ausbildung der gesamten Belegschaft einhergehen. Wenn tatsächlich alle im Betrieb mit ihren eigenen Geräten arbeiten wollten, beziehungsweise sollten, mussten sie entsprechend geschult werden. Es gäbe gewisse Richtlinien, an die sich alle halten müssten. Was für ein organisatorischer Aufwand. Ein Albtraum!

Netzwerkinfrastruktur aufrüsten

Nach all diesen Überlegungen notierte sich Amschwyler also die fünf wesentlichen ­Punkte: Schritt 1: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Dumme Frage. Wenn Stampfli wüsste, wohin er wollte, wäre Amschwylers Leben vermutlich nur halb so mühsam. Schritt 2: ­Aktuelle Sicherheitssituation, potenzielle ­Lücken, künftige Gefahren. Schritt 3: Wahrnehmungsveränderung; die einzelnen Mitarbeitenden werden zum Endpunkt; möglicherweise in Arbeitsgruppen unterteilen, je nach Verantwortung und verwendeten Geräten. Schritt 4: Information und Ausbildung der Mitarbeitenden. Sicherheitsregeln und -verhaltensweisen müssen in jedem Fall eingehalten werden. Schritt 5: Adaption und Weiterentwicklung der BYOD-Strategie; regelmässige Überprüfung der Nutzung und mögliches Wachstum/Expansion einplanen.

Amschwyler blickte einigermassen zufrieden auf die fünf Punkte. Mehr konnte er aus seiner Sicht für den Moment nicht tun. Unter Schritt 1 konnte er vielleicht noch die vorhandene Infrastruktur auflisten. Was die verwendeten Endgeräte anbelangt, würde er wohl oder übel jeden betroffenen Mitarbeitenden befragen müssen. Da erst Mittwoch war, hatte er für den Feinschliff aber noch den ganzen Donnerstag Zeit. Vorausgesetzt, es tauchten keine anderen Probleme auf und Stampfli würde nicht ungeduldig werden. Er spielte mit dem Gedanken, bis zum Gespräch mit Stampfli ­bereits einige Offerten einzuholen. Es würde sicherlich ein Mobile-Device-Management-System benötigt werden. Ausserdem müssten ­Anpassungen an der Netzwerkinfrastruktur vorgenommen werden. Seit Jahren hörte er sich Beschwerden über den miserablen WLAN-Empfang im ganzen Haus an und leitete sie an seinen Chef weiter. Nun würde sich Stampfli vor der Aufrüstung der WLAN-Infrastruktur nicht mehr drücken können. Tablets und Smartphones konnte er schliesslich nicht über Kabel einbinden. Unter dem Strich würde das Projekt eine ganze Stange Geld kosten. Er hatte Stampfli gewarnt, aber der Herr Doktor hatte es ja so gewollt.

Am Freitagmorgen machte sich Amschwyler mit gemischten Gefühlen auf den Weg zu Stampflis Büro. Was die Strategie anging, war er sich seiner Sache eigentlich sicher. Er hatte am Donnerstag eine E-Mail an alle betroffenen Mitarbeitenden verschickt, in dem er sie darauf hinwies, dass es in den nächsten Wochen vermutlich zu einigen Neuerungen kommen würde. Er hielt alle an, ihm so schnell wie möglich mitzuteilen, ob und mit welchen ihrer privaten Endgeräte sie künftig arbeiten wollten. Von vielen bekam er positive Rückmeldungen und halbwegs brauchbare Angaben zu ihren Geräten. Als Basis für die Präsentation vor Stampfli reichte das. Sorgen bereiteten ihm die notwendigen Neuanschaffungen und die Kosten für das Mobile-­Device-Management-System. Stampfli würde das nicht gefallen. Aber diesmal konnte er sich nicht rausreden. Wenn er wollte, dass alle über ihre Mobilgeräte von überall aus arbeiten konnten, würde er in die Tasche greifen müssen. Kurz bevor er Stampflis Büro erreichte, klingelte Amschwylers Handy. Stampfli. "Amschwyler! Ich komme heute nicht ins Büro. Wegen dieser Tablet-Geschichte; es ist mir egal, was das kosten wird. Machen Sie einfach. Sorgen Sie dafür, dass ich Hofstetter beeindrucken kann, dann haben Sie nichts zu befürchten. Schönes Wochenende!"