Daniela Bomatter, Geschäftsführerin der Mobility International AG

"Wir wollten ein dezidiertes Carsharing-System entwickeln"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Daniela Bomatter, Geschäftsführerin der Mobility International AG, erzählt von der Lust, in einem kleinen genossenschaftlich organisierten Unternehmen die modernste Carsharing-Lösung zu entwickeln.

Daniela Bomatter, Geschäftsführerin der Mobility International AG.
Daniela Bomatter, Geschäftsführerin der Mobility International AG.

Frau Bomatter, Sie kamen vor drei Jahren von einem grossen US-Konzern aus dem Gesundheitssektor zur kleinen Schweizer Carsharing-Genossenschaft – warum dieser Wechsel?

Das war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich wollte zurück in eine Firma, in der Unternehmertum gelebt werden kann. Das funktioniert in amerikanischen Firmen vom Schlag einer IMS nicht gut. Unternehmertum, so wie ich es verstehe, hat viele Facetten. Ein Unternehmer sollte sich bewusst sein, dass er Verantwortung gegenüber seinen Angestellten, der Gesellschaft und der Umwelt hat, und nicht nur gegenüber den Kapitalgebern.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Absolut! Ich arbeite hier in einem Umfeld, das ich gestalten kann, ohne den absoluten Profitdruck im Nacken. Ich bin überzeugt, dass die Genossenschaft eine sehr gute Art ist, eine Firma zu finanzieren und zu halten. Bei dieser Gesellschaftsform bleibt der Sinn und Zweck des Unternehmens viel besser erhalten.

Bei Mobility sind Sie für das Carsharing-System verantwortlich. Was tut das eigentlich?

Es dient dazu, den komplexen Prozess des Carsharings überhaupt richtig und rationell betreiben zu können. Zu den wichtigen Teilprozessen gehören etwa die Verwaltung von Kunden, Standorten, Fahrzeugen, Buchungen, aber auch die Zutrittskontrolle, die Protokollierung oder die Fakturierung. Das System besteht aus dem Kernel Mobisys, den wir zusammen mit zwei Partnerfirmen entwickelt haben. Die eine war für das Backend und die andere für das Frontend zuständig. Die notwendigen Businessapplikationen wie Finanzbuchhaltung, Karten- und Dokumenten- oder Outputmanagement haben wir hinzugekauft. Das Ganze ist über einen Servicebus verbunden.

Sie haben letzthin, nach zweijähriger Entwicklungszeit, die Version 2 Ihres Systems in Betrieb genommen – das ist recht lange für ein Update.

Nicht, wenn man weiss, dass wir den Kernel von null auf neu geschrieben haben. Allerdings war beim Backend mit Proreda dieselbe Firma wieder dabei, die schon die erste Version entwickelt hatte. Dadurch konnten wir das Carsharing-Know-how erhalten. Das Frontend entwickelten wir mit einem neuen Auftragnehmer. Er heisst Comerge und ist ein Spin-off der ETH. Er brachte den Frontend- Teil des Systems mithilfe agiler Methoden und Techniken wie Java, Google Web Toolkit auf den heutigen Stand der Technik.

Ist es nicht etwas unüblich, ein derart geschäftskritisches System mit agilen Methoden zu entwickeln?

Ich bin sicher, dass uns die agile Methode eine deutlich bessere Code-Qualität geliefert hat, als das mit der Wasserfallmethode möglich gewesen wäre. Ein Grund dafür ist, dass bei der Methode, der wir uns bedient haben, alles sofort automatisch getestet wird. So stabilisierte sich die Software mit jeder Iteration deutlich. Zudem konnten wir vom ersten Meilenstein an immer wieder korrigierend eingreifen.

Dann haben Sie die agilen Verfahren nicht für ein kurzes Time-to-Market, sondern zur Optimierung der Qualität eingesetzt?

Ja, das kann man so sagen. Aber ebenso wichtig war uns, dass wir damit die Entwicklung gut beeinflussen konnten. Wir haben nicht daran geglaubt, dass man bei so einem komplexen System im Voraus saubere Detailspezifikationen niederschreiben kann.

Haben Sie keinen Anforderungskatalog gemacht?

Doch. Wir gingen aber von einem 150 Seiten starken Grobkonzept direkt in die agile Realisierung. Nach zwei Jahren konnten wir eine Version 2 live schalten, die bereits so gut war wie die alte. Das ist ziemlich gut. Zudem konnten wir von den Vorteilen moderner Technik und eines vollständig neuen Work-flow-Managements profitieren. Letzteres war einer der grössten Fortschritte, weil es uns einen ungemeinen Produktivitätsschub verlieh. Stellen Sie sich vor, dass ein Kunde sein Auto zu spät zurückbringt und ein anderer Kunde darauf wartet. Ein solches Krisenmanagement erfordert eine Lawine von koordinierten Aktionen. Der wartende Kunde muss informiert, ein Ersatzauto oder ein Taxi organisiert, der fehlbare Kunde gebüsst, die Fakturierung angepasst werden und so weiter. Hierfür erstellt das System heute sofort automatisch einen kompletten Workflow. Alle Abteilungen, die involviert sind, wissen umgehend, was sie zu tun haben. Zuvor organisierten wir uns über E-Mails und Telefon. Das Problem war oft, dass das Feedback fehlte.

Ist die Mischung zwischen Open- und Closed- Source nicht riskant?

Nein, wir entwickelten eine 3-Tier-Architektur. Sie besteht backend-seitig im Wesentlichen aus dem SQL-Server von Microsoft, einem Service-Bus in der Mitte und einem Frontend. Der Service-Bus basiert auf .Net. Dadurch sind wir flexibel, was die Wahl der Frontends betrifft. Das kann Mobisys sein, also ein Rich Client auf der Basis von Java. Das können aber auch Smartphones mit verschiedenen Betriebssystemen sein. Weil alles über den stabilen, normierten Service-Bus läuft, können auch keine Probleme zwischen Open-Source- und kommerziellen Komponenten entstehen.

Hätten Sie Ihre Lösung nicht auch auf Basis eines marktüblichen Flottenmanagements entwickeln können, das auf einem gängigen ERP läuft?

Ich bin sicher, dass das möglich gewesen wäre – theoretisch. Wir haben diesen Weg genau geprüft, aber verworfen, weil Carsharing schon um einiges spezieller ist als das Flottenmanagement eines Transportunternehmens etwa. Wenn man ein solches System einkaufen will, macht man überall Kompromisse. Wir wollten aus strategischen Gründen aber ein dezidiertes Carsharing-System entwickeln, das international dem Stand der Technik entspricht. Ich darf behaupten, dass dabei die modernste Carsharing-Lösung der Welt herausgekommen ist.

Was hat denn die Entwicklung von Mobisys 2 gekostet?

Wir sprechen von fünf Millionen Franken. Dazu muss man noch bemerken, dass wir dieses Projekt on time und on budget abgeschlossen haben. Das ist ziemlich erstaunlich, wenn man sich in der IT-Branche etwas umhört.

Und es hat auch funktioniert?

Ja, wir haben letzten Herbst in einer Nacht von der alten auf die neue Version umgestellt, und das für 2700 Autos und 100'0000 Kunden. Darauf sind wir sehr stolz.

Was waren die heikelsten Punkte in diesem Projekt?

Das Schwierigste war die Grösse – wir sind ja kein riesiges IT-Unternehmen. Wir machten das Projektmanagement, die Entwicklungsarbeit lag vollständig bei unseren drei Partnern. Es war einfach unglaublich viel Arbeit, alles zu spezifizieren, umzusetzen, zu testen und sicher zu sein, dass wir das Richtige tun. Das hat nur wegen des ausserordentlich guten Teamworks funktioniert. Es war fast so etwas wie eine Grenzerfahrung.

Wie bekommt man das mit einem dezentralen und gemischten Projektteam hin?

Es braucht eine gemeinsame Vision, und alle Projektleiter müssen bereit sein, ihre Eigeninteressen hinter das gemeinsame Ziel zu stellen. Sobald man Ego Clashes hat, ist es vorbei. Ein Beispiel: Wir vergaben alle Aufträge auf der Basis von Fixpreisen. Damit das gutgeht, braucht es nicht nur eine konsequente Aufwandkontrolle bei den Auftragnehmern, sondern auch viel Fairness vom Auftraggeber. Es muss immer für alle stimmen und es müssen immer alle dasselbe Ziel haben, dann kann es funktionieren.

Aber es braucht doch auch etwas Glück, die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt zusammenzubringen.

Man muss vor allem die Partner sorgfältig aussuchen. Aber im Nachhinein muss ich schon zugeben, dass wir mit der Auswahl auch Glück hatten. Zum Zeitpunkt der Vergabe kannten wir nur einen der drei Auftragnehmer aus eigener Erfahrung.

Wie ist Mobility International organisiert?

Wir sind zwölf Mitarbeiter, haben einen Verkauf und die Operations, die für Mobility und unsere Systemkunden die Datenbank pflegt. Es gibt die Abteilung für Softwareentwicklung und Support. Die vierte Abteilung ist für den Betrieb der Infrastruktur verantwortlich. Wir fahren einen 7x24-Stunden-Betrieb, der im Jahr höchstens 6 Stunden ausfallen darf. Das ist schon fast so hoch wie bei einer Bank. Um das gewährleisten zu können, betreiben wir zwei Datacenter. Eines davon steht bei Swisscom und eines in Luzern.

Warum betreiben Sie die Data Center selbst?

Das ist eine gute Frage. Momentan haben wir einfach Mitarbeiter, die das gut können. Wir würden jetzt kaum Kosten sparen, wenn wir die Datacenter auslagern. Zudem wollten wir während des grossen Projekts nicht noch eine strategische Frage bearbeiten. Aber, wir beobachten das.

Sind die Terminals, die Sie in Ihren Autos verwenden, auch selbst entwickelt?

Nein, die stammen von Convadis, die sie weltweit vertreibt. Sie haben ihre Produkte ursprünglich mit Mobility zusammen entwickelt. Wir sind aber nicht abhängig von einer bestimmten Hardware und haben auch schon andere Endgeräte angebunden. Es gibt aber auf unserem Markt nicht sehr viele Anbieter.

Sie bieten Ihren Kunden seit etwa zwei Jahren Apps an, über die sie unter anderem Autos reservieren können. Wie erfolgreich sind die?

Die sind sehr erfolgreich. Bis heute wurden die Apps 40 000 Mal heruntergeladen. Unterdessen laufen schon 18,3 Prozent aller Buchungen darüber, und das bei einer E-Business- Rate von 92 Prozent.

Was kann die App, was die Mobile-Website nicht kann?

Man kann sich durch Schütteln des Handys die freien Autos in der Nähe anzeigen lassen. Alles Übrige kann die Mobile-Website auch. Aber man kommt derzeit einfach nicht um Apps herum, wenn man die Smartphone- Besitzer abholen will. Das ist einerseits eine Frage der Mentalität, andererseits hängt es aber auch mit der Art des Carsharings zusammen, das angeboten werden soll. An Renault liefern wir beispielsweise das System für ein sogenanntes Free-Float-Carsharing. Dabei haben die Autos keinen festen Standort mehr und sie können ohne Reservierung genutzt werden. Solche Konzepte werden in Zukunft wichtiger und sie funktionieren nur über mobile Endgeräte, die einem zeigen, wo die nächstgelegenen freien Autos stehen.

Vor etwa zwei Jahren hat sich Mobility vorgenommen, Mobisys international als führende Branchenlösung zu etablieren. Wie weit sind Sie damit?

Mobisys 2 ist nun da und tatsächlich die modernste Lösung für das Carsharing. Damit wir sie aber rasch genug weiterentwickeln können, brauchen wir Kunden. Ein grosser Vorteil unserer Lösung ist die Mandantenfähigkeit. Damit können wir sie gut als Software- as&Service anbieten. Das passt auch zur Philosophie des Carsharing, die ja heisst, nutzen statt kaufen. Zurzeit akquirieren wir international und konnten mit Renault für das erwähnte Projekt mit 50 Elektroautos einen wichtigen ersten Kunden gewinnen. Die Verkaufsprozesse sind lang – wir hätten aber bis jetzt auch gar nicht mehr Kunden verarbeiten können. Insofern sind wir auf Kurs.

Ist es sinnvoll, ein derart kritisches und hoch verfügbares System aus der Schweiz heraus für die ganze Welt zu hosten?

Ja. Der Standort Schweiz wird international geschätzt. Voraussetzung ist natürlich, dass die lokale Daten- und Kommunikationsinfrastruktur beim Kunden zuverlässig arbeitet. Aber wenn das nicht der Fall ist, bringt auch lokales Hosting nichts.

Wer sind Ihre Konkurrenten?

Auf dem Markt werden vor allem zwei, drei deutsche Produkte und ein kanadisches angeboten.

Wer sind Ihre Kunden?

Es sind vor allem die grossen Carsharing-Unternehmen, also auch grosse Autohersteller. Dazu kommen Flottenbetreiber. Wir glauben, dass sich im Flottenmanagement künftig vieles ändern wird. Hier geht es vor allem um Flottenoptimierung, und das lässt sich mit Mobisys gut machen.

Wie gross schätzen Sie das Potenzial?

Das kann ich Ihnen auch noch nicht sagen. Für Carsharing dürfte es aber sehr gross sein. Es ist für uns momentan gar nicht so wesentlich, das genaue Potenzial zu wissen. Wir müssen ja nicht, wie ein mit 100 Millionen Risikokapital ausstaffiertes amerikanisches Start-up, zeigen, wie wir diesen Markt rasch erschliessen wollen. Wir wollen unseren Kunden solide, gute Arbeit anbieten.