Damit sich Kunden gerne selbst helfen
Selbstbedienungsangebote im Web können helfen, neue Kundensegmente zu erschliessen und den Aufwand für Beratung und Verkauf zu verringern. Damit das klappt, müssen sie aber verständlich und gut bedienbar sein – einige konkrete Tipps dazu.

Anna ist knapp über 50. Ihre Kinder sind ausgezogen, sie arbeitet wieder in ihrem Beruf. Sie hat nun keine Zeit mehr, um für Zahlungen bei der Bank vorbeizugehen. Darum eröffnete sie ein Onlinebanking-Konto bei ihrer Bank und will nun die erste Überweisung tätigen. Es geht um die Vorauszahlung für ihr Ferienhaus in der Bretagne, und die pressiert.
Sie loggt sich ein und staunt erst mal, was man da so alles machen kann. Nicht weniger als zehn Optionen findet sie im Navigationsbalken, von "Vermögen" ganz links bis zu "Hypotheken" ganz rechts. Alles ist schön bunt, und in einer Ecke blinkt: "Gewinnen Sie ein Wochenende in St. Moritz!" An fünfter Stelle von links findet sie "Zahlungen und Konten". Von dort führt ihr Weg über "Zahlungen erfassen" zu entweder "Bankzahlung Ausland" oder "Bankzahlung Europa". Sie wählt Letzteres und erhält ein Formular mit zwölf Feldern und sechs Optionsschaltern. Sie stösst auf Begriffe wie IBAN und SWIFT-BIC. Sie sieht ein Warndreieck, das ihr – Mouseover – zuruft: "Die Kontowährung entspricht nicht der Währung der Zahlung!"
Nach kurzem Stirnrunzeln beschliesst sie, das zu ignorieren und füllt Feld um Feld aus. Doch beim Dropdown-Menü "Gebühren" verlässt sie der Mut. Was soll sie wählen – "Gebührenteilung (SAN)", "Begünstigter (BEN)" oder "Auftraggeber (OUR)"? In der Rechnung des Vermieters steht nichts Hilfreiches, und sie will jetzt auf keinen Fall einen Fehler machen. Sie weiss nicht weiter und regt sich auf. Am Ende nimmt sie sich eine Stunde frei, fährt zur Bank und lässt ihren sympathischen Berater das für sie erledigen.
Das Problem
Man könnte jetzt sagen, Anna sei eben schon etwas alt, um mit dem Onlinebanking anzufangen, oder ihr Bildungsstand helfe auch nicht gerade, digitalisierte Geschäftsprozesse zu verstehen. Aber sie gehört ziemlich genau dem Teil des Nutzerpotenzials an, dem die Banken das Onlinebanking beliebt machen wollen. Also muss wohl mit dem Angebot etwas im Argen liegen. Vier Problembereiche zeichnen sich ab, an denen sich Nutzer wie Anna immer wieder aufreiben:
1. Das Angebot
Ausser an den sprachlichen Hürden scheitern viele an der schieren Menge von Optionen und Möglichkeiten, die ihnen geboten werden. Das gilt nicht nur fürs Banking, sondern auch für Onlineshops. Die Nutzer erwarten, dass sie die Funktionen, die sie gerade benötigen, auf den ersten, höchstens zweiten Blick finden. Wird bei Portalen zu viel Wert darauf gelegt, die eigenen Produkte und Dienste möglichst vollständig abzubilden, dann resultieren Benutzeroberflächen, welche die Nutzer zwar beeindrucken, aber auch überfordern. Ungenügende Benutzerführung lässt sie aufs Geratewohl herumklicken, bis sie mit ihrer Geduld am Ende sind.
2. Die Sprache
Der typische Nutzer tut sich schwer mit Fachsprache. Die einschlägigen Begriffe sind weder geläufig noch selbsterklärend. Auch der Versuch, den Nutzer mit einem ausführlichen Glossar zu unterstützen, wird meist scheitern. Wer seine Geschäfte online erledigt, will unter anderem Zeit sparen und nicht Wörtchen lernen.
Verständlichkeit ist entscheidend. Das zeigt auch eine Studie von Exameo, die letztes Jahr in Deutschland durchgeführt wurde: Dort gaben über 60 Prozent der Befragten an, ein Versicherungs- oder Bankprodukt nicht gekauft zu haben, weil die Beschreibung oder der Vertrag unverständlich war.
3. Die Nutzerbedürfnisse
Ein häufiger Fehler bei technikgetriebenen Projekten ist die mangelnde Orientierung an Nutzerbedürfnissen. Dies führt oft zu Navigationen, die sich an den internen Strukturen und Abläufen der Firma orientieren. Typische Vertreter sind hier viele Websites von Stadt- oder Kantonsverwaltungen. Dort bilden die Departementsnamen die Hauptnavigation. Wer die zuständige Stelle für Wanderwege sucht, braucht entweder eine Vorstellung davon, wie die internen Abläufe aussehen, oder er fängt an, herumzuklicken, versucht es über die Volltextsuche und gibt nach fünf Minuten auf.
4. Die Unsicherheit
Einer der wesentlichen Gründe für den Absprung von Nutzern ist die Angst davor, etwas Falsches zu tun. Viele fürchten schlicht die Konsequenzen des nächsten Klicks. Das Problem dabei ist, dass sie nicht wissen, ob sie sich richtig entschieden und alles richtig verstanden haben. Dieses Phänomen ist typisch für Interaktionen zwischen Mensch und Maschine, egal ob on- oder offline. Wer sich nicht sicher ist, bricht die Transaktion ab und wechselt dann gerne das Medium. Er ruft also den Kundendienst an, um sich dort zu versichern, dass er keinen Fehler macht, wenn er die Bestellung abschickt. Andere werden, wie Anna, in ihre früheren Muster zurückfallen und den Weg zum Berater antreten. Den kennen sie seit Jahren und glauben, ihn einschätzen zu können. Und vor allem: Ihn können sie beliebig mit Fragen löchern.
Die Konsequenzen
1. Was anbieten?
Nehmen Sie sich die nötige Zeit, um Ihr Selfcare-Angebot so zu gestalten, dass es den Bedürfnissen Ihrer Zielgruppe und Ihrer Strategie entspricht. Hier hilft es, im Laufe des Projekts an jedem Meilenstein wieder zu fragen: "Worum geht es eigentlich, und was wollen wir am Ende erreichen?" An diesen Fragen müssen sich die Lösungen jederzeit messen lassen.
Ist es sinnvoll, das ganze Unternehmen im Portal abzubilden? Oder sollen nur die Produkte und Funktionen eingebaut werden, die es braucht, um das strategische Ziel zu erreichen? Die Antworten auf solche Fragen hängen nicht nur von der verwendeten Technik ab, sondern auch von den Erfahrungen an der Front. Hier können Kundendienst und der Verkauf helfen, weil man dort am besten weiss, was die Kundschaft umtreibt. Diese Abteilungen können wertvolle Beiträge leisten, wenn es darum geht, die Bedienoberfläche nutzergerecht zu gestalten.
2. Wie kommunizieren?
Die Nutzer mit Fachbegriffen zu beeindrucken, funktioniert beim Selfcare-Angebot nicht. Es kann helfen, einen Musterkunden zu kreieren. Fragen Sie sich, welche Sprache er spricht, welche er versteht. Daraus lässt sich dann etwa eine schwarze Liste mit Fachbegriffen anlegen, die vermieden werden sollen. Selbstverständlich gilt bei Selfcare alles, was auch sonst zur Verständlichkeit beiträgt: kurze, einfache Sätze, aktiv formulieren, die Nutzer ansprechen (siehe Artikel "Plötzlich diese Übersicht", Netzwoche 12/2014).
3. Wie präsentieren?
Auch wenn es einigen am Projekt Beteiligten gegen den Strich geht: Die Innensicht des Unternehmens hat auf einem Selfcare-Portal nichts zu suchen. Nutzer sollen nicht dazu genötigt werden, sich in Abläufe und Strukturen der Firma hineinzudenken. Selfcare funktioniert nur richtig, wenn es aus der Sicht der Nutzer aufgebaut wird. Sie wollen so geführt werden, dass sie schnell den Einstieg in die Prozesse finden, die ihnen weiterhelfen. Sie wollen jederzeit wissen, wo sie sich befinden, und ungefähr erahnen können, was als nächster Schritt folgt.
Der gemeine Kunde hätte nämlich am liebsten, wenn eine Transaktion immer und überall gleich abläuft, egal, ob er ein SBB-Billett, ein Parfum oder ein Börsenprodukt kauft. Voraussehbarkeit ist Trumpf. Das bedeutet, dass es schwierig ist, ganz neue Interaktionskonzepte zu entwickeln. Die Erfolgschancen steigen drastisch, wenn die Benutzer in den Entwicklungsprozess einbezogen werden.
4. Vertrauen bilden
Beim Aufbau von Selfcare-Angeboten geht es darum, einen guten Berater durch eine Maschine zu ersetzen. Wie schafft man hier Vertrauen? Wie verlagert man menschliche Kommunikation in einen linearen, strukturierten Prozess? Ein Mensch gibt im persönlichen Gespräch tausende nonverbale Signale von sich, die technisch nicht nachzubilden sind.
Wichtig ist, transparent, nachvollziehbar und nachprüfbar zu sein. Im Gegensatz zur Flüchtigkeit eines Gesprächs bietet ein digitaler Prozess dem Nutzer aber die Möglichkeit, ohne Zeitdruck zu überprüfen, ob das, was er gerade tut, das Richtige ist. Ein gutes Beispiel hierfür sind die "Zurück"-Funktionen in mehrstufigen Transaktionen. Bewährt hat sich auch, die Nutzer kurz und klar darüber zu informieren, was die Konsequenzen sind, wenn er jetzt auf diese Schaltfläche klickt. Darüber hinaus sollen die Nutzer belohnt werden, wenn sie etwas richtig gemacht haben, und zwar laufend, in vielen kleinen Dosen.
Schliesslich gilt es, den Nutzern zu vermitteln, dass sie nicht allein für den Abschluss des Prozesses verantwortlich sind. Sie sollen sich betreut fühlen und verstehen: Auch dem Anbieter liegt daran, dass die Transaktion zu aller Zufriedenheit abgeschlossen wird. Falls doch einmal etwas schiefgehen sollte, gibt es einen Ansprechpartner aus Fleisch und Blut. Der wird über geeignete Kanäle erreichbar sein und helfen, eine Lösung zu finden.
Kurz: Als Anbieter von Online-Selfcare kann man zwar viel Arbeit auf die Kunden abwälzen – die Verantwortung für die Transaktion und die Verständlichkeit des Prozesses aber nicht.

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