Human Computation

"Wir orchestrieren die Crowd"

Uhr | Aktualisiert
von George Sarpong

Einen Roman in vier Stunden übersetzen. Das schafft das Start-up Kunendo. Wie das Jungunternehmen die Crowd hierfür koordiniert und welchen Impact dies auf Arbeitsprozesse haben kann, erklärt IT-Wissenschaftler Abraham Bernstein.

Abraham Bernstein, Leiter Institut für Informatik, Universität Zürich. (Quelle: Universität Zürich)
Abraham Bernstein, Leiter Institut für Informatik, Universität Zürich. (Quelle: Universität Zürich)

Ein aktuelles Forschungsgebiet der Universität Zürich ist Human Computation. Worum geht es dabei genau?

Human Computation nutzt zwei grundsätzliche Trends: zum einen den massiven Verfall der Kommunikationskosten. Dieser erlaubt es uns heute, Teams mit hunderten von Leuten aufzustellen. Diese Arbeitsgruppen können sehr schnell aufgebaut und wieder getrennt werden. Zum zweiten gibt es Aufgaben die Menschen besser lösen als Computer. Bis kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs wurden Menschen als "Computer" bezeichnet, die gut rechnen konnten. Digitale Computer sind eher etwas Neues. Jetzt stellt sich die Frage, wie man diese Entwicklungen nutzen und Aufgaben über das Web an andere Menschen auslagern kann. Kann ich in einer kurzen Frist Leute zusammenbringen, die mir eine Aufgabe erledigen?

Mit dieser Methode haben Sie bereits ein Buch übersetzt. Wie lange haben Sie dafür gebraucht?

In einem Testlauf haben wir innerhalb von vier Stunden einen Roman von John Grisham übersetzt. Die Übersetzung würde nicht als Literatur durchgehen, war aber durchaus sehr brauchbar. Eine Übersetzung durch ein professionelles Übersetzerbüro hätte wohl Wochen benötigt und wäre viel teurer. Diese massive Zeitersparnis eröffnet neue Möglichkeiten. Wenn ich etwa ein technisches Handbuch aus dem Chinesischen dringend auf Deutsch übersetzt haben muss, kann ich das mit Hilfe der Crowd innerhalb von Stunden erledigen. Wir hatten innerhalb kurzer Zeit viele Anfragen für Übersetzungsdienste. Deshalb gründete ich zusammen mit meinem Doktorand Patrick Minder und meinem Masterstudenten Damian Schärli die Firma Kunendo, um die Forschung auch wirtschaftlich weiterzuentwickeln.

Was sind das für Texte, die sie für Ihre Kunden übersetzen?

Die Texte sind ganz verschieden. Sie reichen von Meldungen für die interne und externe Kommunikation von Unternehmen bis hin zu Handbüchern.

Kunendo erinnert an den Mechanical Turk von Amazon. Wie unterscheidet sich Kunendo davon?

Amazon ermöglicht das Outsourcing vieler kleiner Aufgaben. Bei Kunendo lagern wir nicht einfach Aufgaben aus. Wir orchestrieren hingegen die Tätigkeiten und jene, die diese Aufgaben erledigen. Welche Aufgaben vergeben werden und wer für die jeweiligen Teilaufgaben dafür in Frage kommt, erfordert eine komplexe Vorarbeit. Wir orchestrieren die Crowd, um ein höherwertiges Produkt zu schaffen.

Wie koordiniert man so viele Menschen?

Zunächst muss man herausfinden, welcher Mitarbeiter welchen Job am besten machen kann. Ein Doktorand von uns erforscht etwa, ob man aufgrund des Verhaltens feststellen kann, welche kognitiven Fähigkeiten eine Person hat. Anstatt eines Intelligenztests führen Probanden eine konkrete Aufgaben durch, welche wir dann mit den kognitiven Fähigkeiten korrelieren.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Tests?

Das Verhalten, das die Probanden zeigen, soll uns helfen, künftig vorherzusagen, worin bestimmte Menschen gut und worin sie weniger gut sind. Wir sprechen dabei von der kognitiven Diversität. Es gibt aber noch andere Diversitäten, etwa die motivationelle Diversität. Menschen arbeiten aufgrund verschiedener Motive. Das kann Geld sein, eine intrinsische Motivation oder es kann auch ein Side-Effect sein. Wenn Sie beispielsweise ein auf einer Website ein Captcha ausfüllen, erledigen sie im Prinzip OCR-Texterkennung für Google. Das ist ebenfalls eine Art von Human Computation. Eine weitere Diversität ist die Fehleranfälligkeit von Menschen. Alle haben ihre Schwächen und Stärken. Deshalb ist es wichtig gemischte Teams zusammenzustellen. Für uns geht es darum, die Menschen ideal zusammenarbeiten zu lassen. Auf diese Weise wollen wir höherwertige Produkte schaffen. Hierfür forschen wir an Algorithmen, um die Teams ideal zu kombinieren.

Bei ihrem Ansatz steht der Mensch im Zentrum. Der Trend geht aber dahin, den Faktor Mensch zu reduzieren und die Maschinen in den Vordergrund treten zu lassen und diese zu verbessern.

Das ist so, etwa bei der künstlichen Intelligenz. Aber ich finde die Probleme am spannendsten bei denen die Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen verbessert werden kann. Ich hoffe, dass wir Menschen in der Gesellschaft noch lange eine Rolle spielen werden. Auch wenn mir klar ist, dass wir einige Arbeiten in 20 Jahren von Maschinen erledigen lassen. Es geht heute darum zu schauen, dass wir KIs so bauen, dass sie menschenfreundlich bleiben. Da bewegen wir uns in ethischen Bereichen.

Ist es überhaupt Aufgabe von Informatikern sich mit diesen Diskussionen zu befassen? Das ist doch eher eine Arbeit für Philosophen und Ehtiker.

Genauso wie es die Aufgabe eines Mediziners ist, sich Gedanken machen über das Heilen zu machen, ist es eine Aufgabe des Informatikers sich Gedanken über die Folgen seines Handelns zu machen. Ich finde es zu einfach zu sagen, ich bin ja nur Ingenieur. Das wäre sich aus der Verantwortung gestohlen. Alles was ich mache hat ethische Konsequenzen. Deshalb hat die Schweizer Informatikgesellschaft vor vielen Jahren Ethikrichtlinien für Informatiker herausgegeben. Die Datenschutzdebatte beispielsweise ist keine rein technische, sie ist auch eine ethische und gesellschaftliche Diskussion. Es ist auch die Aufgabe von Wissenschaftlern das Wissen für eine gesellschaftliche Debatte zu schaffen. Das muss ich auch meinen Studierenden vermitteln. Es ist meine Aufgabe als Professor und Wissenschaftler der nächsten Generation das kritische Denken zu vermitteln und dazu gehört auch die Reflexion über das eigene Handeln.

Was sind die weiteren Pläne für Kunendo?

Bei Kunendo arbeiten wir aktuell mit den unterschiedlichsten Unternehmen zusammen, welche der Einsatz von Crowdtechnologien prüfen. Dabei behandeln wir Themenbereiche wie Übersetzung, Social Media Monitoring oder Robo-Advice. Ziel ist es sicherlich, bis Mitte 2016 über eine Crowd von rund 1000 Freelancern zu verfügen und mindestens 10 Kunden im In- und Ausland zu beliefern. Zusätzlich haben wir uns zum Ziel gesetzt, nicht nur Kosteneinsparungen bei unseren Kunden zu ermöglichen, sondern auch neue Arbeitsmodelle zu etablieren.