Nachgefragt

«Für Ökonomen dürfte die Crowd überhaupt nicht existieren»

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von George Sarpong

Wie wird Arbeit im Jahr 2020 aussehen? Dieser Frage geht Jan-Marco Leimeister von der Universität St. Gallen nach. An den Ittinger Mediengesprächen von IBM präsentierte er Ergebnisse seiner Forschung zum Crowdworking. Ein Modell, das auch für kleinere und mittlere Unternehmen attraktiver wird.

Jan-Marco Leimeister, Universität St. Gallen. (Quelle: Universität St. Gallen)
Jan-Marco Leimeister, Universität St. Gallen. (Quelle: Universität St. Gallen)

Unter dem Motto "die digitale Revolution mischt die Karten neu" hat IBM Schweiz im September Medienvertreter mit Exponenten aus Technologie und Forschung im Kloster Ittingen zusammengeführt. Diskutiert wurden Technologietrends, welche die Gesellschaft und die Arbeit durcheinanderwirbeln und neu zusammensetzen werden. Eines der Highlights war der Vortrag von Jan-Marco Leimeister, Lehrstuhlinhaber und Direktor an der Universität St. Gallen. Leimeister beschäftigt sich mit neuen Formen digitaler Arbeit wie Crowdsourcing und Crowdwork. Ein Thema, das etwa in der Softwareentwicklung bereits Anwendung findet.

Der Begriff Crowdsourcing wurde 2006 von Jeff How, damals Chefredaktor des Wired-Magazines, geprägt. How kombinierte die Wörter Crowd (Menschenmenge) und Outsourcing. Das Thema ist dennoch neu, sodass Leimeister die Begrifflichkeiten erklären musste. So ist Crowdsourcing nicht einfach eine Art von Outsourcing. Crowdsourcing kann in die Unterthemen Crowdfunding, Crowdworking und Crowdinnovation getrennt werden. Und dennoch vereint sie, dass viele Menschen zusammen für eine grös­sere Sache arbeiten. "Für Ökonomen ist die Crowd etwas, das nach der klassischen Wirtschaftslehre nicht existieren dürfte", sagte Leimeister. Dennoch treibt dieser beinahe kommunistische Ansatz momentan auch auf Rendite fokussierte Unternehmen um.

Zukunft der digitalen Arbeit

Die Möglichkeiten des Crowdsourcing klingen verlockend: Eine grosse Menge an Menschen arbeitet mit Feuereifer an einem Projekt mit und bewältigt eine Aufgabe in Rekordzeit. Leimeister verwies auf die Forschung seines Kollegen Abraham Bernstein von der Universität Zürich (siehe Interview "Wir orchestrieren die Crowd, um ein höherwertiges Produkt zu schaffen", Webcode: 4376). Dieser zeigte anhand eines Experiments die Vorteile der Crowd-Arbeit auf. In Rekordzeit übersetzte seine Crowd ein Buch. Nun entwickelt eine Arbeitsgruppe die Idee mit dem Start-up Kunendo weiter.

Crowdsourcing kann aber nur eine Ergänzung zu bestehenden Arbeitsformen sein und kein Ersatz, betonte Leimeister. Ausserdem sei aus gut 20 Studien ersichtlich, dass es bisher keine Verdrängung von Arbeitsplätzen gab. Es sei auch nicht das Ziel von Unternehmen, alle Arbeitsplätze durch Crowdsourcing zu ersetzen. "Firmen kommen nicht wegen einer Rationalisierung auf uns zu. Sie wollen schneller, flexibler, besser werden, da sich der Markt sehr schnell bewegt", sagte Leimeister.

Crowdworker sind auch nicht immer günstig. Die Universität St. Gallen hat 900 Crowdworker in der Anwendungsentwicklung nach ihrem Stundenlohn befragt. Dieser lag zwischen 10 und 90 Euro. Im Mittel verdienten die Tester 33 pro Stunde. Gute Leute, die sich etwa im Softwaretesting auf einen Aspekt spezialisiert haben, können allerdings sehr hohe Summen fordern.

Die Zukunft gehört dem Crowd-Aggregator

Was verändert sich bei Unternehmen, die mit diesen neuen Arbeitsformen experimentieren? "Vereinfacht gesagt, funktioniert alles, was wir über Managementprozesse wussten, nicht mehr", sagte Leimeister. Crowd-Arbeit erfordere andere Mechanismen der Arbeitsorganisation. Eine Abhilfe könnten sogenannte Crowd-Aggregatoren sein: Als Agenturen auftretende Crowdworker, welche die Arbeit nachher an ihre Leute verteilen. Dies zeige, wie hoch das Potenzial der Wertschöpfung über Crowdworking in Zukunft sein könnte, betonte Leimeister.

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