Focus on Future

"Sie müssen in den Kannibalen, der Sie verzehrt, investieren"

Uhr | Aktualisiert
von George Sarpong

Der jüngste Event aus der Reihe Focus on Future bot Stoff für reichlich Diskussionen. Wie kann unsere Wirtschaft mit den Firmen aus dem Silicon Valley Schritt halten? Mit mehr Wagniskapital jedenfalls nicht.

Christoph Keese vom Axel-Springer-Verlag hat am jüngsten Event aus der Reihe Focus on Future von seinen Erfahrungen aus dem Silicon Valley berichtet. Rund 50 Gäste besuchten die Veranstaltung in der Villa Boveri in Baden. (Quelle: Netzmdedien)
Christoph Keese vom Axel-Springer-Verlag hat am jüngsten Event aus der Reihe Focus on Future von seinen Erfahrungen aus dem Silicon Valley berichtet. Rund 50 Gäste besuchten die Veranstaltung in der Villa Boveri in Baden. (Quelle: Netzmdedien)

In der Villa Boveri hat KMU-Mentor seinen jüngsten Event aus der Reihe Focus on Future veranstaltet. Rund 50 Gäste folgten dem Referat von Verlagsmanager Christoph Keese, der sich im Hause Axel Springer mit neuen digitalen Geschäftsfeldern beschäftigt und seinen Erfahrungsschatz teilte.

Der Axel-Springer-Verlag musste vor einigen Jahren mitansehen, wie ihnen ein 1997 gegründetes Jungunternehmen das Kerngeschäft mit dem Anzeigenverkauf kaputtmachte. Alle deutschen Verlage zusammen verdienten zuletzt 350 Millionen Euro mit der Onlinevermarktung von Werbung, Google im gleichen Zeitraum 4 Milliarden US-Dollar, wie Keese die Folgen von Googles Erfolg verdeutlichte. Springer hatte, wie andere Medien auch, Google unterschätzt. Ein Problem, das Wirtschaftsjournalisten hierzulande immer noch hätten, da sie die Mechanismen der Webkonzerne nicht verstünden. Keese verdeutlichte seine These am Beispiel von Amazon. Seit Jahren lese man, dass der Onlinehändler keinen Gewinn erwirtschafte. Dies sei aber auch nicht das Ziel von Amazon und anderer Unternehmen im Valley. Sie wollen wachsen. Die Investoren wüssten das und deshalb kletterten die Aktienkurse der Web- und Technologiekonzerne weiter. "Hätten Wirtschaftsjournalisten ihren Lesern vor 15 Jahren empfohlen, Amazon-Aktien zu kaufen, so wären diese Leser heute reich", sagte Keese.

Man muss ins Valley gehen, um die Mechanismen zu verstehen

Um zu verstehen, wie diese neuen Unternehmen funktionieren, entsandte Springer deshalb eine Gruppe von Managern ins Silicon Valley. Denn wenn man ein Konkurrenzprodukt zu einer Lösung aus dem Silicon Valley entwickelt, wird das eigene Produkt ein halbes Jahr später auf dem Markt sein und 10 Prozent schlechter, sagte Keese.

Zu viert waren Keese und seine drei Mitstreiter, unter anderem Bild-Chefredaktor Kai Diekmann, ins Valley gereist. Voller Enthusiasmus und Hoffnungen wollten sie das neueste aus dem Valley aufsaugen und mit nach Deutschland nehmen. Nur wie? Im Valley bekommt man nicht einfach einen Termin. Weder per E-Mail und schon gar nicht über das Telefon. Anrufe würden von einem Robot entgegen genommen und als E-Mail übersetzt – eine Sackgasse.

Die Tür in den Club von Investoren, Ingenieuren und Interessierten öffne sich nur über persönliche Beziehungen, sagte Keese. Und diese lassen sich am besten an Events knüpfen. Also veranstaltete das Quartett eine Gartenparty und lud die Nachbarn ein. Schon kam man mit Investoren ins Gespräch. Diese wiederum gaben die Kontakte der Springer-Leute weiter an interessante Kontakte. Diese meldeten sich prompt. Das schreibt die Etikette im Valley vor. Der Druck sich auszutauschen geht sogar soweit, dass sich Unternehmer treffen, um beim Mittagessen über ihre Problem zu sprechen. Kaum denkbar für Schweizer IT-Unternehmer, wie den Gesprächen der Besucher nach dem Referat zu entnehmen war.

Plattform und Disruption

Das Silicon Valley fasziniert und schürt Ängste. Besonders die Begriffe Disruption und Plattform zeichnen den Unternehmern im deutschsprachigen Raum die Sorgenfalten auf die Stirn. Viele wüssten nicht, was Disruption eigentlich bedeutet, sagte Keese. So war die Markteinführung der CD keine Disruption, sondern eine geschäftserhaltende Innovation. Denn auch für die Produktion, Distribution und Vermarktung wurden die gleichen Mittel eingesetzt. Dafür sei Spotify ein disruptives Angebot. Denn die alten Wertschöpfungsketten würden mit dem Streamingdienst umgangen, erklärte Keese.

Der zweite Trend aus dem Silicon Valley ist die Plattform-Wirtschaft. "Das iPhone ist kein Telefon, es ist eine Plattform", sagte Keese. Denn Apple verbindet die Anbieter und Nachfrager, etwa im Musikgeschäft. Apple kennt beide Seiten und das macht das Unternehmen als Plattformbetreiber mächtig. Nachdem der Konzern grosse Labels und Musiker auf seine Plattform gezogen hatte, begann er die die Konditionen zu seinen Gunsten zu ändern. Gleiches versuche Amazon. Das Vorgehen sei stets das gleiche. Die Plattformbetreiber wollen zwei Drittel des Marktes bedienen. Die Ware muss zudem digitalisiert und standardisiert werden können. Produkte sollen zur einfachen Massenware werden. Auf diese Weise liessen sich Preise drastisch reduzieren und nach einem Richtpreis, wie beim Gold, transparent handeln.

Investoren interessiert an Zerstörung

Es scheint, als würde im Valley insbesondere in zerstörerische Start-ups investiert. Wer eine Lösung entwickeln möchte, die das Geschäft der UBS erleichtern könnte, dürfte mit leeren Händen dastehen, sagte Keese und fügte an: "Wenn ich eine Lösung entwickeln will, die das Geschäft der UBS zerstört, so werde ich auch Geld von Investoren bekommen." Dahinter steckt aber zunächst keine böswillige Absicht, als viel mehr die Erwartungshaltung der Financiers, die gewaltige Investitionen wieder hereinholen wollen oder müssen. Oft investieren US-Versicherer und Pensionsfonds in Start-ups in der Hoffnung auf hohe Renditen.

Risikokapital spielt eine gewaltige Rolle im Silicon Valley. Die Gegend ist kleiner als Berlin und theoretisch das fünftreichste Land der Welt. "Wagniskapital ist das Kerosin der Unternehmen im Valley", brachte es Keese auf den Punkt. Während in den USA im vergangenen Jahr 45 Milliarden US-Dollar an Risikokapital investiert worden seien, kam der deutsche Markt auf gut eine Milliarde Euro. Ob denn Europas Wirtschaft den Disruptionen aus dem Valley mit hohen Investitionen entgegensteuern könnte, wollte ein Besucher von Keese wissen. Nein, lautete Keeses klare Antwort. Denn mehr Geld würde lediglich zu einer Wirtschaftsblase in Europa führen. "Es gibt nicht genügend gute Start-ups in Europa", argumentierte Keese.

Auf die eigenen Stärken setzen

Eigentlich musste Keese nach seinem Referat direkt wieder los. Die Frage-Antwort-Runde sollte entsprechend kurz ausfallen. Stattdessen verwickelten die Gäste Keese in eine Diskussion. Man spürte, dass die angesprochenen Themen die Zuhörer beschäftigten. Obwohl Keese auf den Flieger musste, beantwortete er auch die letzte Frage: Was können Schweizer Firmen gegen die Disruption unternehmen? Disruption könne man nicht selbst entwickeln, sagte Keese. Das liege an der Betriebsblindheit, die in Unternehmen automatisch um sich greife. Alle disruptiven Produkte stammten deshalb von branchenfremden Anbietern. Google wirbelte als Werbevermarkter die Medienbranche durcheinander oder Apple als Handy-Anbieter die angestammten Anbieter wie Nokia, Siemens und Ericsson. Bei Axel Springer erwartet man daher viel erhaltende Innovation von innen.

Disruption müsse man hingegen draussen zukaufen. Oder in den Worten von Keese: "Sie müssen sich an dem Kannibalen, der sie verzehrt, finanziell beteiligen." Ausserdem könnten Unternehmen einen eigenen Weg gehen. Im DACH-Raum läge die Stärke der Firmen im Manufaktur-Ansatz. Unternehmen könnten massgeschneiderte Lösungen anbieten, kombiniert mit hoher Qualität. Hochwertigkeit sei eine Stärke des deutschsprachigen Wirtschaftsraums. "Der Tesla ist eine Klapperkiste", sagte Keese. Daher sei das vorhandene Qualitätsdenken, kombiniert mit dem Plattformansatz, den auch Tesla verfolgt, eine mögliche Antwort auf die Herausforderung aus dem Silicon Valley.

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