Digitale Zwillinge von Organisationen: Schlüssel zur datengetriebenen Transformation
Digitale Zwillinge von Organisationen (DTO) revolutionieren die Prozessgestaltung: Sie ermöglichen ein Echtzeitbild der Customer Journey, integrieren strukturierte und unstrukturierte Daten und gelten als Schlüsseltechnologie für die datengetriebene Transformation von Unternehmen.



Der Erfolg von Unternehmen beruht heute nicht mehr nur allein auf klar strukturierten und effizienten Geschäftsprozessen. Vielmehr erfordert das aktuelle Umfeld eine dynamische Prozessgestaltung, die anpassungsfähig und flexibel ist, um jeden Kunden individuell anzusprechen und zu betreuen. Service-Organisationen müssen sich intensiv mit der Customer Journey ihrer Kunden auseinandersetzen. Analytische Datenverarbeitung, ergänzt um das Wissen menschlicher Experten, spielt dabei eine Schlüsselrolle, während traditionelle, eher statisch ausgerichtete Prozessmodelle an ihre Grenzen stossen.
Eine wachsende Bedeutung kommt in diesem Zug dem Management wissensintensiver und schwach strukturierter Prozesse zu, welche u.a. in Marketing und Vertrieb oder der strategischen Unternehmensführung zu finden sind. Hier müssen bislang Entscheidungen oftmals ad hoc, auf Basis unvollständiger Informationen getroffen werden, weil eine individuell abgestimmte IT-Unterstützung fehlt.
Zwar sind die Anforderungen solcher Prozesse seit mehr als 20 Jahren bekannt, allerdings stehen erst heute geeignete digitale Technologien zur Verfügung, um Lösungen für die beschriebenen Herausforderungen bereitzustellen. So hat Gartner 2018 das Konzept des digitalen Zwillings einer Organisation (DTO) geprägt. Hierbei bilden die Konzepte des "Digital Twins" (DT) in der Fertigung die Grundlage für den DTO. Während der DT als Begriff hauptsächlich für physische Objekte, wie Maschinen oder Anlagen, verwendet wird, überträgt der DTO die Idee des digitalen Zwillings auf Prozesse und ganze Organisationen. Wie der digitale Zwilling in der Fertigung soll auch der DTO als eindeutiger Datenbezugspunkt für Prozesse dienen, ein umfassendes Echtzeitbild der Organisation erzeugen und somit die Grundlage für umfangreiche Prozesssimulation liefern. Eine zusätzliche, zentrale Eigenschaft des DTO ist die Integration strukturierter und unstrukturierter Daten. Damit durchbricht der DTO die Limitationen klassischer BI-Lösungen und ist in der Lage, beispielsweise auch Textinformationen aus Kundenanfragen oder Nachrichtenmeldungen aus dem Kundenumfeld für die Analyse zu berücksichtigen.
DTO konkret – ein Umsetzungsbeispiel
Eine konkrete prototypische Umsetzung des DTO für den Customer-Journey-Prozess, also den Weg, den ein potenzieller Kunde durchläuft, bevor er sich für den Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung entscheidet, zeigt die Abbildung. Dort sind, geordnet nach den Phasen der Customer Journey: Interesse -> Potential -> Angebot -> Auftrag (mit Status "gewonnen" bzw. "verloren"), die relevanten Informationsobjekte aus dem CRM-System angeordnet. Im Beispiel sind dies Notizen, Aufgaben und Emails. Über die Auswahl einer Pfeilverbindung aus dem Netzwerk lassen sich einzelne Abschnitte der Customer Journey filtern und näher analysieren. Neben den Texten aus den selektierten CRM-Objekten werden in dem Prototyp zusätzlich auch spezifische Informationen zu Firmenprofil sowie Nachrichten aus dem Unternehmensumfeld über "Named Entity Recognition" (NER) referenziert. Mit NER werden im Prototyp anhand des Firmennamens als Schlüsselinformation unterschiedliche Datensätze miteinander verknüpft.
Eine prototypische Umsetzung des DTO für den Customer-Journey-Prozess. (Source: Ostschweizer Fachhochschule)
Die erhaltene Datenbasis aus internen und externen Textinformationen kann dann über einen GPT-basierten Chatbot analysiert werden. So lassen sich relevante Firmenmerkmale eines Interessenten im Hinblick auf ein offeriertes Produkt oder eine Dienstleistung herausarbeiten oder auch Argumente für das Gespräch am nächsten Kontaktpunkt vorschlagen.
DTO-Architektur: Verknüpfung strukturierter und unstrukturierter Daten
Die Stärke des DTO beruht auf der Tatsache, dass er in hohem Masse informationsbasiert, echtzeitfähig und visualisierungsorientiert ist. Eine graphische, auf einer gemeinsamen Datenbasis beruhende Darstellung bildet den jeweils aktuellen Stand der Customer Journey in Echtzeit ab. Aus dieser Darstellung lassen sich rollen- und problemspezifisch einzelne Sichten extrahieren. Isolierte Dashboard-Auswertungen, die in vielen Unternehmen regelmässig Anlass zu Nachfragen und Diskussionen geben, werden damit abgelöst. Den Kern des DTO bildet eine Insight Engine, die für das Mining und die Strukturierung von textbasierten Inhalten konzipiert ist.
Die Hauptaufgaben dieser Engine bestehen in der Auswahl geeigneter Schlüsselwörter und der Definition geeigneter Pipelines, um Informationsobjekte wie Dokumente und Nachrichten den Konzepten in einem Wissensgraphen zuzuordnen. Die Technologie von Enterprise Knowledge Graphs, gekoppelt mit maschinellem Lernen, hat erhebliche Fortschritte gemacht, wodurch sie sich für die Analyse und Auswertung textueller Informationen mit ihrer Heterogenität und Komplexität empfiehlt. Die Erfahrungen mit dem Prototypen zeigen, dass der DTO in der Praxis seine Stärke gerade bei aufwändigen, mehrstufigen Analysen und auch bei der Unterstützung neuer, noch wenig erfahrener Mitarbeitenden ausspielen kann.
Umsetzungsstand in der Praxis
Wie sieht nun der aktuelle Umsetzungsstand des DTO-Konzeptes in Schweizer Unternehmen aus? Eine von uns im Spätsommer 2024 durchgeführte Studie zeigt folgendes Bild:
Obwohl das Potenzial des DTO-Konzepts von der Mehrheit der befragten Experten als hoch eingeschätzt wird, ist der Bekanntheitsgrad in der Praxis noch gering: Über 80 Prozent der Befragten sind nur teilweise oder gar nicht mit dem Konzept vertraut. In mehr als der Hälfte der Unternehmen fehlt zudem die Unterstützung durch das Top-Management, obwohl über 80 Prozent der Experten dem DTO eine steigende oder stark steigende Bedeutung für die Zukunft zuschreiben. Der aktuelle Umsetzungsstand in den Unternehmen lässt sich so zusammenfassen:
- Der Einsatz von DTOs befindet sich überwiegend in frühen Phasen: Nur wenige Unternehmen verfügen über umfassend implementierte DTO-Lösungen.
- Die Bereitstellung und Visualisierung von DTO-Informationen erfolgt meist noch punktuell und ist selten vollständig integriert.
- Besonders grössere Unternehmen (über 1000 Mitarbeitende) und Organisationen aus den Bereichen IT, Beratung, Finanzdienstleistungen und öffentliche Verwaltung sind Vorreiter bei der DTO-Einführung.
Als grösste Hürden bei der Umsetzung werden derzeit fehlende Datenqualität und mangelnde Datenstandardisierung genannt, zusammen mit Herausforderungen bei der Integration heterogener Datenquellen und der Automatisierung von Datenaktualisierungen. Während letzteres sich technologisch mit den Funktionalitäten einer Insight Engine lösen lässt, bedarf ersteres der Verankerung einer starken Stammdaten-Governance. In Unternehmen wird diese jedoch oftmals nur als Kostenfaktor betrachtet. Auf Basis der Studienergebnisse ist davon auszugehen, dass die künftige Entwicklung des DTO von vier Faktoren geprägt sein wird:
- Die Bedeutung von DTOs wird in den kommenden Jahren weiter steigen, insbesondere durch die zunehmende Verfügbarkeit von Echtzeitdaten und den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Analyse und Simulation.
- DTOs werden künftig verstärkt als Plattform für die Integration interner und externer Daten dienen und so die Grundlage für datengetriebene Geschäftsmodelle und innovative Services schaffen.
- Die Automatisierung der Datenpflege und die Entwicklung von Standards für den DTO-Einsatz werden entscheidend sein, um die Skalierbarkeit und Verlässlichkeit im Alltagseinsatz zu gewährleisten.
- Regulatorische Anforderungen und Datenschutz werden zunehmend eine zentrale Rolle spielen und die Ausgestaltung von DTO-Lösungen massgeblich beeinflussen.
Aus den Erfahrungen des Prototyps und den Studienergebnissen lässt sich abschliessend folgendes Fazit ziehen:
Das DTO-Konzept steht zwar noch am Anfang seiner Verbreitung, wird aber als Schlüsseltechnologie für die digitale Transformation von Unternehmen gesehen. Die Ergebnisse der Studie empfehlen, dass Unternehmen und Organisationen den DTO frühzeitig in ihre strategische Agenda integrieren, die Qualität der vorhandenen Datenbasis systematisch verbessern und die Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen und IT intensivieren. Unternehmen, die frühzeitig in DTO-Initiativen investieren, können sich entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern und sind besser auf die Herausforderungen der digitalen Zukunft vorbereitet.

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