Wild Card

Der perfekte Schlag

Uhr | Aktualisiert
von Patrick Püntener

Ruderer und Golfer haben etwas gemeinsam: Das ewige Streben nach dem perfekten Schlag. Perfektion zu erfahren ist ein schönes Erlebnis – wenn sie sich denn als solche zu erkennen gibt.

Patrick Püntener, Mitgründer und Mitglied der Geschäftsleitung bei Colygon. (Quelle: Patrick Püntener)
Patrick Püntener, Mitgründer und Mitglied der Geschäftsleitung bei Colygon. (Quelle: Patrick Püntener)

Startposition: Oberkörper in Vorlageposition, Unterschenkel annähernd senkrecht. Weites Öffnen der Arme. Catch! Wasserfassen. Durchzug: zügiges Öffnen des Knie- und Hüftwinkels, Armbeugung kurz bevor die Hände die Knie passieren. Fixieren des Oberkörpers in 120 Grad Rücklage, die Hände hart zur Brust. Finish! Abheben und anschlies­sendes Flachdrehen der Blätter eine Blattbreite über dem Wasser. Slide: Anrollen, Vorrollen und weiches Abbremsen zurück in die Startposition. Und wieder von vorne.

Ruderer und Golfer haben etwas gemeinsam: Das ewige Streben nach dem perfekten Schlag. Während der Golfer seit über 500 Jahren daran arbeitet und mögliche Abzüge an den Stilnoten hauptsächlich dem eigenen Unvermögen zuschreiben muss, wird die augenscheinlich einfache Ruderbewegung mehrheitlich von äusseren Faktoren beeinträchtigt – es sind Wind und Wellen, die das Gleichgewicht des Ausübenden stören. Der Reiz am Golf ist denn auch das unbeschreiblich gute Gefühl, das einen überkommt, sollte man einen auch nur annähernd perfekten Schlag hinkriegen – und beim Rudern ist es nicht anders: eine Serie perfekter Schläge ist wie Fliegen.

Wo kämen wir denn hin?

Wäre es möglich, jeden Schlag zum perfekten Schlag zu machen? Kann jede einzelne Ruderbewegung so individuell sein, dass sie die ständig wechselnden Einflüsse von Wind und Wasser vollständig kompensiert? Kann ein Golfer seine Position, seine Haltung und seine Bewegung beliebig oft in identischer Weise wiederholen?

Einer meiner Kollegen fährt einen Tesla. Vor ein paar Wochen bekam er per Software-Update eine neue Funk­tion: den Autopiloten. Seither bewegt er seine Hände nur noch zum Steuer, um seinem Tesla kundzutun, dass er noch lebt. Und wenn Stau ist, liest er E-Mails. Dank all seiner Sensoren kann der Tesla viel besser Auto fahren als mein Kollege. Er wird auch nie müde und richtet eine ununterbrochene Aufmerksamkeit auf die Strasse. Der Tesla beherrscht sozusagen den perfekten Schlag, oder zumindest hat er einen viel besseren drauf als wir Normalsterbliche.

Womöglich führt ein Autopilot auf der Strasse zu mehr Sicherheit und zu entspannteren Autofahrern, wenn wir uns dann alle mal daran gewöhnt haben. Aber beim Golfen? Ist dort der perfekte Schlag als Dauerbrenner überhaupt erstrebenswert – dazu noch ausgeführt von einer Maschine anstelle unserer selbst? Wo bliebe denn das Glücksgefühl? Ja, wo kämen wir denn hin?

Natürlich werden wir uns bei Tätigkeiten, die wir freiwillig und gerne und in einem Kontext tun, in dem wir frei entscheiden können, eher nicht durch eine Maschine vertreten lassen. Doch was ist mit unserer Fähigkeit, Verantwortung zu tragen? Wenn Autos ihren Weg besser und sicherer finden als wir Menschen, gilt dies umso mehr für Züge, Schiffe und Flugzeuge. Vermutlich darf der Mensch irgendwann gar nicht mehr selbst ans Steuer, weil er in seiner Unvollkommenheit zur Gefahr für das System geworden ist. Kurzum: wir laufen Gefahr, in einer Umgebung, die wir laufend verbessern, selbst zum schwächsten Glied zu werden. Nach dem perfekten Schlag zu streben, ist sicher nicht schlecht, doch kann es nicht das Ziel sein, unserem womöglich stärksten Gegner dazu zu verhelfen. Ich geh jetzt rudern.

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