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Technologie: Disruption in Zeitlupe

Uhr
von Daniel Liebhart, Trivadis

Wie lange braucht eine Technologie, bis sie sich durchsetzt? Diese Frage ist angesichts des befürchteten wirtschaftlichen "Tsunami-Effekts" der Digitalisierung höchst interessant. Wir neigen dazu, die Adaptionszeit von IT-Innovationen zu unterschätzen.

Daniel Liebhart, Solution Manager, Trivadis
Daniel Liebhart, Solution Manager, Trivadis

Technologische Innovationen sind der Treiber hinter jeder wirtschaftlichen Entwicklung. Diese Tatsache ist seit der industriellen Revolution unbestritten. Dass sich der Einfluss technischer Innovation sehr stark auf eine Volkswirtschaft auswirken kann, zeigte Tobias Straumann in seinem Artikel "Der grösste Schweizer Technologie-Schock" eindrücklich auf. Der Artikel erschien Anfang April im Economy-Blog des "Tagesanzeiger". 100 000 Arbeitsplätze gingen Ende des 18. Jahrhunderts in der Schweizer Textilbranche verloren, weil sich Spinnmaschinen durchgesetzt hatten. Vor Ähnlichem werden wir heute wieder gewarnt. Dieselbe Anzahl Arbeitsplätze sollen heute im kaufmännischen Bereich gefährdet sein. Von einer realen Gefahr, "dass Sie oder ich bald einem Automaten Platz machen müssen" schreibt Urs Rotzinger, stellvertretender Leiter Wirtschaft beim "Blick" anlässlich der Veröffentlichung entsprechender Studienresultate im letzten Jahr. Techno-Päpste gehen sogar noch einen Schritt weiter. So bezeichnet etwa Alan Veuve in seinem "Digital Transformation Model" diejenigen Firmen, welche die Technologie nicht schnell genug adaptieren, als "todgeweihte Unternehmen". Müssen wir uns also Sorgen machen?

Wir brauchen 10 Jahre

Die Uhr der technologischen Innovation tickt jedoch weit langsamer. Eines ist den sogenannten "disruptiven" Basistechnologien, die hinter der Digitalisierung stecken, wie etwa dem Cloud Computing oder dem Big Data Processing und vielen anderen gemeinsam: Sie brauchten alle im Minimum 10 Jahre, um sich zu etablieren. "Automation or Interaction: What’s best for big data?", haben sich bereits im Oktober 1999 Wissenschaftler der NASA, des MIT und anderer Universitäten an einer Konferenz des IEEE gefragt. Das ist bald 20 Jahre her. Cloud Computing respektive sein Vorgänger Grid Computing war damals bereits ein etablierter Begriff, wie das im selben Jahr erschienene Buch "The Grid – Blueprint of a New Computing Infrastructure" von Ian Forster und Carl Kesselmann belegt.

Selbst die scheinbar jüngeren IT-Innovationen haben überraschend lange gebraucht, bis sie auch nur den ersten Steilhang des Hype-Cycle erreichten. So feiert etwa Dev­Ops dieses Jahr das 10-jährige Jubiläum als Entwicklungsmethodik. Eine der interessantesten neuen Technolo­gien – die Blockchain – feiert mit. Auch sie wurde 10 Jahre alt. Und es ist noch nicht abzusehen, wann sich die Blockchain durchsetzen wird. Marco Iansiti und Karim R. Lakhani, zwei Professoren der Harvard Business School, glauben, dass die Blockchain noch sehr lange brauchen wird, um sich als Basistechnologie zu etablieren. In ihrem Artikel "The Truth about Blockchain" gehen sie von einer Adaptionszeit ähnlich derjenigen von TCP/IP aus – also mehr als 20 Jahre.

Gut informiert sein hilft

Die tatsächliche Adaptionszeit innovativer IT-Technolo­gien unterscheidet sich in Tat und Wahrheit von der heute wahrgenommenen. Rückblickend könnten wir von einem Minimum von 10 Jahren ausgehen, bis sich eine Technologie durchgesetzt hat. Ein kluges Unternehmen, das die in seiner Branche relevanten Innovationen im Auge behält, hat also in jedem Fall genügend Zeit, sich gut auf die damit verbunden Veränderungen vorzubereiten.

Daniel Liebhart ist Dozent für Informatik an der ZHAW (Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften), Experte für Enterprise-Architekturen und Solution Manager der Trivadis AG.

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