Swiss E-Government Forum

Die Politik muss bei der Digitalisierung aktiver werden

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von Coen Kaat

Mit dem zweiten Tag der Infosocietydays ist das diesjährige Swiss E-Government Forum zu Ende gegangen. Die Redner forderten mehr Kooperation zwischen den Behörden. Zudem soll der Staat die Diskussion rund um die Digitalisierung nicht nur der Wirtschaft überlassen.

Am 7. März ist der erste Teil der Infosocietydays zu Ende gegangen: das Swiss E-Government Forum. Der Event bildet die ersten beiden Tage der vom 6. bis zum 9. März stattfindenden Infosocietydays.

Während es am Vortag noch um Vision, Strategie und Organisationsentwicklung im Bereich E-Government ging, drehte sich der zweite Tag um die praktische Anwendung. Den Anfang machte Renate Amstutz, Direktorin des Schweizerischen Städteverbands.

"Stellen Sie sich vor, Sie sind bei Freunden zum Abendessen eingeladen", sagte Amstutz. "Kurz nach Mitternacht machen Sie sich auf den Heimweg. Es ist stockfinster. Also nehmen Sie das Smartphone aus der Tasche und schalten per Knopfdruck die Strassenbeleuchtung ein."

Die digitale Transformation ist bereits Tatsache.

Keine Vision, erklärte Amstutz, sondern Realität. Im deutschen Löwenstedt in Nordfriesland können die Einwohner bereits heute per App die Strassenbeleuchtung nachts für 12 Minuten einschalten. Anschliessend schalten die Strassenlaternen sich automatisch wieder ab – bis der nächste Nutzer etwas mehr Licht will.

"Die digitale Transformation ist bereits Tatsache – auch wenn wir noch weit von einer kompletten Umsetzung entfernt sind." Und das stelle die öffentliche Hand vor eine Herausforderung. Die Digitalisierung passiert schnell und fordert rasches Handeln. "Die öffentliche Hand ist dem Wesen nach eher durch Kontinuität geprägt und eher langsam, damit sie die Rechtssicherheit für die Bevölkerung gewährleisten kann."

Renate Amstutz, Direktorin des Schweizerischen Städteverbands. (Source: Netzmedien)

Aufgrund der knappen finanziellen und personellen Ressourcen sollten Verwaltungen deshalb Kooperationen eingehen. "Es macht keinen Sinn, dass jede Stadt einen eigenen Onlineschalter entwickelt, wenn der Nachbarort bereits daran tüftelt."

Dass an der Digitalisierung nicht nur grosse Städte interessiert seien, zeige die Gemeinde Pully in der Nähe von Lausanne. Die 18'000-Einwohner-Gemeinde beobachte die Mobilität mittels verknüpften Daten. "Big Data in einer kleinen Ortschaft", brachte Amstutz es auf den Punkt. Möglich war dieses Projekt dank Kooperationen. Mit der Stadt Lausanne, mit der EPFL und mit Swisscom.

Nichts Neues – aber fokussierter

Anschliessend sprach Tom Kleiber über die Fähigkeiten, welche die digitale Transformation erfordert. "Die Digitalisierung ist Chefsache und nicht Sache der Mitarbeiter", sagte er. Insbesondere die obere Führungsebene müsse strategischer denken. Sie müsse sich überlegen, was sie eigentlich wolle, welche Steine noch im Weg lägen und wie diese aus dem Weg zu Räumen seien.

"Das ist nichts Neues", sagte Kleiber. "Es geht ja auch nicht darum, Fähigkeiten zu erlernen, die noch nie zuvor ein Mensch beherrscht hat." Es gehe vielmehr darum, sich auf diese bereits bekannten Fähigkeiten zu fokussieren.

Zudem müsse die Führungsebene auch Orientierung schaffen. "Das geschieht nicht mit einer Vision." Auch nicht mit den eingesetzten Technologien, denn die seien zu volatil. Die öffentliche Hand sollte sich daher stärker an den bereits vorhandenen Werten orientieren, sagte Kleiber.

Tom Kleiber am Swiss E-Government Forum in Bern. (Source: Netzmedien)

Dazu zählen etwa das Vertrauen, dass die Verwaltung funktioniere, und die Bürgernähe. Die Verwaltungen sollten mit diesen Werten argumentieren und aufzeigen, wie die Digitalisierung sicherstelle, dass die öffentliche Hand diese Werte auch in Zukunft noch gewährleisten könne.

Überhaupt sollte die Politik gemäss Kleiber eine stärkere Rolle in der Debatte einnehmen. "Die Digitalisierung braucht ein zweites Standbein neben der Wirtschaft: Der Staat und die einzelnen Verwaltungen sollten eine aktivere Rolle einnehmen und die Entwicklung aktiv mitgestalten, im Interesse der Gesellschaft." Andernfalls würde die Diskussion über diese Entwicklungen sehr einseitig ausfallen.

Schaffhausen testet seine E-ID

Etwas mehr Praxis brachte Gerrit Goudsmit ein. Goudsmit ist Geschäftsführer von KSD – dem Informatikunternehmen des Kantons und der Stadt Schaffhausen. Am Swiss E-Government Forum sprach er über die Schaffhauser E-ID.

Der Kanton lancierte die digitale ID im Mai 2017 im Rahmen eines Pilotprojekts mit 250 Testern – in Kooperation mit dem Schweizer Start-up Pro Civis. Die E-ID kommt in Form einer App für Android und iOS daher. Damit könnten die Einwohner des Kantons verschiedene digitale Dienstleistungen nutzen.

Die Daten müssen zunächst durch die zuständige Einwohnerkontrolle der jeweiligen Gemeinde mittels eines Reisepasses bestätigt werden. "Der Nutzer kann selektiv bestimmen, welche Daten er freigeben möchte und welche nicht", sagte Goudsmit.

Mit einer E-ID ist das E-Government-Problem noch nicht gelöst.

Erste Zwischenergebnisse des Pilotprojekts deuten auf einen Erfolg hin. In einer Studie der ZHAW antworteten 92 Prozent der Tester, dass ihnen die E-ID "insgesamt gefällt". Die übrigen 8 Prozent antworteten mit "ich weiss nicht". Überraschenderweise gaben 75 Prozent der über 29-Jährigen an, der E-ID zu vertrauen, gegenüber 67 Prozent der unter 29-Jährigen.

Gerrit Goudsmit, Geschäftsführer von KSD. (Source: Netzmedien)

Die Studie zeigte auch, welche Dienste am meisten gefragt sind. Diese waren – in der Reihenfolge – eine digitale Steuerverwaltung, Einwohnerkontrolle, ein digitales Passbüro sowie Strassen- und Verkehrsamt. Nach dem Ende des Pilotprojekts will Schaffhausen die E-ID breiter ausrollen und das Angebot digitaler Dienstleistungen um 40 weitere E-Services ergänzen.

Die E-ID sei zwar eine wichtige Basis für ein erfolgreiches E-Government. "Aber wenn man sie eingeführt und flächendeckend verbreitet hat, ist das Problem noch nicht gelöst", sagte Goudsmit. "Dann beginnt die eigentliche Arbeit." So wie Schaffhausen das nun mache, mit dem Ausbau des Dienstleistungsangebots.

Geschäftsprozesse wie im Jahr 1960

Als letzter Vormittagsreferent kam Markus Frösch, Leiter E-Government und Organisationsentwicklung des Kantons Uri, auf die Bühne. In seinem Vortrag beschrieb er, wie der Kanton verschiedene Dienstleistungen digitalisierte und wo die Stolpersteine sind.

"Obwohl Verwaltungen seit gut 30 Jahren Computer nutzen, werden viele Geschäftsprozesse wie 1960 verarbeitet – einfach mit Computer. Die Prozessabläufe werden aus Mangel an Zeit kaum hinterfragt."

Markus Frösch, Leiter E-Government und Organisationsentwicklung des Kantons Uri. (Source: Netzmedien)

Wieso sollten diese Prozesse auch hinterfragt werden, wenn das System ja funktioniert? Bei den Bussenumwandlungen musste das zuständige Amt in Uri erkennen, warum. Das Amt wickelt alle Fälle ab, in denen eine Busse für ein Verkehrsdelikt nicht bezahlt wird und potenziell zu einer Gefängnisstrafe umgewandelt wird.

3900 Prozent mehr Aufwand in 14 Jahren

Im Jahr 2003 waren das 30 Fälle. Fünf Jahre später wurden die Regeln jedoch verschärft. Mehr Verkehrsdelikte, mehr Bussen, mehr unbezahlte Bussen. So musste dasselbe Amt mit demselben Personal 2017 bereits 1200 Fälle mit je eigenen Dossiers bearbeiten. Was vor 10 Jahren eine Nebentätigkeit war, wurde zur Haupttätigkeit – die übrigen Arbeiten blieben liegen.

"Während eineinhalb Jahren zerlegten wir die Arbeitsprozesse." Mit dem Ziel, das Amt zu digitalisieren. Heute nutzt es eine Softwarelösung für sämtliche Dossiers. Die Anzahl Arbeitsschritte wurden gemäss Frösch um 40 Prozent reduziert, der Papieraufwand um 80 Prozent.

"Öffentliche Verwaltungen brauchen unbedingt einen Kulturwandel: Prozessoptimierung sollte im Tagesgeschäft seinen festen Platz haben. Denn sie bringt erwiesenermassen mehr als erhofft."

Von E-Gov zu E-Health

Am Nachmittag wich das einheitliche Programm mehreren parallel laufenden Sessions. In diesen zeigten insgesamt 12 Redner diverse Lösungen und Lösungsansätze.

Nach dem abschliessenden Apéro steht für die Infosocietydays ein Themenwechsel an. Am 8. und 9. März geht es mit dem Swiss E-Health Forum weiter.

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