E-Health Summit im Stade de Suisse

Wie Apple und Google das Schweizer Gesundheitswesen herausfordern

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Im Stade de Suisse ist der Swiss E-Health Summit über die Bühne gegangen. Die Teilnehmer des Events tauschten sich über die Trends und Herausforderungen im digitalen Gesundheitswesen aus. Die Verheissungen der Digitalisierung in Spitälern, Arztpraxen, Heimen oder Apotheken sind gross, ebenso die Fragezeichen.

Christoph Stettler, Chefarzt und Klinikdirektor am Inselspital Bern, sprach über Möglichkeiten und Hürden beim digitalen Management von Diabetes. (Source: Netzmedien)
Christoph Stettler, Chefarzt und Klinikdirektor am Inselspital Bern, sprach über Möglichkeiten und Hürden beim digitalen Management von Diabetes. (Source: Netzmedien)

Zum elften Mal trafen sich am Dienstag Wissenschaftler, Vertreter von IT-Firmen und Leistungserbringer aus dem Schweizer Gesundheitswesen zum "Swiss E-Health Summit". Veranstalter Himss Europe lud unter dem Motto "Leadership & Digital Transformation" zwei Tage lang ins Berner Stade de Suisse.

SGMI-Präsident Jürg Blaser eröffnete den 11. Swiss E-Health Summit. (Source: Netzmedien)

Schon während der Begrüssung durch Jürg Blaser, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI), wurde für die Besucher deutlich, dass beim Thema E-Health Versprechen und Skepsis nahe beieinander liegen. Blaser erwähnte vor allen Dingen das elektronische Patientendossier (EPD). Während die Schweiz sich mit ihrem föderalistischen System hier für ein dezentrales Vorgehen entschieden habe, bauten international operierende Firmen eigene Plattformen auf. Es könne gut sein, dass ein globaler "Game Changer" wie Google oder Apple eines Tages eine eigene Lösung präsentiere, sagte Blaser. Diese könne dann das in der Schweiz ausgehandelte Modell infrage stellen.

Koen Kas forderte eine personalisierte Medizin auf der Basis von Daten. (Source: Netzmedien)

Viel Optimismus versprühte der Belgier Koen Kas in der ersten Keynote des Summits. Der CEO des Beratungsunternehmens Healthskouts plädierte für eine Medizin, die den Einzelnen in Zentrum stelle und die Versorgung zu einem "Vergnügen" mache. Ziel müsse es sein, den Menschen gesund zu halten. Möglich machen dies laut Kas moderne Verfahren wie die Genom-Analyse aber auch die Auswertung der Daten von Wearables und Smartphones. So könne E-Health Krankheiten erkennen, bevor sie zum Problem würden.

Was im Smarthome geht, müsse auch im Spital möglich sein, sagte Christian Lovis. (Source: Netzmedien)

Lesen Sie hier: Vier Meinungen zum Swiss E-Health Summit 2018.

Mit Semantik gegen die Datenflut

Christian Lovis, Professor für Medizininformatik am Unispital Genf, gab im Anschluss zu verstehen, dass er die Versprechungen der Datenmedizin durchaus kritisch beurteilt. Neue Technologie, etwa künstliche Intelligenz, machten rasch Fortschritte, sie könnten aber den Menschen nicht ersetzen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens sei nicht per se gut, sondern habe auch einige Probleme verursacht.

Lovis illustrierte dies anhand des Wildwuchses von Formaten, Versionen und Standards, der heute in der Spital-IT stattfinde und das Teilen von Informationen erschwere. Er fand dazu auch gleich die passende musikalische Untermalung. "Wir sind in einem babylonischen System, in dem jeder seine eigenen Dateninfrastruktur aufgebaut hat", sagte er.

Eine Lösung für dieses "katastrophale Durcheinander" sah Lovis in der Abkehr von strukturierten Daten. Die Medizininformatik müsse sich von ihren Formularen lösen und auf die Semantik, die medizinische Fachsprache konzentrieren. Was mit Conversational Apps und Chatbots im Smart Home funktioniere, könne auch im Spital funktionieren.

Der medizinischen Vermessung und Beratung des Menschen durch Daten stand Lovis betont skeptisch gegenüber, was er ebenfalls mit einem Video unterstrich. Das Gesundheitssystem sei hochkomplex und das menschliche Verhalten halte immer Überraschungen bereit, sagte er. Damit müsse die Medizin leben.

Wege zum elektronischen Patientendossier

Das EPD ist eines der wichtigsten Vorhaben im Schweizer E-Health. Es erstaunt denn auch nicht, dass zahlreiche Präsentationen des Summit diesem Thema gewidmet waren. Adrian Schmid, Leider von eHealth Suisse, gab ein Update zum aktuellen Stand des Projekts. Das EPD sei prinzipiell auf Kurs, sagte Schmid. Es gebe allerdings noch einige Baustellen.

Adrian Schmid zeigte den aktuellen Stand des Schweizer EPDs. (Source: Netzmedien)

Nachholbedarf gebe es noch beim Bildungsangebot, beim Aufbau der Stammgemeinschaften und bei der technischen Umsetzung auf Ebene der Leistungserbringer. Die Anbindung des EPD an die Primärsysteme ist laut Schmid die grösste Herausforderung. Hier sei Bewegung gefragt. Es könne nicht sein, dass Spitäler das EPD als Web-Service einbinden. Das Ziel sei am Ende, alle Stammgemeinschaften untereinander zu vernetzen, damit alle Patientendaten überall zugänglich würden.

Die EPD-Umsetzung im Kanton Neuerburg war Thema des Vortrags von Caroline Gallois-Viñas. (Source Netzmedien)

Neben dieser Sicht "von oben" gaben Referenten Einblicke in die lokale Umsetzung des EPD. Eva Greganova, Geschäftsführerin des Trägervereins eHealth Nordwestschweiz, stellte das "MyEPD" als Projekt vor, das nicht nur die IT, sondern das ganze Unternehmen betrifft. Caroline Gallois-Viñas präsentierte die Aufgaben, die der Kanton Neuenburg beim EPD zu lösen hatte.

Für einmal musste König Fussball das Stade de Suisse dem Schweizer E-Health überlassen. (Source: Netzmedien)

Über die Schweiz hinaus ging es im Vortrag von Stéphane Spahni. Der Systems Architect am Unispital Genf arbeitet gegenwärtig an "EpSOS", einem System zum Austausch von Patientendaten mit anderen Staaten. Um die nationale "Sprache" des EPD nathlos in eine internationale übersetzen zu können, seien strukturierte Daten, eine eindeutige Identifikation des Patentien sowie eine klare Rechtslage ein Muss. Zudem brauche es einen nationalen Kontaktpunkt, auf dem sich die Stammgemeinschaften mit dem Ausland vernetzen können.

Stéphane Spahni arbeitet am Unispital Genf an der Vernetzung des EPDs über Landesgrenzen hinweg. (Source: Netzmedien)

Diabetes-Management aus Sicht von Medizin und Patient

Zum Abschluss des ersten E-Health-Summit-Tags konnten sich die Teilnehmer über den Stand der Dinge beim Management von Diabetes informieren. Die Zahl der Diabetiker nehme zu, entsprechend relevant sei das Thema, sagte Christoph Stettler, Chefarzt am Berner Inselspital und Direktor der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin & Metabolismus.

In den vergangenen Jahrzehnten konnte die Steuerung des Blutzuckerspiegels viele Fortschritte verzeichnen, wie Stettler sagte. Das Glukose-Level lasse sich heute mit handlichen Geräten messen. In die Haut transplantierte Sensoren könnten den Gewebezucker quasi dauernd überwachen; nicht nur vier mal am Tag, wie es auch in den Spitälern heute noch üblich ist. So sei es möglich, Insulin präzise zu dosieren.

Andreas Riesen erläuterte dem Publikum seinen Alltag mit Diabetes-Technik. (Source: Netzmedien)

Dies brachte laut Stettler aber auch einen ständigen Strom von Daten und Werten mit sich, der Patienten und Ärzte an den Rand der Überforderung bringe. Hinzu komme - ein allgemeines Problem der E-Health-IT - eine Vielzahl von Herstellern, Geräten und Formaten, die untereinander nicht kompatibel seien. "Wir werden wahnsinnig, wenn wir alle diese Systeme berücksichtigen müssen", sagte Stettler. Auch könne sich die Industrie nicht auf einen gemeinsamen Softwarestandard einigen: "Ein grosser aus den USA sträubt sich immer."

Diabetiker hätten sich mittlerweile selbst geholfen, die Diabetes-IT gehackt und so Messgeräte über das Smartphone mit Insulinpumpen vernetzt. Auch grosse IT-Firmen wie Apple und IBM würden beim Thema Diabetes Gas geben. Beides sei kein Idealzustand. Alles in allem seien die Herausforderungen beispielhaft für E-Health insgesamt, sagte Stettler. Das Potenzial für den Patienten sei riesig, viele Probleme seien aber nach wie vor nicht gelöst.

Als Typ-1-Diabetiker stellte Andreas Riesen seinen Alltag mit den von Stettler vorgestellten Systemen vor. Er selbst erfasse seinen Blutzuckerwert rund 15 mal am Tag, was verschiedene Fragen mit sich bringe. Wie stellt man sicher, dass Arzt und Patient stets Zugang zu den erhobenen Daten haben? Was passiert mit den Daten, wenn ein Anbieterwechsel ansteht? Und was ist, wenn der Sensor einmal falsche Daten liefert, wie es bei Riesen bereits vorgekommen sei? Am Ende höre er auf seinen eigenen Körper und überlasse den Umgang mit seiner Krankheit nicht ganz der Technik, sagte Andreas Riesen.

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