Universitätsspital Zürich

Mit IT gegen Infektionen

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von Anna Hitz, Partnerin, Indema

Das Universitätsspital Zürich (USZ) hat sich zum Ziel gesetzt, die sogenannten spitalerworbenen ­Infektionen auf ein Minimum zu senken. Möglich werden soll dies auch dank automatisierter ­Messsysteme. Diese vermitteln nicht nur ein vollständiges Bild über die Fallzahlen, sondern ­ermöglichen auch Erkenntnisse über den Wirkungsgrad von präventiven Massnahmen.

Anna Hitz, Partnerin, Indema. (Source: zVg)
Anna Hitz, Partnerin, Indema. (Source: zVg)

Für manche Patienten dauert der Aufenthalt im Spital unfreiwillig länger, weil eine Infektion den Heilungsprozess verzögert. Das verursacht nicht nur unnötiges Leid für den Einzelnen und hohe Kosten für die Allgemeinheit. Weil für die Behandlung oft Antibiotika eingesetzt werden, tragen solche Infektionen auch zur zunehmenden Resistenz der Keime bei.

Viele Infektionen könnten vermieden werden

Am häufigsten treten Blutvergiftungen, Lungenentzündungen sowie Infektionen des Harntrakts oder von Wunden auf – etwa beim Einsatz von Kathetern, bei der künstlichen Beatmung oder nach chirurgischen Eingriffen. Viele Infektionen könnten jedoch vermieden werden. So ist etwa die simple Händedesinfektion eine der wirkungsvollsten Massnahmen, um die Übertragung von Keimen durch Mitarbeitende zu verhindern.

Wichtig sind auch eine aseptische Arbeitsweise oder das Tragen eines Mundschutzes, wenn man selbst erkältet ist. Eine weitere wirkungsvolle Massnahme ist, den Patienten vor einem Eingriff eine Einmaldosis Antibiotika zu verabreichen. Im komplexen und von vielen unvorhersehbaren Ereignissen geprägten Spitalbetrieb ist es aber herausfordernd, diese Massnahmen bei jedem Patienten konsequent anzuwenden.

Infektionsdaten nicht flächendeckend ­erhoben

Das Universitätsspital Zürich (USZ) hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Anzahl der von Infektionen betroffenen Patienten auf unter 5 Prozent zu senken. Gegenüber 2013, als noch rund 9 Prozent der Patienten betroffen waren, entspricht das fast einer Halbierung. Dafür braucht es aber nicht nur eine koordinierte Anstrengung über sämtliche Kliniken und Berufsgruppen hinweg, sondern auch Daten.

Üblicherweise werden Daten über die Art und Häufigkeit von spitalerworbenen Infektionen und verhindernden Massnahmen in Spitälern jedoch nicht flächendeckend erhoben – das war in der Vergangenheit auch im USZ nicht der Fall. Sporadische Messungen erfolgen oft mit Papierformularen und sind für die Mitarbeitenden der Spitalhygiene mit einem grossen manuellen Aufwand verbunden. Bei jährlich mehr als 42 000 stationären Patienten im USZ müssten jede Woche hunderte von Krankengeschichten auf Hinweise zu einer Infektion untersucht werden, um ein vollständiges Bild der Lage zu erhalten.

IT-basierte Messsysteme bieten vollständiges Bild

Die Abteilung für Spitalhygiene an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des USZ beschloss deshalb, ein automatisiertes Messsystem für die Erfassung der häufigsten Infektionen zu entwickeln. Heute werden damit die Daten zu den durch Urinkatheter oder Zentralvenenkatheter ausgelösten Infektionen systematisch aus mehreren IT-Systemen wie dem Klinikinformationssystem extrahiert und zusammengeführt.

Die konsolidierte Sichtweise erlaubt eine viel präzisere Überwachung der Infektionen und deren Verhinderungsmassnahmen als früher. Auch der Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln wird für jede Klinik aus dem SAP-System extrahiert. Die verbrauchte Menge ermöglicht Aussagen darüber, wie konsequent sich die Mitarbeitenden die Hände des­infizieren.

Algorithmen ermöglichen umfassende Analysen

Die meisten der dafür benötigten Daten waren im Spital bereits vorhanden. Die Herausforderung bestand jedoch darin, sie aus den verschiedenen Quellsystemen zusammenzuführen. Schliess­lich mussten auch Algorithmen entwickelt werden, um die Daten zueinander in Bezug zu setzen. Das USZ ist dadurch heute in der Lage, mit Analysen etwa den Wirkungsgrad einer Präventivmassnahme zu bestimmen.

Die IT-basierte Infektionsüberwachung verbessert die Transparenz entscheidend. Allein schon diese Sichtbarkeit und die damit verbundene Sensibilisierung führt zu einer deutlichen Reduktion der Fallzahlen. 2018 wurde das Ziel von 5 Prozent nur knapp verfehlt. Bereits das zweite Jahr in Folge wies das USZ die niedrigste Infektionsrate unter den Schweizer Universitätsspitälern aus. Solche Erfolgsmeldungen sind für die Projektverantwortlichen der Lohn für ihre harte Arbeit, aber auch ein Ansporn für den weiteren Weg.

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Das Universitätsspital Zürich (USZ) hat sich zum Ziel gesetzt, die Anzahl der von Infektionen ­betroffenen Patienten auf unter 5 Prozent zu senken. Prof. Dr. med. Hugo Sax spricht über die ­Herausforderungen in diesem Projekt und seine Vision für die Spitalhygiene. Interview: Anna Hitz, Indema

Meine Vision ist eine personalisierte Infektionsprävention

Prof. Dr. med. Hugo Sax, Leiter Spitalhygiene und Leitender Arzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich USZ. (Bild: zVg)

Wie nahe sind Sie dem Ziel, die Infektionsrate auf unter 5 Prozent ­zu senken, schon gekommen? Ist das Projekt ­abgeschlossen?

Hugo Sax: Es ist bei einem so komplexen Qualitätssicherungsprojekt gefährlich, von einem Abschluss zu sprechen. Man muss konsequent dranbleiben. 2018 haben wir unser Ziel mit 5,6 Prozent nur knapp verpasst. Das spornt uns natürlich an.

Wie hat sich die Spitalhygiene in den letzten Jahren verändert?

Dass wir uns als Spital ein fixes Ziel gesetzt haben, das von der Direktion – insbesondere der Ärztlichen und Pflegedirektion – in der Umsetzung ganz wesentlich mitgetragen wird, hat einen tiefgreifenden Kulturwandel ausgelöst. Wir mussten komplett umdenken, wie wir Spitalhygiene betreiben. Heute herrscht bei uns Unternehmergeist. Neben sehr engagierten Ärzten und Ärztinnen und spezialisiertem Pflegepersonal haben wir auch Psychologen, Informatiker, Projektmanager und biomedizinische Analytiker in unserem Team. Wir mussten flexibler werden und ein Umfeld schaffen, das Innovationen fördert.

Welche Rolle spielt die IT heute in der Spital­hygiene?

Infektionsprävention und Spitalhygiene wären heute ohne maschinelle Unterstützung nicht denkbar, die benötigten personellen Ressourcen immens. Dank der automatischen Messsysteme haben wir ein viel umfassenderes Bild über das Auftreten von häufigen Infektionen. Zum ersten Mal können wir auch umfassende Analysen durchführen und den Umsetzungserfolg von präventiven Massnahmen gezielt untersuchen. Im Vergleich zu anderen Industrien stehen wir, was den Einsatz der IT angeht, aber immer noch am Anfang. Es bleibt also noch viel zu tun. Dabei ist das gegenseitige Verständnis für die Inhalte und Möglichkeiten absolut ausschlaggebend – es braucht auch personell einen Brückenschlag.

Welches waren die Herausforderungen in diesem Projekt?

Einerseits gab es organisatorische Herausforderungen. Durch die 5-Prozent-Offensive hatten wir plötzlich zahlreiche neue Projekte, die parallel realisiert werden mussten. Das brauchte Koordination innerhalb des Teams, aber auch darüber hinaus. Wir mussten neue Rollen und Stellen schaffen und mit Mitarbeitenden aus anderen Fachbereichen und Disziplinen besetzen. Andererseits gab es auch technische Herausforderungen. Es war für die IT nicht immer einfach, die Daten aus verschiedenen Quellsystemen zusammenzuführen und aus den Rohdaten Wissen zu generieren. Schliesslich mussten wir erfahren, dass es in IT-Projekten auch immer wieder Rückschläge und Verzögerungen gibt.

Wie sieht Ihre Vision für die Spitalhygiene am USZ aus?

Meine Vision ist, dass wir das individuelle Infektionsrisiko für jeden Patienten jeden Tag bestimmen können. Dann können wir gezielter eingreifen und haben eine "personalisierte Infektionsprävention". Wir sind noch weit von einer solchen idealen Welt entfernt, in der wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns die Technologie bietet.

Prof. Dr. med. Hugo Sax ist Leiter Spitalhygiene und Leitender Arzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich USZ. Er ist zudem im Vorstand der Schweizer Gesellschaft für Spitalhygiene und dem Nationalen Zentrum für Infektionsprävention Swissnoso.

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