"Crossing the Chasm"

Kollaboratives Company Building: Firmen aufbauen im Schnellboot-Ansatz

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von Nicola Schlup, Managing Director, Nexum Schweiz

Reichte früher noch die eine gute Idee, um über Jahre hinweg erfolgreich zu sein, so ist der Innovationsdruck im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung um ein Vielfaches höher. Die Innovationszyklen werden kürzer, die Disruptionen tiefgreifender und die Rahmenbedingungen volatiler. Eine Antwort darauf ist kollaboratives Company Building.

Für etablierte Unternehmen sind die Herausforderungen immens: Müssen sie doch einerseits Raum für Innovationen schaffen und andererseits Stabilität und Effizienz im Kerngeschäft sichern. Dabei mangelt es vielerorts nicht an der Erkenntnis, sondern schlichtweg an der Vision zur Umsetzung.

Die Binsenweisheit "Der schnelle Fisch frisst den langsamen" ist in den Teppichetagen der Konzerne und Mittelständler angelangt und seit Jahren werden Versuchsballone mit Start-ups, Spin-offs und dergleichen gestartet, um an Geschwindigkeit und Innovation zu gewinnen. Viele Projekte scheitern und die erfolgreichen Exemplare stellen die Führungsreihe vor die Herausforderung, wie die gezündete Innovationsrakete mit ihrer agilen Kultur und Start-up-Mentalität nun das initiierende Unternehmen und Geldgeber bereichern soll. Sprich, wie Innovation und Kultur in das Mutterschiff zurückgeführt werden sollen. Wo Innovationsabteilungen in Konzernen oftmals daran kranken, kaum Zählbares in die reale Geschäftswelt überführt zu haben, versuchen Unternehmen, die einen losgelösteren Start-up-Ansatz verfolgen, die erfolgreichen Beteiligungen näher zu sich zu ziehen. Und töten dabei oftmals besagte Innovation und Kultur mit ihrer Bürokratie.

 

Ein partnerschaftlich geführtes Joint Venture

Ein Ansatz, der derzeit insbesondere in Deutschland viel Zustimmung erhält, ist der des kollaborativen Company Buildings. Dabei gründet ein Konzern oder Mittelständler gemeinsam mit einer Digitalagentur oder einem Beratungshaus ein eigenständiges Unternehmen, das die Vorteile beider Welten vereinen soll. Eine solide, wenn auch nicht übertriebene Finanzierung sowie das Digital-Know-how und die Ressourcen der Dienstleisterseite. Wie viele Unternehmen in der Realität lernen durften, ist die Kultur das entscheidende Gut, um die überdurchschnittlich guten Köpfe mit der richtigen Einstellung für sich gewinnen zu können. Der monetäre Aspekt heilt die Wunden der Mitarbeiter nur für kurze Zeit. Wer "die Welt verändern will", wird sich über kurz oder lang nicht mit seinem Lohnausweis über die bürokratischen Hürden und Unternehmenspolitik hinwegtrösten können.

Ein partnerschaftlich geführtes Joint Venture bietet wertvollen Zugriff auf die richtigen Mitarbeiter mit den richtigen Fähigkeiten zum jeweils passenden Zeitpunkt. Höchst selten sind die Mitarbeiter, die ein digitales Produkt erfolgreich erschaffen, dieselben, die dieses auch über Jahre hinweg betreiben und in Minischritten weiterentwickeln. So wie Start-ups einen anderen Typ CEO als gestandene Grossunternehmen benötigen, so gilt dies auch für diverse andere Skillsets, die am Markt derzeit Mangelware sind.

 

Anreize für beide Seiten

Der kollaborative Company-Building-Ansatz respektiert diese Tatsache und ermöglicht den frisch gegründeten Unternehmen genau diesen Know-how-Zugriff. Für einen bestimmten Zeitraum (z. B. drei bis fünf Jahre) abgestellte Mitarbeiter des digitalen Dienstleistungspartners verantworten die Konzeption und Entwicklung der digitalen Produkte und Services nach modernen Standards. Mitarbeiter der Kundenseite bringen das Branchen-Know-how ein und zeichnen für die Überführung der neuen Lösung in einen Regelbetrieb verantwortlich. Beide Parteien sind dabei finanziell am gegründeten Unternehmen beteiligt und partizipieren an Gewinn und Verlust des Unternehmens. Für die Digitaldienstleister bietet sich die Chance nach einem festgelegten Zeitraum und nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen, die Anteile an dem Unternehmen wieder an den Businesspartner zu verkaufen. Somit entsteht für die Digitalagenturen neben dem Anreiz, Personal für einen fixierten Zeitraum bereitzustellen und Tagessätze zu fakturieren, die Möglichkeit, bei einem erfolgreichen Ausbau des Modells ein lukratives "monetäres Upside" durch den Verkauf der Anteile zu erzielen. Im Gegenzug begrenzt die Kundenseite ihr Verlustrisiko dadurch, dass sie den Rückkauf der Anteile nur bei erfolgreichem Projektverlauf zu zahlen hat. Entsprechend gibt es für beide Seiten Anreize, einen derartigen Deal einzugehen.

Entscheiden sich zwei Unternehmen für ein kollaboratives Company Building, bedarf es zunächst eines gemeinsamen Verständnisses und geeigneter Rahmenbedingungen. Dabei kann auf der grünen Wiese gestartet und eine gemeinsame Business-Idee erarbeitet werden. Genauso kann eine der beiden Parteien eine erste Idee und/oder einen Prototyp einbringen, auf dem aufgebaut wird. Beide Seiten müssen sich bewusst sein, dass ein Schnellboot eigenständig Wege einschlagen muss, um seinem Namen gerecht zu werden. Der Fokus sollte daher vielmehr auf der Einigkeit des fernen Ziels sowie der Art und Weise der Kommunikation liegen, während das Schnellboot an Fahrt aufnimmt. Die Kunst ist es, die Crew für die unterschiedlichen Kulturen zu sensibilisieren und die Schnittstellenpersonen entsprechend auszuwählen. Sie entscheiden massgeblich über den langfristigen Erfolg des Vorhabens. Zentrale Rollen haben hierbei die Führungskräfte inne. Sie müssen Teams führen, die aus Personen mit unterschiedlichen kulturellen und fachlichen Hintergründen zusammengesetzt sind. So treffen Mitarbeiter, die eher durch eine hierarchisch orientierte Unternehmenskultur geprägt sind, auf solche, die es gewohnt sind, in Netzwerkstrukturen mit agilen Methoden zu arbeiten. Unterschiedliche Organisationsformen und Arbeitsweisen setzen ein beidhändiges Führungsverständnis (Ambidextrie) voraus. Hiermit ist das Managen von Stabilität und Effizienz auf der einen und Unsicherheit und Innovation auf der anderen gemeint.

 

Crossing the Chasm

Nicht nur die ersten Jahre, die abseits der gesicherten Finanzierung einem normalen Start-up sehr ähnlich sind, sondern auch die Überführung des Unternehmens oder der entwickelten Produkte und Services in den "erwachsenen Jahren" müssen bereits von Beginn an thematisiert werden. "Crossing the Chasm" nannte Geoffrey Moore die Herausforderung, disruptive Produkte und Services in den Mainstream zu überführen. Spätestens hier werden andere Fähigkeiten gefordert als noch in den ersten Monaten und Jahren eines Start-ups. Fähigkeiten, die dem kundenseitigen Gründungspartner besser liegen könnten als dem Digitaldienstleister. Um bei den Mainstream-Endkunden erfolgreich bestehen zu können, müssen innerhalb kürzester Zeit Supportleistungen geboten werden, die für das kundenseitige Mutterhaus mit der bestehenden Infrastruktur und langjährigen Erfahrung ein Leichtes sind. Die Kunst ist es, diesen Zeitpunkt zu erkennen und die Überführung strukturiert vorzunehmen. Spätestens hier zeigt sich, ob die beiden Gründungsparteien ihre Hausaufgaben gemacht und die Rahmenbedingungen zu Beginn des Unterfangens sinnvoll gesteckt haben.

Tiefgreifende Veränderungsprozesse gelingen nur, wenn auch die beteiligten Menschen von Anfang an mitgenommen werden. Mit dem Company Building müssen Unternehmen und Führungskräfte daher Strukturen und Prozesse etablieren, die einen regelmässigen Austausch zwischen Mutterkonzern und Start-up ermöglichen. Der amerikanische Change-Manage­ment-Vordenker John Kotter liefert hierzu mit seinem 8-Step Process for Leading Change wertvolle Ansätze, wie sich ein "duales Betriebssystem", das Nebeneinander von Stabilität und Agilität, Hierarchien und Netzwerken in einer Organisation implementieren lässt.

Nicht ohne Grund scheitern viele Start-ups weder aufgrund fehlender innovativer Produkte noch engagierter Mitarbeiter, sondern weil das Wachstum nicht professionalisiert betrieben wird.

Exemplarisch gibt es diverse Akteure der deutschen Automobilindustrie, die mit Digitalagenturen zusammenarbeiten, um die Mobilitätsherausforderungen der Zukunft mit zunehmendem Tempo und erhöhter Seriosität in Angriff zu nehmen. VW hat sich beispielsweise an der Digitalgesellschaft Diconium mit 49 Prozent beteiligt, um die genannten Vorteile eines solchen Joint Ventures zu nutzen. Ob die gestarteten Initiativen nachhaltig fruchten, steht in den Sternen. Dass die bisherigen Ansätze aber weder durch weitere Kapitalerhöhungen noch durch Unternehmenspolitik zum Erfolg führen, erklärt sich von selbst. Wer in den vergangenen Jahr gut aufgepasst hat, weiss auch, dass keine Zeit bleibt, die Resultate abzuwarten. Zu gross ist die Gefahr, von allen Seiten von Schnellbooten überholt und zum Schluss in kleinen Happen aufgefressen zu werden.

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