Versuchsstollen Hagerbach

Edge Computing im Untergrund

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Amberg Engineering, Dätwyler und Scaut haben das Testrechenzentrum im Versuchsstollen Hagerbach vorgestellt. Mit diesem Prototyp erforschen die drei Industriepartner eine Alternative zu den grossen, zentralisierten Rechenzentren in der Schweiz.

Im Versuchsstollen Hagerbach testen drei Industriepartner ein kleines Rechenzentrum unter der Erde. Die sechs Racks befinden sich zu diesem Zweck in der dafür benannten Data Center Cavern, geschützt durch einen geschlossenen Raum. Ziel des Experiments sei es, heraus zu finden, was es für eine ausgeweitete Infrastruktur von kleinen Untergrund-Rechenzentren in der Schweiz zu beachten gelte.

Willkommen im Untergrund

Die drei Industriepartner Amberg Engineering, Spezialist für Untergrund-Infrastrukturen, Dätwyler Cabling Solutions, Spezialist für Rechenzentren und Edge Computing, und Projektführer Scaut (Swiss Center of Applied Underground Technologies) haben am 18. September ihr neues Test-Rechenzentrum vorgestellt.

Felix Amberg, Vorstandsvorsitzender und Mitglied des Initiativkomitees von Scaut, sowie Präsident der Schweizer Amberg Group, hiess die Besucher in der Event-Kaverne willkommen. "In Zukunft wird die überwiegende Mehrheit der Menschen in städtischen Gebieten leben", sagte Amberg. "Die Nutzung der dritten Dimension nicht nur nach oben, sondern auch in den Untergrund wird ein wesentlicher Bestandteil der Stadtentwicklung von Smart Cities sein." Klaus Wachter, Geschäftsführer von Scaut, leitete in die Präsentationen der beteiligten Industriepartner Dätwyler und Amberg Engineering ein.

Die Schweiz hat ein Platzproblem

"Das Internet der Dinge wird uns in den nächsten Jahren alle beschäftigen", sagte Johannes Müller, CEO von Dätwyler Cabling Solutions. Industrie 4.0, 5G, autonomes Fahren, künstliche Intelligenz, Streaming und intelligente Gebäude - alles werde in rasanter Geschwindigkeit intelligenter und vernetzter. Dieser Prozess schreite voran, ob man wolle oder nicht. Durch die schnell zunehmenden Datenmengen steige daher auch der Bedarf nach "Cloudification". So wie heute ein Bedarf nach Wasser- und Stromversorgung in der Gesellschaft besteht, sagte Müller, werde es irgendwann einen Bedarf nach einer Rechenleistungsversorgung geben. Die Frage, wo diese Rechenzentren fortlaufend gebaut werden sollen, dränge sich auf.

"Fünf Prozent der Fläche in der Schweiz sind Bauzonen", sagte Antonia Cornaro, Business Development Manager bei Amberg Engineering. 46 Prozent innerhalb dieser fünf verwende die Bevölkerung als Wohnzonen. 95 Prozent der Schweizer Bevölkerung würden in diesen Bauzonen leben – 84,8 Prozent in urbaner Umgebung. Und die Bevölkerung wachse stetig weiter, so Cornaro. Studien zeigten, dass Städte am verwundbarsten für Katastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel seien – Hitzewellen, Überschwemmungen, steigende Meeresspiegel und so weiter. Wenn die Schweiz die zunehmenden Datenmengen künftig weiterhin in zentralisierten und gross angelegten Data-Center-Hallen verarbeite, wie in Greens kürzlich eröffnetem Rechenzentrum in Lupfig, würde immer mehr Baufläche innerhalb dieser Bauzonen zugunsten riesiger Rechenzentren verschwinden. Und dies in einem Gebiet, das nachweislich am anfälligsten für klimabedingte Katastrophen ist.

In dem Zusammenhang stellten die drei Partner ihre Alternative Edge-Computing im Untergrund vor.

Die Bauflächen, die niemand sieht

Wie Cornaro sagte, besitzt die Schweiz bereits heute die europaweit zweitgrösste Datencenter-Dichte pro Einwohner, nach Irland. Die noch aufkommenden Datenmengen können nicht alleine von den grossen Rechenzentren der Grossanbieter getragen werden, wie Müller in seiner Präsentation sagte.

Statt grosse Datenmengen über grosse Rechenzentren zu schicken, biete es sich an, mit vermehrten örtlich platzierten Mini- und Mikro-Rechenzentren, lokale Daten vor Ort zu verarbeiten. Dies nennt sich Edge Computing. Es sei effizienter und wirke sich positiv auf die Latenzzeiten aus.

Die Schweiz besässe dafür viel Fläche in Form von brachliegenden Tunnels, Kellern und unterirdischen Hohlräumen. Diese könnten sinnvoll genutzt werden. Dank der heutigen Technologien seien solche Untergrundbauten in verschiedenen Bodengegebenheiten auch machbar. Beispiel dafür sei gerade der Versuchsstollen Hagerbach selbst, der zu Hauptbestandteilen aus hartem und zähem Kieselkalk besteht.

Cornaro präsentierte die weiteren Vorteile, die Edge Computing im Untergrund aufweise. Geringerer Energieverbrauch dank konstanter klimatischer Bedingungen, hohe Sicherheit, Schutz gegen Naturgewalten, nah bei den Datennutzern realisierbar, praktisch unsichtbar und auch der Bau wäre wetterunabhängig.

Mit diesem Gedankenanstoss folgte auf die Präsentationen die Vorführung des Prototyps selbst.

Die Racks im Untergrund. (Source: Netzmedien)

Die Data-Center-Kaverne

In der Data-Center-Kaverne befindet sich der Rechenzentrums-Prototyp in einem in den Fels gebauten Raum. Zwei mal drei Racks stehen sich gegenüber. Die Installateure haben das Innere der Racks mit farbigen Lichtern ausgestattet, sodass ihr Innenleben im dunklen Raum sichtbar ist. Der Boden besitzt einen verglasten Teil, unter dem orange Kabel zwischen den Racks hindurchführen. Alles Show, wie im Anschluss verraten wird. Klaus Wachter, der die Gruppe durch die Tunnel führte, übergab das Wort an die Ingenieure von Dätwyler. Adrian Burri, Head of Services Europe und Pius Albisser, Senior Engineer Data Centre Solutions führten die technischen Spezifikationen für die Besucher aus. Die Racks stehen nahe beieinander. "High Tensity", sagten die Ingenieure. In dieser Umgebung muss so platzsparend und kosteneffizient wie möglich gearbeitet werden.

Der Untergrund kühlt sparsam

Die Kühlung des geschlossenen Raums erfolge ausschliesslich über einen Wasseranschluss, sagte Christian Richter, Datacenter Expert Europe bei Dätwyler Cables. Es werde also keinerlei Luft von aussen mechanisch hinzu- oder weggeführt. Die bestehende Raumluft werde über einzeln ansteuerbare Ventilatoren in den Racks mit Kälteregistern gekühlt und wieder in den Raum abgegeben. Die Register hängen an einer Kaltwasserleitung, die aus dem Raum zu einer Wärmepumpe führt und so die Raumluft konstant zwischen 14 und 16 Grad Celsius hält. Die kalten Aussenwände leisten ihren Beitrag dazu. Dank der ganzjährig kühlen Umgebung müsse weniger Energie zur Kühlung aufgewendet werden, als an der Oberfläche, wo die Temperaturen über dreissig Grad steigen können.

Wo Rauch ist, da ist ein Streichholz

Patrick Knecht, Leiter im Verkauf von Siemens Schweiz, führte den von Siemens verbauten Brandschutz aus. Der Brandalarm erfolge zusammen mit einer Stickstofflöschung. Der Sauerstoffgehalt im Raum würde im Brandfall so weit gesenkt, dass die Flammen erstickten. Ungefährlich für Menschen, versichert Knecht. "Es sei denn, jemand macht Sport im Serverraum." Der Alarm gehe an das interne System und an die Videoüberwachung, die im Raum installiert sei. Der Alarm könne bei Bedarf auch manuell ausgelöst werden, sagte Knecht und verwies auf einen auffällig grossen gelben Schalter am Raumeingang.

Zu Vorführungszwecken zündeten die Leute von Siemens im Raum ein Streichholz an. Der Rauch wurde von einem Rohr zwischen den Racks angezogen, durch das kontinuierlich Luft angesogen wird und das zum Rauchmelder führt. Der Alarm ging augenblicklich los. Kurz nachdem der Alarm auf dem Panel deaktiviert wurde, ging der Alarm erneut los und unterbrach Knecht bei seinen Ausführungen im Satz. Man eilte überrascht zurück zum Panel, um den Alarm erneut auszuschalten. "Das war der Restrauch, den der Sensor jetzt noch registriert hat", sagte Knecht anschliessend. "Sehen Sie, wie gut er kleinste Mengen an Rauchentwicklung registriert?" Die Sensoren seien hochempfindlich eingestellt, damit auch auf kleinste Brände schnellstmöglich reagiert werden könne. Das Brandmeldesystem sei mit der lokalen Feuerwehr verbunden, sagte Knecht. Diese besässe jedoch Mindestrichtwerte, bevor sie einen Brand registrieren können. Bei den Mindestmengen, mit denen sie im Stollen normalerweise arbeiteten, erhalte die Feuerwehr kein Signal – sonst würden sie ununterbrochen Fehlalarme erhalten, die das Aufwirbeln von Staub beim Putzen oder das Aufreissen einer Kartonverpackung bereits auslösen können.

Das Experiment hat begonnen

"Der Prototyp ist zur Zeit dieser Präsentation nicht in Betrieb", sagte Pius Albisser im Anschluss. Die ersten, die das kleine Rechenzentrum nutzen können, sei der Versuchsstollen Hagerbach selbst. "Im Verlauf eines Jahres wird der Stollen fortlaufend digitalisiert." Sicherheitssysteme wie die Videoüberwachung würden an das System angebunden werden. Mit Swisscom laufen derzeit Gespräche zu 5G, wie Albisser sagte. Aus all dem würden nun fortlaufend Erkenntnisse gewonnen, was es brauche, um künftig in der Schweiz grossräumig kleine Edge-Datacenter im Untergrund zu platzieren.

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