Focus: Smart City

Urban Living Labs – kollaborative Ansätze für lebenswerte Smart Cities

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von Anja Riedle, Leiterin Smart City, SBB und Birk Diener, Projektleiter Smart City, SBB

Wie entsteht eine lebenswerte und nachhaltige Stadt? So lautet die entscheidende Frage auf dem Weg zur "Smart City". Städtische Reallabore setzen auf smarte Prozesse, um diese Frage kollaborativ und ergebnisoffen zu ­verhandeln und Lösungsansätze in konkreten Projekten zu testen.

Anja Riedle, Leiterin Smart City, SBB und Birk Diener, Projektleiter Smart City, SBB
Anja Riedle, Leiterin Smart City, SBB und Birk Diener, Projektleiter Smart City, SBB

In den letzten Jahren hat sich der Begriff "Smart City" deutlich gewandelt: Ursprünglich haben internationale Technologiefirmen den Ausdruck popularisiert. Damit wollten sie ihre Vision einer Idealstadt, die durch Technologieeinsatz effizienter wird, an potenzielle Kunden verkaufen. Diese Vision wurde beispielsweise in Planstädten wie Songdo in Südkorea umgesetzt. Dieser Ansatz wird – zu Recht – dafür kritisiert, wenig Rücksicht auf die Privatsphäre der Bewohner zu nehmen, Ungleichheiten eher zu verstärken als aufzuheben und kaum Verständnis dafür zu haben, dass reine Effizienzsteigerung Städte nicht zwingend lebenswerter macht.

Inzwischen nutzen viele Städte den Begriff "Smart City", um sich in globalen Standortwettbewerben zu positionieren. Sie initiieren Projekte, die digitale Technologien einsetzen, um städtische Probleme zu lösen. Neben diesen "Top-down-Projekten" setzen sich immer stärker Ansätze durch, bei denen unterschiedliche Stakeholder zusammen mit der Bevölkerung Projekte kollaborativ entwickeln. Bei diesen Vorhaben zeichnet sich die "Smart City" nicht durch maximalen Technologieeinsatz aus, sondern durch ein prozessuales und partizipatives Vorgehen. Die involvierten Parteien nutzen digitale Technologien, um Städte lebenswerter und nachhaltiger zu machen. Dabei stellt sich die Frage, wie solche Projekte angestossen, umgesetzt und koordiniert werden können.

Kollaborativ Städte weiterentwickeln

Ein vielversprechender Ansatz sind sogenannte städtische Reallabore (engl. Urban Living Labs). Wie der Begriff bereits andeutet, geht es in Reallaboren darum, neue Ideen und Lösungen unter realen Bedingungen zu entwickeln und zu testen. Der Living-Lab-Ansatz wurde durch eine Forschungsgruppe um MIT-Professor William Mitchell geprägt. Ziel dieses Ansatzes ist es, gemeinsam mit den relevanten Stakeholdern Lösungen zu entwickeln, die tatsächliche Nutzerbedürfnisse befriedigen.

Das European Network of Living Labs (ENoLL), ein weltweiter Zusammenschluss von rund 150 Reallaboren, beschreibt Living Labs als Innovations-Ökosysteme mit fünf Kriterien:

  • Reallabore setzen auf unterschiedliche Methoden, um Probleme zu verstehen, Lösungen zu entwickeln und zu testen (Multi-Method Approach).

  • Das Vorgehen bezieht relevante Akteure (Multi-­Stakeholder Participation) und Nutzer mit ein (User Engagement).

  • Dieser Einbezug findet in Co-Creation-Prozessen statt. Das bedeutet, die Nutzer sind nicht nur Testpersonen, sondern sie entwickeln die Lösung mit (Co-Creation).

  • Die Projekte werden direkt am Einsatzort oder einem dem realen Einsatzgebiet entsprechenden Setting (Real-Life Setting) durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Entwicklungen der Komplexität der Realität gewachsen sind.

Urban Living Labs verwenden den Living-Lab-Ansatz in einem konkreten, abgegrenzten, städtischen Kontext. Das heisst, das Lab ist nicht mehr bloss ein methodischer Ansatz, sondern auch ein bestimmtes Areal, Quartier oder Stadt und der Fokus liegt auf städtischen Problemen. Obwohl festzuhalten ist, dass die Trennung zwischen Living Lab und Urban Living Lab unscharf ist. Städtische Reallabore werden sowohl für die Weiter- als auch Neuentwicklung von Stadtgebieten eingesetzt. Dabei ersetzen sie nicht bestehende Prozesse und Organisationen, sondern ergänzen diese mit neuen Formaten und Vorgehensweisen.

Reallabore in der Praxis

In der Praxis zeigt sich, dass der Ansatz unterschiedlich um- und eingesetzt wird. So hat beispielsweise die Stadt Antwerpen zusammen mit der Regionalverwaltung und dem Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationshub "imec" die sogenannte "City of Things" eröffnet, ein Reallabor mit Fokus auf IoT-Lösungen. Zu Beginn des Projekts haben die Partner mittels einer Anwohnerbefragung Themen ermittelt, die sich für technische Interventionen eignen. Ein daraus entstandenes Projekt ist die Entwicklung einer Beleuchtungslösung für öffentliche Plätze, die sich an Nutzung und Wetter anpasst. Für die Pilotphase wurden ein öffentlicher Platz mit Kameras, Wetter-, Bewegungs- und Geräuschsensoren ausgestattet, die mit der Beleuchtungssteuerung verbunden sind. Im Austausch mit den Anwohnern wird die Funktionsweise laufend verbessert. Am Ende des Pilots soll evaluiert werden, ob die Lösung einen Mehrwert für die Bevölkerung bietet.

Ein anderer Ansatz wird in Kopenhagen verfolgt: "Blox" ist ein Gebäude im Stadtzentrum und der Sitz von "Bloxhub" – einem Zentrum für nachhaltige Urbanisierung. Die Träger des Hubs sind der Verband "Realdania", die Stadt Kopenhagen und das dänische Handelsministerium. Hier steht die Zusammenarbeit zwischen Firmen, Organisationen und Forschungsinstitutionen im Vordergrund. Der Hub bietet den Mitgliedern Arbeitsräume, Veranstaltungen und ein Netzwerk, mit dem Ziel, durch neue Partnerschaften Lösungen für urbane Herausforderungen zu finden.

Mit dem "Smart City Lab Basel" verfolgen die SBB und der Kanton Basel-Stadt ein ähnliches Ziel: Auf einem unternutzten Güterbahnhof, der in einigen Jahren städtebaulich entwickelt wird, wollen der Kanton und die SBB zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie der Bevölkerung neue Lösungen für das Areal, den Kanton und die gesamte Schweiz entwickeln. Dieses Lab begleitet die Arealtransformation vom Güterbahnhof hin zum Areal mit Wohn-, Gewerbe und Arbeitsnutzung. In einem ersten Schritt liegt der Fokus der Projekte auf den Themen Stadtlogistik und Mobilität. So transportieren beispielsweise drei Kurierfirmen Pakete mit Elektro-Lastenfahrrädern vom Areal in die Stadt. Eine ökologische und schnelle Alternative zum Lieferwagen. Ziel des Smart City Lab Basel ist es, solche Ansätze zu fördern und zu evaluieren und im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung auch direkt vor Ort umzusetzen.

Experimentieren für eine smarte und nachhaltige Zukunft

In der EU wird der Living-Lab-Ansatz seit einigen Jahren gefördert. Dadurch gibt es eine Häufung von Living Labs in Europa; der Ansatz findet aber weltweit Anwendung. Die Praxisbeispiele zeigen, dass Reallabore diverse Formen annehmen und unterschiedliche Ziele verfolgen können. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf ein kollaboratives und exploratives Vorgehen setzen. Damit sind sie Teil von zwei aktuellen Tendenzen in der Stadtentwicklung. Einerseits dem Trend hin zu städtischen Experimenten. Diese sollen mit kleinem Risiko und geringem Aufwand zeigen, dass alternative Lösungen möglich sind, die in klassischen Planungsprozessen kaum umgesetzt werden würden. Andererseits das steigende Interesse von Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft, bei der Stadtentwicklung mitzuwirken.

Die Verbreitung von städtischen Reallaboren als experimentelle Multi-Stakeholder-Prozesse zur Entwicklung von "Smart Citys" zeigen beispielhaft, dass es ein breit abgestütztes Interesse gibt, in der Stadtentwicklung neue Impulse zu setzen, und ein Bewusstsein herrscht, dass solche dringend nötig sind, um den heutigen globalen Herausforderungen zu begegnen. Klar ist, dass neue Lösungen tatsächliche Probleme angehen und auch in komplexen Stadtrealitäten mit divergierenden Anforderungen unterschiedlichster Anspruchsgruppen funktionieren müssen. Dazu sind Reallabore ein vielversprechender Ansatz. Herausfordernd bleibt dabei, bestehende Denk- und Lösungsmuster zu verlassen, und die entwickelten Produkte und Services zu skalieren.

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