Psychologin gibt Auskunft

Ab Tag 11 folgt der Lagerkoller: Was Sie dagegen tun können

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von Jara Helmi

Nach der ersten Aufregung folgt der Koller: Spätestens ab Tag 11 der Quarantäne soll sie uns zu schaffen machen. Das Gespräch mit einer Psychologin zeigt, was jetzt zu tun ist.

(Source: freddie marriage / Unsplash)
(Source: freddie marriage / Unsplash)

Innerhalb kürzester Zeit wurde der Alltag der Schweizerinnen und Schweizer komplett auf den Kopf gestellt. Homeoffice, Familienverhältnisse, soziale Isolation – dieses temporär auf den Kopf gestellte Leben geht nicht an allen spurlos vorbei. Das zeigt auch eine Mitteilung des Sorgentelefons "Die Dargebotene Hand". "Seit Anfang März laufen die Drähte heiss: innert 15 Tagen wurden 1720 Gespräche zum Thema Coronavirus verzeichnet", schreibt der Verband. In den kommenden Wochen wird er die Kapazitäten ausbauen und die Schichten um 17 Prozent ausbauen. Das Sorgentelefon hält fest: "Das Coronavirus ist für die psychische Gesundheit eine grosse Gefahr."

Doch was macht diese Quarantäne light mit uns? Die englische Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" hat in einem Artikel Ergebnisse aus 24 Studien zu diesem Thema zusammengetragen. Die Daten stammen vorwiegend aus SARS- oder Ebola-Quarantäne-Massnahmen.

Die Auswirkungen

Die Fachzeitschrift hält fest, dass die meisten Studien über negative psychologische Auswirkungen berichteten. Dazu gehören:

  • Stress

  • Schlechte Stimmung

  • Reizbarkeit

  • Schlaflosigkeit

  • Posttraumatische Belastungssymptome

  • Wut

  • Emotionale Erschöpfung

  • Infektionsängste

  • Frustration

  • Langeweile

In den Studien werden zudem die psychologischen Auswirkungen bei Menschen, die sich in Quarantäne begeben mussten, weil sie in Kontakt mit Personen waren, die potenziell mit SARS infiziert waren, miteinbezogen. Diese Probanden berichteten von Angst, Nervosität, Traurigkeit und Schuldgefühlen.

Die Untersuchungen halten ausserdem fest, dass die Quarantäne auch langfristige Auswirkungen haben kann. Drei Jahre nach dem Ausbruch von SARS wurden beispielsweise Alkoholmissbrauch oder andere Abhängigkeitssymptome mit der Quarantäne in Verbindung gebracht.

Die Auswirkungen der Quarantäne auf die psychische Verfassungen hängen von verschiedenen Faktoren ab:

  • Die Länge der Quarantäne: Je länger die Quarantäne dauert, desto schlechter geht es der psychischen Gesundheit. Eine Studie zeigte, dass diejenigen, die mehr als zehn Tage in Quarantäne waren, signifikant mehr Stresssymptome zeigten.

  • Befürchtung einer Infektion: Viele Studienteilnehmer wurden von der stetigen Angst begleitet, mit der Krankheit infiziert zu sein oder andere anzustecken. Sie wurden besonders besorgt, wenn sie irgendwelche körperliche Symptome verspürten, die möglicherweise mit der Infektion zusammenhängen konnten.

  • Soziale Isolation: Das Wegfallen der gewohnten Routine und der verminderte soziale und physische Kontakt mit anderen Menschen führten häufig zu Langeweile, Frustration und Isolation vom Rest der Welt.

  • Unzureichende Informationen: Die schlechte Information durch die Gesundheitsbehörden wurde von vielen Teilnehmern ebenfalls als Stressfaktor wahrgenommen. Der Zweck und die Richtlinien der Quarantäne wurde unzureichend kommuniziert. Insbesondere mangelnde Klarheit über die verschiedenen Risikoniveaus führten dazu, dass die Teilnehmer das schlimmste befürchteten.

Wie die Studien ergaben, nimmt die psychische Belastung spätestens nach zehn Tagen zu. Was für viele Schweizerinnen und Schweizer nun der Fall ist. Watson hat Psychologin Annalisa Stefanelli gefragt, was man jetzt dagegen tun kann.

Das sagt die Psychologin

Frau Stefanelli, wie können sich die nächsten Wochen auf unsere Psyche auswirken?

Annalisa Stefanelli: Es ist sehr vieles möglich. Je nachdem, in welcher Situation man sich befindet; ob alleine, mit einer Familie, in einer Partnerschaft. Wir können uns einsam, eingeengt, ängstlich, unsicher oder entwurzelt fühlen. Viele Sicherheiten, die wir hatten, sind nicht mehr da. Bei gewissen der Job, andere sehen ihre Familien nicht mehr. Es gibt niemand, der sich nicht betroffen fühlt. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass wir jetzt alle in ein Loch fallen.

Sondern?

Es ist auch eine Zeit, in der viele Fragen auftauchen. Zeiten von Veränderung bringen auch immer die Möglichkeit von Wachstum. Es muss nicht schlecht sein, wenn man sich gewisse Fragen stellt. Wir wollen in unseren Gesprächen den Leuten Mut machen und auch das Potenzial dieser Situation aufzeigen. Diese Zeit wird vorbeigehen und die Frage ist, was wir daraus machen, ob wir sie als Krise sehen oder als Wachstum.

Also hat es auch etwas Positives.

Viele werden jetzt Dinge überdenken und herausfinden, was ihnen wirklich wichtig ist. Sich mit Beziehungen auseinandersetzen, Lösungen suchen, etwas Neues einführen. Jemand der einsam ist, wird vielleicht merken, dass er sich nicht mehr zurückziehen will.

Trotzdem beginnt jetzt für viele die kritische Zeit. Warum?

Die ersten zehn Tagen haben wir uns mit praktischen Fragen beschäftigt; Wie unterhalte ich meine Kinder? Wie tätige ich die Einkäufe? Meistens bleibt dann noch keine Zeit, sich mit dem eigenen emotionalen Zustand zu befassen. Wenn man sich mal in der neuen Situation einlebt, kommen aber psychische Themen zum Vorschein. Das wird demnächst bei vielen der Fall sein.

Wie kann man sich darauf vorbereiten?

Es ist wichtig, dass man sich früh um die eigene psychische Gesundheit kümmert und nicht erst im Nachhinein. Wir haben das Glück, dass wir von den Erfahrungen von anderen Ländern lernen – wir wissen ungefähr, was auf uns zukommt. Ausserdem ist es wichtig, dass wir uns regelmässig mit jemandem austauschen und über unsere Gefühle sprechen.

Sie haben kurzerhand eine Plattform gegründet, wo man sich gratis helfen lassen kann. Warum?

Es war eine spontane Idee. Ich bin in der Nacht aufgestanden, weil mein Sohn weinte und habe mir überlegt, welchen Beitrag ich in dieser Krise leisten kann. Mir wurde klar, dass die Leute früher oder später psychologische Unterstützung brauchen werden. Am nächsten Morgen habe ich mein Netzwerk von Psychologen und Coaches mobilisiert und innerhalb eines Wochenendes eine Webseite erstellt, in der unentgeltlich halbstündige Gespräche für alle angeboten werden.

Haben Sie schon viele Anfragen gekriegt?

Wir sind erst seit fünf Tagen online, aber die Community wächst von Tag zu Tag. Ich hatte selber auch schon einige Gespräche. Bei diesen ging es vor allem um Beziehungen. Viele Familien oder Paare müssen plötzlich Themen ansprechen, die auf Eis gelegt wurden. Jetzt ist man so nah und lange aufeinander, dass man sich damit befassen muss.

Wird von offizieller Seite her zu wenig auf die Pflege der psychischen Gesundheit in dieser Zeit aufmerksam gemacht? Braucht es hierfür auch eine Kampagne?

Das fände ich natürlich super. Man wurde ja genügend aufgeklärt, was man für die körperliche Hygiene tun kann. Es wäre nicht verkehrt, wenn sie dies auch für die psychische Hygiene tun würden. Es ist wichtig, zu kommunizieren, dass man nicht in die Krise fallen muss, dass es Möglichkeiten gibt, sich zu helfen. Natürlich ist die physische Gesundheit nun an erster Stelle. Aber ich wünschte mir, dass man nicht vergisst, dass diese Zeit auch andere Auswirkungen hat.

Wird sich diese Situation langfristig auf unsere Psyche auswirken?

Das ist schwierig zu sagen. Ich bin mir aber sicher, dass das ein einschneidendes Erlebnis im Leben von uns allen ist. Es gibt Leute, die werden das womöglich verdrängen, es gibt solche, die negative Konsequenzen tragen werden und es gibt andere, die gestärkt aus dem Ganzen herauskommen.

Wenn Sie es mir erlauben, würde ich Ihnen nun gerne noch Fragen von unseren Usern stellen.

Sehr gerne.

Ich habe Angst, weil ich eine Risikopatientin bin. Was kann ich dagegen tun?

Bei der Angst ist es wichtig, dass man sie annimmt. Im Prinzip ist Angst nichts Schlechtes, solange diese nicht unser Leben erheblich einschränkt. Wichtig ist aber, dass man diese Angst sachlich angeht. Es hilft, wenn man mit jemandem über die Angst spricht und diese beschreibt (Wovor habe ich konkret Angst?) und in diesem Fall aufzählt, was man tut, um sich zu schützen. Kann man sich noch besser schützen, um die Angst zu mildern? Was könnte konkret helfen, damit man sich weniger ängstlich fühlt? Falls das nicht weiterhelfen sollte, empfehle ich frühzeitig ein Gespräch mit einem Therapeuten.

Wie gehe ich mit zu viel Gedanken an meine Mitmenschen um?

Das sogenannte "Overthinking" kann nun viele betreffen. Wenn man sich zu sehr um seine Mitmenschen sorgt, sollte man sie anrufen und einfach mal fragen, wie es ihnen geht. Es beruhigt, wenn man von dieser Person selber hört, dass es ihr gut geht. Wenn man zu sehr von den Gedanken eingenommen wird, hilft es, sie auf etwas anderes zu lenken: Tätigkeiten, die ein gewisses Mass an Konzentration verlangen sind hierfür super (zum Beispiel ein Buch lesen, nach einem komplizierten Rezept kochen, et cetera). Es gibt aber auch Menschen, die sich nun allgemein viel Sorgen machen und auch für Menschen leiden, die sie nicht kennen. Hier ist es wichtig, dass man sich selbst schützt, den Nachrichtenkonsum reduziert und versucht, so gut es geht, die Gedanken auf was Positives zu lenken.

Sollte ich mich schlecht fühlen, wenn ich die Zeit momentan geniesse?

Im Gegenteil, es ist eben genau das, was man versuchen sollte, zu machen. Aber natürlich ohne, dass man die Situation verharmlost oder nicht ernst nimmt. Es geht auch nicht darum, dass man das Leben geniesst, indem man Dinge tut, die unangebracht sind. Man kann und sollte versuchen, die Situation sehr bewusst anzunehmen und die positiven Sachen zu geniessen. Was macht mich momentan glücklich? Was macht mir Spass? Daraus kann man Energie schöpfen und psychisch fit bleiben. Man ist nicht automatisch ein schlechter Mensch, wenn man während dieser Krise versucht, das Positive zu sehen und zu geniessen. Denn nur so kann man seine Positivität nutzen, um anderen Menschen zu helfen.

Zur Person

Annalisa Stefanelli ist Psychologin FSP und Life Coach. Sie beschäftigt sich mit Themen wie Persönlichkeitsentwicklung, Soziale Strukturen und Dynamiken, bewusste Erziehung und positive Psychologie. Aufgrund der Coronakrise hat sie die Plattform Psychologists and Coaches United lanciert, auf der konkrete Hilfe in Form von halbstündigen Gesprächen unentgeltlich angeboten wird.

Diese konkreten Tipps können helfen

Damit die psychische Belastung möglichst klein gehalten werden kann, hat der Berufsverband der Psychologinnen und Psychologen Tipps veröffentlicht, die in dieser Zeit helfen können.

  • Soziale Kontakte pflegen (beispielsweise via Telefon oder Video)

  • Tagesstruktur halten (regelmässig Essen und Schlafen)

  • Routine einhalten (tägliche Tätigkeiten)

  • Zeit sinnvoll nutzen (zum Beispiel Fotoalbum nachführen)

  • Räumlichkeiten nutzen, um alleine zu sein

Die Stiftung Rheinleben, die Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen begleitet und unterstützt, gibt auf ihrer Webseite weiterführende Tipps:

  • Bewusste Mediennutzung (übermässigen Konsum von Nachrichten verhindern)

  • Auf eigene Gefühle achten (Gefühle wahrnehmen, teilen und ausdrücken)

  • Bewusst machen, dass die Situation vorübergehen wird (Aktivitäten für nachher planen und sich darauf freuen)

  • Auf Positives konzentrieren (positive Seiten vor Augen halten)

Hier wird geholfen

Speziell während dieser Zeit haben Fachstellen ihre Hotlines ausgebaut oder Plattformen öffentlich zugänglich gemacht. Hier eine Auswahl:

  • Pro Mente Sana (Hotline: 0848 800 858)

  • Dureschnufe.ch

  • Aphs, Angst und Panikhilfe Schweiz (Hotline: 0848 801 109)

  • Die Dargebotene Hand (Hotline: 143)

  • Inclousiv

  • Umgang Angst vor dem Virus

  • Hilfe anbieten und Hilfe annehmen

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Watson.ch

Wo und wie Unternehmen in dieser Zeit Unterstützung erhalten, erfahren Sie hier.

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