Trotz Corona

Totale Überwachung am Arbeitsplatz bleibt verboten

Uhr | Aktualisiert
von Rodolphe Koller und Redaktion: Marc Landis

Nach zwei Monaten im Homeoffice und/oder in Kurzarbeit möchten viele Arbeitnehmer wieder zurück ins Büro oder in die Werkstatt. Unternehmen müssen aber dafür sorgen, dass Abstandsregeln eingehalten werden. Dafür gibt es technische Lösungen. Aber nicht alles ist gesetzlich erlaubt. Zwei Anwälte von Schellenberg Wittmer geben Auskunft.

Roland Mathys und Michael Hess von Schellenberg Wittmer sagen, was gesetzlich geht - und was nicht. (v.l., Source: Schellenberg Wittmer)
Roland Mathys und Michael Hess von Schellenberg Wittmer sagen, was gesetzlich geht - und was nicht. (v.l., Source: Schellenberg Wittmer)

Unternehmen bereiten sich auf die Rückkehr ihrer Mitarbeitenden aus dem Homeoffice vor. Um die Sicherheit aller im Büro zu gewährleisten, stehen den Firmen verschiedene Instrumente zur Verfügung, mit denen sie den Gesundheitszustand ihrer Angestellten überprüfen können:

  1. Eine mobile Anwendung, die die Mitarbeiter täglich zu ihrem Gesundheitszustand befragt, um das Risiko einer Übertragung des Coronavirus einzuschätzen.

  2. Ein netzwerkfähiger Ring oder ein smartes Armband, den Mitarbeitende tragen und der je nach Gesundheitszustand des Arbeitnehmers den Zugang zu Firmengebäuden oder -räumen gewährt oder verweigert. Und dürfen die mittels Smart-Device erhobenen Daten an den Arbeitgeber übermittelt werden?

  3. Ein Videosystem mit Software zur Überwachung der Einhaltung von Abstandsvorschriften etwa in einem offenen Raum oder in einer Werkstatt.

Aber was ist gesetzlich erlaubt und was nicht? Darüber geben zwei Anwälte von Schellenberg Wittmer, einer grossen Schweizer Wirtschaftskanzlei, Auskunft: Roland Mathys, Partner und Spezialist für ICT-Recht und Datenschutz und der auf Arbeitsrecht spezialisierte Rechtsanwalt Michael Hess.

 

Arbeitsrecht und Datenschutz im Kontext von Covid-19

Der Arbeitgeber hat zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer die Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind (Art. 328 Abs. 2 OR und Art. 6 Abs. 1 ArG). Angesichts der aktuellen Covid-19 Pandemie werden sich Arbeitgeber dabei an den Empfehlungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) orientieren. Für gewisse Branchen, namentlich das Baugewerbe und die Industrie, sind diese gar ausdrücklich verpflichtend. Andere Branchen müssen Schutzkonzepte implementieren, welche auf diesen Empfehlungen basieren. Das Seco und das BAG empfehlen Arbeitgebern, wo möglich Homeoffice Arbeit zu erlauben und zu ermöglichen. Zudem sollen Arbeitgeber keinem Mitarbeiter erlauben, am Arbeitsplatz zu erscheinen, wenn er Symptome einer akuten Atemwegserkrankung, Husten, Halsschmerzen, Kurzatmigkeit mit oder ohne Fieber, Fiebergefühl oder Muskelschmerzen hat. Kranke sollen nach Hause geschickt und angewiesen werden, die Selbstisolation gemäss BAG zu befolgen.

Der Arbeitgeber hat somit eine gesetzliche Pflicht oder zumindest ein eigenes Interesse, kranke Personen vom Arbeitsplatz fernzuhalten. Angesichts der Covid-19 Pandemie liegt eine solche Massnahme auch im öffentlichen Interesse, wenn so die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden kann.

Bei der Bearbeitung von Daten ist generell das Datenschutzgesetz einzuhalten. Dieses verlangt unter anderem, dass die Datenbearbeitung rechtmässig, zweckgebunden, transparent und unter Wahrung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes erfolgt. Rechtmässig ist die Datenbearbeitung, wenn sie den Datenschutzgrundsätzen genügt oder durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist. Normalerweise rechtfertigt auch die Einwilligung der betroffenen Person die Datenbearbeitung. Ob sich der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Datenbearbeitung auf eine Einwilligung des Arbeitnehmers stützen kann, ist umstritten. Gemäss zwingendem Arbeitsrecht darf der Arbeitgeber Daten über den Arbeitnehmer nur bearbeiten, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind. Die Daten müssen also einen genügenden Arbeitsplatzbezug haben. Gesundheitsbezogene Daten gelten zudem als besonders schützenswert. Dem ist bei der Interessenabwägung Rechnung zu tragen. Wo die Bearbeitung besonders schützenswerter Daten mit der Zustimmung der betroffenen Person gerechtfertigt werden soll, muss die Zustimmung ausdrücklich erteilt werden, d.h. sie kann nicht bloss stillschweigend erfolgen.

 

Smartphone-App, smartes Armband und Datenübermittlung

Grundsätzlich unproblematisch ist es, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine App zur Verfügung stellt, die diesen bei der Entscheidung unterstützt, ob er sich wegen Verdachts auf eine Infektion mit dem neuen Coronavirus vom Arbeitsplatz fernhalten und in Isolation begeben soll.

Kaum zu rechtfertigen ist es dagegen, wenn die Antworten auf die gesundheitsbezogenen Fragen an den Arbeitgeber übermittelt werden. Die einzelnen Antworten sind für den Arbeitgeber nicht erforderlich, um eine Entscheidung darüber zu treffen, dem Arbeitnehmer den Zutritt zu den Geschäftsräumen zu verwehren. Die Übermittlung der Antworten des Arbeitnehmers auf Fragen zum Gesundheitszustand an den Arbeitgeber wäre daher unverhältnismässig.

Ein Zwang zur Nutzung einer App kann dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht auferlegt werden. Im Rahmen seines Weisungsrechts steht es dem Arbeitgeber aber frei, nur Arbeitnehmern, bei denen gemäss App keine Symptome einer Infektion mit dem Coronavirus vorliegen, Zutritt zu den Geschäftsräumen zu gewähren und die übrigen Arbeitnehmer nach Möglichkeit vom Homeoffice aus arbeiten zu lassen. Denkbar ist dabei, dass der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangt, ein von der App generiertes Zertifikat über das Nichtbestehen eines Verdachts auf eine Infektion mit dem Coronavirus mitzuführen, wenn er sich zum Arbeitsplatz begibt. Denkbar wäre es auch, den Einlass ohne solches Zertifikat technisch zu unterbinden. Hierbei ist darauf zu achten, dass keine Daten über den Gesundheitszustand eines bestimmten Arbeitnehmers im Rahmen der Zugangskontrolle aufgezeichnet und dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Bevor der Arbeitgeber ein solches System einführt, hat er allerdings die Arbeitnehmer im Betrieb oder deren Vertretung anzuhören und sich mit ihnen zu beraten. Trägt der Arbeitgeber den Einwänden der Arbeitnehmer oder deren Vertretung nicht oder nur teilweise Rechnung, so muss er seinen Entscheid begründen.

Bei allem Bemühen, Kranke vom Arbeitsplatz fernzuhalten, darf nicht vergessen werden, dass infizierte Personen bereits vor und auch nach dem Auftreten von Covid-19-Symptomen ansteckend sein können. Daher müssen sich nach den Empfehlungen des Seco und BAG auch Personen ohne Symptome so verhalten, als wären sie ansteckend. Auch Personen ohne Symptome sollen sich also weiterhin häufig die Hände waschen und Abstand zu anderen Menschen halten.

 

Überwachungs- und Kontrollsysteme sind grundsätzlich verboten

Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen grundsätzlich nicht eingesetzt werden (Art. 26 Abs. 1 ArGV 3). Welchen legitimen Bedürfnissen und überwiegenden Interessen des Arbeitgebers eine permanente Videoübermachung mit automatisierter Abstandsmessung dienen soll, ist nicht ersichtlich. Der Arbeitgeber muss die Arbeitsplätze so einrichten, dass der Abstand gewahrt werden kann. Dazu ist eine Videoüberwachung nicht erforderlich. Die Empfehlungen des Seco und BAG gehen realistischerweise auch nicht davon aus, dass der Abstand zwischen zwei Personen immer und jederzeit mindestens 2 Meter beträgt. Stattdessen lautet die Empfehlung, dass die Kontaktzeit möglichst kurz sein solle und geeignete Schutzmassnahmen umgesetzt werden müssen, wo der Abstand nicht eingehalten werden kann.

Denkbar ist ein Videoüberwachungssystem allenfalls an Hochfrequenzlagen (z.B. Eingangsbereich, Zugang Kantine). In diesen Bereichen halten sich die Arbeitnehmer meist nur kurz auf, so dass keine Verhaltensüberwachung stattfinden kann. Sollte ein Arbeitgeber in solchen Fällen in Erwägung ziehen, eine Videoüberwachung mit Abstandsmessung zu implementieren, so müsste er vorgängig wiederum die Arbeitnehmer im Betrieb oder deren Vertreter konsultieren. Die Aufnahmen müssten sogleich nach Zweckerreichung gelöscht werden.

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