Bioprinting

Wenn das Ohr aus dem Drucker kommt

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von Pamela Beltrame und jor

Körperteile aus dem 3-D-Drucker: Klingt nach Science Fiction, ist aber schon heute Realität. Mithilfe von 3-D-Biodruckern entwickeln ETH-Forschende wie Philipp Fisch Knorpeltransplantate aus Körperzellen. Er gibt Einblick ins Labor und verrät, was ein menschliches Ohr auf dem Rücken einer Ratte zu suchen hat.

Ein 3-D-gedrucktes Miniatur-Ohr aus dem Labor der ETH Zürich. (Source: Netzmedien)
Ein 3-D-gedrucktes Miniatur-Ohr aus dem Labor der ETH Zürich. (Source: Netzmedien)

Ob für die Herstellung von Zahnkronen, Implantaten oder chirurgischen Instrumenten – der 3-D-Druck hat sich in der Medizin schnell ausgebreitet. Eine Forschungsgruppe um Marcy Zenobi-Wong befasst sich mit einer speziellen Art von 3-D-Druck, nämlich dem ​Druck mit zellulären Materialien. Dieses Verfahren, Bioprinting genannt, eröffnet in der regenerativen Medizin neue Wege. Im Labor für Gewebetechnologie und Biofabrikation an der ETH Zürich zeigt Philipp Fisch, wie dieses Verfahren funktioniert.

In einer mit Nährstofflösung gefüllten Petrischale liegt ein weissliches, trübes Miniatur-Ohr. Vorsichtig hebt der behandschuhte Doktorand das Ohr heraus. Die Konsistenz ist gelatineartig. Zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten, hängt das Ohr schlaff hinunter. Gefertigt wurde es mit dem Bioprinter – einem 3-D-​Drucker für biologische Materialien. Der Drucker namens Biofactory vom Schweizer Hersteller Regenhu sieht auf den ersten Blick so aus wie ein grosser Brutkasten. Die Anlage selbst wird von einer Haube geschützt. In der Haube sind Filter und Ventilatoren verbaut, die das Durch- und Eindringen von Bakterien und Viren verhindern sollen. Das ist besonders wichtig, wenn mit Zellen gedruckt wird.

Der 3-D-Drucker, der beim Druck von Knorpeltransplantaten zum Einsatz kommt. (Source: Netzmedien)

Unter der Haube des Bioprinters ist ein Rad mit acht Spritzköpfen, die alle mit verschiedenen Suspensionen, also mit Flüssigkeiten mit nicht gelösten Pulverteilchen, befüllt werden können. Aus den Spritzköpfen gelangt dann die Suspension auf eine darunterliegende Plattform, die sich in alle Richtungen bewegen kann. Für den Druck zieht der Doktorand den Laborkittel an. Unter der orangenen Plexiglashaube baut der Spritzkopf ein Miniatur-Ohr innerhalb von 15 Minuten Schicht um Schicht auf.

Ein Computer ausserhalb des Bioprinters steuert die Kolben der Spritzköpfe und die darunterliegende Plattform anhand eines 3-D-Modells. Für das 3-D-Drucken fängt man mit STL-Dateien an – das sind Dateien, welche die Oberfläche des 3-D-Körpers beschreiben. Das Modell wird in eine sogenannte Slicer-Software eingespeist, die das Konstrukt in einzelne Schichten aufteilt und dann den Pfad definiert, entlang dem der 3-D-Drucker später das Material deponieren soll. Das Labor sei vom Programm des 3-D-Druckerherstellers zu einer Freeware umgestiegen, sagt Fisch. "Dadurch haben wir mehr Freiheiten und können alles an unsere Bedürfnisse anpassen." Darüber hinaus entwickelte die Forschungsgruppe eine App, um den Druckprozess noch genauer steuern zu können. Einen eigenen Spritzkopf bauten die Doktoranden ebenfalls.

Ein 3-D-Modell des Ohrs. (Source: Netzmedien)

Vom Drucker zum Mikrotie-Patienten

Fisch schildert, wie Bioprinting in der regenerativen Medizin angewendet werden könnte: "Wir konzentrieren uns auf Kinder mit Mikrotie." So nennt man eine Fehlbildung der Ohrmuschel – in manchen Fällen fehlt sogar das ganze Ohr. Bei einer unilateralen Mikrotie, wenn also nur ein Ohr betroffen ist, könne vom anderen Ohr des Patienten Knorpel entnommen werden. Die Zellen werden dann im Labor vermehrt und mit einem Biopolymer vermischt. Mit Hilfe von MRI-Modellen und CT-Scans wird das Ohr am Computer als 3-D-​Modell rekonstruiert. Bei bilateraler Mikrotie orientiere man sich für das Modell etwa an den Ohren der Eltern. Der Bioprinter baut dann das Ohr-​Transplantat mit der patientenspezifischen Zellmischung auf. Dieses wird dann dem Patienten chirurgisch eingesetzt. Das Wachstum des Kindes stelle kein Problem dar, denn sobald Kinder sechs Jahre alt sind, habe das Ohr bereits fast seine volle Grösse erreicht. Das 3-D-gedruckte Knorpeltransplantat habe gegenüber Silikon- oder Plastik-Implantaten auch einen Vorteil: Da sich das Transplantat mit der Zeit nicht mehr vom körpereigenen Ohrenknorpel unterscheidet, können Abstossungsreaktionen vermieden werden. Es kann nämlich vorkommen, dass der Körper Implantate bestehend aus Fremdkörpern nicht annimmt: Das Implantat drücke sich danach wieder durch die Haut durch.

Das Sinergia-Projekt

Hier kommt auch das Sinergia-Projekt ins Spiel, wie Fisch erläutert. Das Ziel dieses vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projektes ist es, die klinische Lösung für Patienten mit Mikrotie zu verbessern. Dafür habe man ein Konsortium aus vier Professuren mit verschiedenen Spezialgebieten gebildet. Die Gruppe von Zenobi-Wong widmet sich im Projekt der Optimierung des Bioprinting-Verfahrens und des dafür verwendeten Knorpelmaterials. Ebenfalls dabei ist die Ernst-Reichmann-Gruppe. Dieses Labor befasst sich mit der Herstellung der künstlichen Haut, die das Ohr-Transplantat bedecken soll. "Die künstliche Haut hilft uns dabei, mehr Haut zur Verfügung zu haben beim Abdecken des Knorpels und um die Narbenbildung zu reduzieren", erklärt Fisch. Die dritte Gruppe, unter der Leitung von Nicole Rotter, ist für die Entwicklung eines präklinischen Modells zuständig. Und die Rijli-Gruppe untersucht die Molekularbiologie hinter der Entstehung des Ohres in Embryos. Dieses Wissen hilft laut Fisch der Forschungsgruppe von Zenobi-Wong, den Knorpel zu reproduzieren und Mikrotie besser zu verstehen.

Es hapert an der Tinte

Das Material, mit dem die Knorpeltransplantate gedruckt werden, nennt sich Bioink beziehungsweise Biotinte. Die Biotinte besteht aus Hydrogelen, wasserhaltigen Polymeren, die dann mit Zellen vermischt werden. Für die Vorführung im Labor zeigt der Doktorand jedoch ein zellenloses Gel, das an Zahnpasta erinnert. Wie wird daraus ein stabiles Ohr? "Die Polymerketten in der Biotinte müssen sich verbinden, damit eine feste Struktur entsteht", sagt Fisch. "Dies kann mittels UV-Licht oder durch ionische Bindungen erzielt werden." Um diese Verfestigung vorzuführen, spritzt der Doktorand etwas von der Suspension in eine Calciumchloridlösung. Nach wenigen Sekunden zieht er mit Zeigefinger und Daumen einen gummiartigen Strang heraus: Das Gel hat sich verfestigt. "Das Ganze gibt's auch in der Küche", fügt der Forscher hinzu. Der Herstellung von Natriumalginat – einem Gelierungsmittel – liege derselbe chemische Prozess zugrunde.

Das Gel wird durch das Hinzufügen einer Calciumchloridlösung verfestigt. (Source: Netzmedien)

Das gedruckte und verfestigte Ohr wird dann mehrere Wochen in Kultur gegeben. "Das Hydrogel gibt nur ein Gerüst vor, in dem die Zellen leben. Nach dem Druck müssen die Zellen aber noch ihr Gewebe bilden", erklärt Fisch. Diese Inkubationszeit sei wichtig, um das Ohr einsatzbereit zu machen. Das Gewebe im Ohr-Transplantat muss so fest und stabil sein, wie bei einem echten Ohr. Würde man das Ohr zu früh einsetzen, also noch bevor die Zellen ein genügend festes Gewebe gebildet haben, würde die Spannung der Haut des Patienten das Transplantat deformieren.

Mit der Zellvermehrung für die Biotinte und dem Reifungsprozess des Gewebes nach dem Druck beanspruche die ganze Herstellung des Ohr-Transplantats etwa drei bis vier Monate. Für die Forschungsgruppe ist der nächste Schritt dann die Transplantation in vivo – die Transplantation in einen lebenden Organismus. Durch einen kleinen Einschnitt am Rücken werde das Ohr dann unter die Haut von Nacktratten geschoben. Solche Tierversuche sind die Voraussetzung für klinische Tests mit Menschen. Letzteres ist laut Fisch wiederum die Bedingung für den Einsatz von 3-D-gedruckten Knorpeltransplantaten im Spitalalltag: "Gedruckte Ohren werden noch gar nicht in Patienten eingesetzt. Was das Gewebe angeht, sind wir zwar schon grosse Schritte weiter gekommen. Wir sind jedoch noch ein gutes Stück von einer Implantation in Patienten entfernt. Zuerst müssen wir zeigen können, dass sich das Gewebe gut in vivo entwickelt, um dann klinische Studien durchzuführen. Von dort aus ist der Weg bis zur Zulassung noch extrem lang und auch sehr kostspielig. Daher ist es recht ungewiss, wie lange das Ganze noch dauern wird."

Zwischen Zelltod und Zellleben

Fisch skizziert ein bedeutendes Dilemma im Bioprinting. Die 3-D-Druckertechnologie sei schon ausgereift. Die Biotinte bereite den Forschenden jedoch immer noch Kopfschmerzen, denn die Anforderungen daran seien gross. Die Tinte muss so beschaffen sein, dass man sie gut drucken kann. Die Fliesseigenschaften müssen also genau stimmen, damit die Spritzköpfe des 3-D-Druckers nicht verstopften. Gleichzeitig muss die Tinte einen gewissen Viskositätsgrad erreichen, damit die Struktur des 3-D-gedruckten Körpers überhaupt hält. Bei einer zu flüssigen Biotinte würde der Druck zerfliessen.

Die zweite wichtige Anforderung an die Biotinte ist ihre Biokompatibilität. Die Zellen müssen sich laut Fisch im Material "wohlfühlen". Der Doktorand zeigt eine Achse auf: Am einen Ende steht "zytotoxisch", sprich: Die Zellen sterben ab. Am anderen Ende steht die erfolgreiche Zellvermehrung. Fisch erklärt: "Die Biotinten, die sich sehr schön drucken lassen, waren toxisch. Und jene Tinten, die gut für die Zellkultur waren, liessen sich nicht gut drucken." Eine Biotinte zu entwickeln, die beide Anforderungen erfüllt, sei "der heilige Gral" und das Hauptziel des Projektes.

Corona entschleunigt auch das Drucken von Ohren

Auf die Frage wie die Coronapandemie die Forschungsgruppe beeinflusst habe, sagt Fisch: "Corona hat alles ein bisschen entschleunigt. Ich musste Experimente wegwerfen, die acht Wochen alt waren." Der Lockdown im Frühjahr habe vor allem neuen Doktoranden den Arbeitsprozess erschwert, da keine Experimente durchgeführt werden konnten. Dadurch hatten die Doktoranden auch keine Basis, um ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu schreiben.

Mittlerweile sei vieles zum Normalen zurückgekehrt. Nur müssten alle Forschenden ihre Präsenzzeiten in einem Online-Tool eingeben. Auch strengere Hygienemassnahmen, wie das Tragen von Masken und das regelmässige Desinfizieren der Hände und Oberflächen gehörten nun zum Alltag. Zudem gäbe es jetzt auch Einschränkungen, wie viele Leute im Labor gleichzeitig arbeiten dürfen. Für die Doktoranden ist das Labor aber jederzeit offen. Auch nach der fast zweistündigen Vorführung rundum das Bioprinting-Verfahren geht es für den Doktoranden weiter mit der Arbeit. Der Tag ist für ihn noch lange nicht zu Ende, verrät Fisch zum Schluss.

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