XDAYS in Interlaken

Wie die Digitalisierung die Führung verändert

Uhr
von Joël Orizet und cka

Zum Auftakt der diesjährigen XDAYS in Interlaken haben Führungskräfte die Gretchenfrage des Managements diskutiert: Was macht heutzutage eine gute Unternehmensführung aus? Die Referenten lieferten Antworten, praktische Tipps und Stoff zum Nachdenken.

Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen. (Source: Netzmedien)
Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen. (Source: Netzmedien)

Die Fachkräfte werden knapp - nicht nur in der IT oder im Gesundheitswesen. Und die Situation spitzt sich zu. Geht es so weiter wie bisher, werden wir 2025 in der Schweiz nicht mehr genug Menschen haben, um unsere Stellen zu besetzen, wie Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, zum Auftakt der XDAYS sagte. Rund 300 Führungskräfte waren für den zweitägigen Event nach Interlaken gereist.

Aus Sicht der Unternehmen zieht der Fachkräftemangel eine klare Konsequenz nach sich: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen deutlich attraktiver werden, wie Bruch sagte. Doch wie macht man das? Jedenfalls kaum mit nur finanziellen Anreizen.

Gas geben, aber nicht überhitzen

Vielmehr müssten die Entwicklungen, die seit Jahren unter dem Schlagwort "New Work" zur Diskussion stehen, in die Tat umgesetzt werden. Das Problem ist jedoch: "Seit dem ersten Lockdown gibt es viel Störfeuer in dieser Entwicklung", sagte Bruch. Vor der Pandemie seien 92 Prozent der hiesigen Unternehmen auf dem Weg in Richtung New Work gewesen. Durch Corona sei die Entwicklung jedoch erstmals stark in Frage gestellt worden, weil plötzlich wieder der "Captain auf der Brücke" gefragt war. Und weil man gemerkt habe, dass "ganz vieles in diesem übervirtuellen Raum nicht funktioniert", sagte Bruch.

Tatsächlich seien viele Unternehmen mit ihren New-Work-Initiativen gescheitert. "In den meisten Fällen wird das Ganze unterschätzt." Und in den schlimmsten Fällen bewirken die Vorhaben das Gegenteil des Geplanten: Die Unternehmen tappen in die "Beschleunigungsfalle" und die Mitarbeitenden wie auch die Führungskräfte leiden unter "Überhitzung und Müdigkeit", sagte Bruch. Dazu präsentierte sie empirische Befunde einer Befragung von 19'000 Mitarbeitenden: Der grösste Anteil der Menschen, die in der neuen Arbeitswelt tätig sind, zählt zu den "modern Überforderten"; vor der Pandemie waren es 19 Prozent, 2020 waren es bereits 30 Prozent. Demgegenüber sind die "erfolgreichen Pioniere" der neuen Arbeitswelt in der Minderheit: Zwischen 2016 und 2019 waren es 6 Prozent, 2020 nur noch 5 Prozent. Die Gruppe der Erfolgreichen ist also kleiner geworden.

Vorsicht vor dem Stabmixer

Und dennoch zeigte sich die Forscherin und Unternehmerin fest überzeugt: "Dieser Umbruch ist eine riesige Chance." Bruch gab den Zuhörerinnen und Zuhörern denn auch einige Impulse mit auf den Weg, die dabei helfen sollen, diese neue Chance zu nutzen - oder zumindest, bekannte Fehler zu vermeiden.

Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen. (Source: Netzmedien)

Viele Unternehmen würden falsch an das Thema New Work herangehen, sagte Bruch. Sie sprach vom Ansatz einer "Thermomix-Organisation": Alle möglichen Zutaten würden wild zusammengemixt und heiss serviert. Soll heissen: Man versucht, sich eine Zukunftsorganisation auf Knopfdruck zurechtzumischen. Dabei entstehe Chaos, das mehr oder weniger geschickt als "Agilität" vermarktet werde. Für eine Transformation in einem Unternehmen sei dieser Ansatz alles andere als empfehlenswert, sagte Bruch.

Stattdessen sollten sich Führungskräfte mit moderner Unternehmensführung auseinandersetzen. Dazu braucht es zunächst einmal eine bestimmte Haltung, die sich in einem Satz zum Ausdruck bringen lässt: Wir haben nicht alle Lösungen. "Das fällt mir als HSG-lerin natürlich schwer", sagte Bruch schmunzelnd und ergänzte: "Wir müssen mit dieser Einstellung rein." Denn auf dem Plan stünden sehr viele fundamentale Veränderungen der Arbeitswelt, die man von Grund auf neu gestalten müsse.

Inspirieren statt kontrollieren

Was New Leadership bedeuten soll, brachte Bruch anhand von drei Begriffen auf den Punkt: Unbossing, Purpose und "beide Hände". Unbossing soll heissen, übertriebene Hierarchien abschaffen. Das bedeutet allerdings nicht, so etwas wie eine "Laissez-faire"-Mentalität zu fördern oder gar das Konzept der Unternehmensführung über Bord zu werfen. Im Gegenteil: "New Work braucht mehr Leadership, dafür weniger Command & Control", sagte Bruch.

 

Unter dem Stichwort "Purpose" rief Bruch nicht einfach zu mehr Sinnstiftung in der Arbeit auf. Stattdessen plädierte sie für einen Wandel des Führungsstils: weg von der sogenannten "transaktionalen Führung", bei der die Führung quasi wie ein Tauschgeschäft funktioniert, wobei am Anfang eine Zieldefinition steht. Und hin zu einer "transformationalen Führung", die eben nicht mit Zielvorgaben anfängt, sondern mit vorbildlichem Handeln, das die Mitarbeitenden inspirieren und zum Mitdenken anregen soll. Dieser Führungsstil soll die Sichtweise der Mitarbeitenden transformieren, sodass sie selbst einen Sinn aus ihrer Arbeit schöpfen.

"Beidhändig führen" soll heissen, unterschiedliche Ziele miteinander verbinden, aber auch auseinander halten können: Effizienz auf der einen, Innovation auf der anderen Seite. Führungskräfte sollten also verstehen, wo es Innovationen und damit Fehler zum Lernen braucht und wo Ausführungsqualität respektive Effizienzsteigerung an erster Stelle stehen sollte. Und sie sollten ihren Führungsstil je nach Zielvorgabe anpassen. So sei zum Beispiel ein Perfektionsanspruch in Bereichen, wo es um Disruption und Innovation gehe, völlig fehl am Platz.

Repriorisieren ist wie Putzen - mit einem Mal ist es nicht getan

Diese Ansätze sollen auch helfen, die "Beschleunigungsfallen" zu überwinden - also die Gefahr zu vermeiden, dass die Mitarbeitenden überbelastet, mehrfach- und dauerbelastet sind. Vor Ausbruch der Pandemie sei dies lange Zeit in etwa der Hälfte der Unternehmen der Fall gewesen. Zurzeit sind es bereits 75 Prozent, wie Bruch sagte.

Umso wichtiger sei es nun, den Performancedruck zu senken. "Führungskräfte sollten ihre Prioritäten neu ordnen und refokussieren - und zwar regelmässig, wie ein Frühjahrsputz", sagte Bruch. Zum Abschluss ihres Referats zitierte sie den Management-Vordenker Peter Drucker: "Die erste und vorrangige Aufgabe von Führungskräften ist es, sich um ihre eigene Energie zu kümmern und dann zu helfen, die Energie anderer nutzbar zu machen." Bruch fügte hinzu: "Passen Sie auf sich auf. Und beschützen Sie Ihre Leidenschaft für Ihre Arbeit. Dann können Sie sie weitergeben."

 

Coachen will gelernt sein

Im Anschluss an die Keynote diskutierten drei Top-Managerinnen darüber, wie sich das Konzept von Leadership aus ihrer Sicht verändert hat. Macht und Kontrolle sollten aus der Gleichung verschwinden, wie Nicole Kamm Steiner, Country HR Manager bei ABB Schweiz, zu verstehen gab. Chefinnen und Chefs sollten stattdessen mehr und mehr unterstützend respektive befähigend agieren. "Eine Führungskraft sollte eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und des Respekts schaffen", sagte sie. Das bringe psychologische Sicherheit - und das wiederum sei die Basis für Teams, die nachweislich besser arbeiten würden. Auch deswegen, weil sich die einzelnen Teammitglieder auch mal verletzlich zeigen könnten.

Nicole Kamm Steiner, Country HR Manager bei ABB Schweiz. (Source: Netzmedien)

Doch wie soll man das anstellen? Wie lässt sich so ein Wandel der Unternehmenskultur konkret ins Rollen bringen? Für Nicole Burth, Leiterin Kommunikations-Services der Schweizerischen Post, ist Motivation der Schlüssel dazu. "Die Leute dazu bringen, dass sie sich weiterbilden: Das ist aus meiner Sicht die eine der zentralsten Führungsaufgaben", sagte sie.

Wie anspruchsvoll diese Aufgabe sein könne, habe die Coronakrise gezeigt. "Vergangenes Jahr haben wir alle digitalisiert wie die Wilden. Das wirkte mitunter kopflos. Und vor allem: Es passierte in einer Art und Weise, die nicht alle dazu motiviert hat, dabei zu bleiben." Demzufolge täten Unternehmen gut daran, trotz aller Dringlichkeit die Frage zu diskutieren: Wie digitalisieren wir uns? Und was bedeutet das Ergebnis für die Nutzerinnen und Nutzer - also für uns alle?

Nicole Burth (l.), Leiterin Kommunikations-Services der Schweizerischen Post. (Source: Netzmedien)

Wie man die Welt retten und trotzdem Geld verdienen kann

Zum Abschluss des ersten Tages der XDAYS betrat ein Mann die Bühne, der nicht nur äusserlich aus der Reihe tanzte. Anders Indset sieht aus wie ein Rock-'n'-Roller: langes Haar, hipper Bart, pechschwarz gekleidet und lauter silbriger Schmuck mit Totenköpfen drauf. Der gebürtige Norweger ist Wirtschaftsphilosoph, schreibt Bestseller und bringt CEOs zum Nachdenken. Das tat er denn auch in Interlaken.

Indset las zunächst eine Passage aus seinem nächsten Buch mit dem Titel: "Das infizierte Denken." Das klang klug, sorgte im Publikum allerdings für Stirnrunzeln. Dann stand er auf und breitete seine These aus: Corona sei der "Wachpiks-Moment", in dem die Menschheit aus ihrem "fatalen Nickerchen" aufwachen würde. Schon seit den 1970ern befänden wir uns in diesem "Dämmer-Schläfchen". Warum 1970? Da sei einiges passiert. Klaus Schwab gründete das World Economic Forum, die Umweltbewegung entstand, die USA unter Richard Nixon zogen sich aus dem Vietnamkrieg zurück. "In den 1970ern sah die Welt ganz schön aus", sagte Indset. "Es gab die Hackermentalität, die tollen Unternehmen mit Weltklasseprodukten und Wohlstand für alle."

Anders Indset, Wirtschaftsphilosoph und Bestseller-Autor. (Source: Netzmedien)

In den 1970ern sei aber auch Jimi Hendrix gestorben - und mit ihm der "Spirit of Woodstock". Dieser Geist sei uns mit der Digitalisierung erst recht abhanden gekommen, sagte Indset. Daraus folgerte er: "Das grösste Problem unserer Zeit ist nicht das Virus, sondern, dass unser Denken infiziert ist." Man sei in Absolutheiten gefangen und lasse keine anderen Denkweisen mehr zu. Nun sei es an der Zeit, sich von Selbstverständlichkeiten zu befreien: weg vom Entweder-oder-Prinzip, hin zu einer Sowohl-als-auch-Mentalität.

Indset gab den Zuhörerinnen und Zuhörern auch ein paar praktische Tipps mit auf den Weg. Der eine lautete: Richten Sie sich in ihrem Kalender eine Denkstunde ein. "Ihr seid die fitteste Generation an Managern, die es in der Schweiz je gegeben hat", sagte er. "Ihr macht die Gipfelwanderungen, Ihr trinkt die Smoothies und macht Yoga … Aber ihr macht keine Kniebeugen für die Rübe."

Zum Schluss plädierte Indset dafür, eine "enkelfähige" Zukunft zu gestalten, in der Ökonomie und Ökologie sich nicht widersprechen, sondern sich synergetisch ergänzen. "Wir müssen es so hinkriegen, dass wir die Probleme der Menschen lösen und trotzdem Geld verdienen können."

Mit Definitionen und Erläuterungen hielt sich Indset nicht auf. Vielleicht verzichtete er bewusst darauf. Vielleicht sind solche Dinge einfach nicht sein Ding. Was ihm jedoch sehr wohl gelang: Er zog die Zuhörerinnen und Zuhörer in seinen Bann und brachte sie zum Schmunzeln. Und womöglich schaffte er es auch, die eine oder andere Person mit seiner Freude am Philosophieren anzustecken.

(Source: Netzmedien)

Die Keynotes und Podiumsdiskussionen der XDAYS stehen übrigens online zum Streamen bereit

Webcode
DPF8_227401

Passende Jobs